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Ackergift und Bürgerzorn

Es ist ein wenig wie mit dem Chlorhühnchen: Ja, das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat ist mit echten Risiken für Umwelt und Mensch behaftet. Aber der Kampf dagegen wird vielerorts nur symbolisch geführt – Feel-good-Politik statt Agrarwende

Von Benno Schirrmeister

Manchmal sind Gewissheiten ein Problem. Wenn sie verhindern, dass die richtigen Fragen gestellt werden, zum Beispiel. Wenn alles nur noch tiefschwarz scheint oder ganz in Weiß. „Dabei gibt es doch vor allem Grautöne“, sagt Hanno Dehlwes, als er den Mulchmäher abgestellt hat und, grüne Latzhose, der Strohhut muss sein gegen die Sonne, aus der Schonung hochgestiefelt gekommen ist, an die Sitzbank im Schatten an der Scheune. Roter Backstein, grün gestrichene Balken, dass uns, lieber Gott, „VOR FEUER WASSSERS NOTH UND BRANT“ schützen soll, fordert die in großen weißen Buchstaben im Torsturz eingelassene Inschrift, „Anno 1769 den 22. July“, das sind ja … Dann ist ja nächstes Jahr Jubiläum.

Dehlwes ist Forstwirt in Lilienthal. Kurz vor Weihnachten trifft sich halb Bremen auf seinem Hof, weil er die schönsten Tannenbäume hat. Er sitzt im Gemeinderat, für die Grünen. Und trotzdem nutzt Dehlwes Glyphosat: „Etwa drei Liter habe ich vergangenes Jahr eingesetzt, auf 18 Hektar bewirtschafteter Fläche.“ Man müsse mit dem Herbizid verantwortungsvoll umgehen, „so wie mit Medizin“. Was er anstrebe, „ist sozusagen ein helles Grau“.

Glyphosat, das ist der Name des weltweit meistverwendeten Breitbandherbizids, ist spätestens seit dem Moment ein Reizwort, als Christian Schmidt (CSU) im vergangenen Herbst für eine Zulassungsverlängerung im EU-Ministerrat stimmte – absprachewidrig und als Agrarminister einer bloß noch geschäftsführenden Bundesregierung. Das fachte die Diskussion erst so richtig an: auf Bundesebene, in den Ländern und Gemeinden. Es gab Beschlüsse, Petitionen, Anträge. Auch in Lilienthal: Engagierte Bürger*innen gründeten ein Diskursforum mit dem prestigeträchtigen Titel „Club of Lilienthal“, tüftelten einen sehr fundierten Bürgerantrag für ein kommunales Verbot von Pestiziden aus. Im Sommer hat ihnen die Verwaltung dann mitgeteilt, dass ihr Schreiben zur Kenntnis genommen worden sei – „ein Begräbnis erster Klasse“, erzählt Klaus Jürgen Bönkost, emeritierter Politikprofessor der Bremer Uni. „Als sollte die Diskussion aus der Öffentlichkeit gehalten werden.“ Aber die ging dann hinter den Kulissen weiter.

„Gegen so ein kommunales Verbot gäbe es ja nichts zu sagen“, sagt Hanno Dehlwes. Entscheidend sei aber, was dahinter steht, „denn man kann doch nicht verlangen, dass man dass dann eins zu eins auf einen Betrieb überträgt“. Dehlwes weiß, dass es manchen seinen Parteifreund*innen peinlich ist, dass er in der Frage eine differenzierte Sichtweise einfordert. Dass er gegen wuchernde Kräuter auf einen Mix aus Mechanik und Gift setzt. Manchmal führt das auch zu Anfeindungen – möglicherweise genau von denen, die ihn verspottet haben, als er in seinen Anfängen versucht hat, ganz ohne Pflanzenschutzmittel auszukommen.

In den 1990ern war das, die Familie fand, er solle den Hof übernehmen. Er kam frisch von der Uni, voller neuer Ideen für eine nachhaltige Forstwirtschaft suchte er die jungen Setzlinge ohne Chemie vor dem Verkrautungstod zu schützen. Mit Kälbern hat er es probiert, da ging dann der Schnack im Ort: Die scheißen die Bäume voll, wer will denn so was. Auch die Betriebsprüfer vom Finanzamt hielten das nur für eine Liebhaberei, „die haben mein Konzept nicht verstanden“. Also wurden die Rinder wieder abgeschafft.

Davor war die Sache mit ­Shropshire-Schafen schief gegangen. „Von denen hieß es, dass sie nicht an Nadelbäume rangehen“, sagt Dehlwes. „Das stimmt nicht so ganz.“ Mit dem explosionsartigen Vegetationsauflauf im Frühjahr wurden die Tiere nicht fertig. Und zu große Pflanzen verschmähten die Schafe: zu trocken, zu bitter. Dann doch lieber mal die zarten Spitzchen des Nordmanns kosten.

Hm, lecker! Süß und würzig: Gourmets und Sterneköche lieben Tannwipfel. Schafe aber gleichermaßen, und wenn die das einmal kapiert haben, „gehen die da systematisch die Reihen auf und ab und fressen oben die Spitzen weg“, sagt Dehlwes. „Eine Katastrophe.“ Selbst wenn die Bäume weiter wachsen – das regeneriert sich nicht. Und nicht mal Ökos kaufen einen Christbaum ohne Spitze.

Es ist ein bisschen wie mit dem Chlorhühnchen. Klar, der Vergleich hinkt, weil Glyphosat echte Risiken birgt, weil es inzwischen so verbreitet ist, und weil es, auch in Deutschland, legalisierte missbräuchliche Anwendungen gibt. Der Einsatz zur Sikkation etwa, also zur Reife­be­schleunigung, ist erst seit diesem Jahr verboten, „zum Glück“, sagt Dehlwes: „Feldfrüchte kurz vor der Ernte noch mit Gift zu behandeln, das passt nicht zu meinem Verständnis von vernünftiger Landwirtschaft.“

Aber, um zum Chlorhühnchen zurückzukommen: Der semiotische Prozess, der die desinfizierten Broiler zur Verkörperung des Übels in der Diskussion um TTIP gemacht hatte, das gescheiterte Freihandelsabkommen zwischen USA und Europäischer Union, ist verwandt mit dem, der aus dem Wirkstoffnamens Glyphosat den Inbegriff des agrarindustriellen Irrwegs gemacht hat. Keine Frage: Solche Symbole sind vielleicht notwendig, mindestens aber hilfreich, um Widerstand zu mobilisieren. Wahrscheinlich ist es unmöglich, ohne solche Zuspitzung politische Diskussionen auch jenseits der Fachgremien in Gang zu bringen, in der Breite, auf kommunaler Ebene – aber mit der Wirklichkeit dürfen sie nicht verwechselt werden. Die ist immer komplizierter.

Und zur Wirklichkeit gehört, aus ökotoxikologischer Sicht, dass Glyphosat oft weniger kritisch ist als andere Herbizide. Und vor diesem Hintergrund wird fragwürdig, ob es wirklich eine uneingeschränkt gute Nachricht ist, wenn sich laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) 240 Städte und Gemeinden entschieden haben, ihre Grünflächen „mindestens ohne Glyphosat“ zu bewirtschaften. Denn das begünstigt Feelgood-Beschlüsse von mitunter zweifelhaften Folgen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Sache mit der Bremer Straßenbahn AG (BSAG): Im Dezember hatte die dortige Bürgerschaft nach Minister Schmidts Alleingang über Glyphosat debattiert. „Ich war doch erstaunt, als ich las, dass die BSAG durchaus noch Glyphosat auf den Gleisen verwendet“, empörte sich damals die Chefin der Grünen-Fraktion, Maike Schaefer. Man wolle nämlich „definitiv, dass Bremen glyphosatfrei wird“. Deshalb habe die BSAG künftig darauf zu verzichten. Und genau das wurde beschlossen.

Nun ist die BSAG ein vergleichsweise umweltfreundlicher Schienennetzbetreiber: Dank Rasengleisen kann man auf fast der Hälfte der Strecken auf Herbizide komplett verzichten, und wo man doch spritzt, so versichert der Sprecher, „haben wir stets nur ein Pestizid eingesetzt“. Zum Vergleich: Die Hamburger Hochbahn versprüht einen ganzen Cocktail aus „Tender GB Ultra“, aus „Chikara“, aus „Glyfos Supreme“ und aus „Ranger“ – in Schleswig-Holstein wird der unternehmenseigene Spritzzug bei Bedarf noch mit dem Flumioxazin Nozomi betankt. „Derzeit“, so die Auskunft, gebe es „keine alternativen Mittel, die die Fahrgastsicherheit im gleichen Maße sicherstellen“ könnten.

Wenn Schotterbetten verkrauten, können die Schienen nicht schwingen. Dann können sie brechen, Züge drohen zu entgleisen. Das will man auch in Bremen nicht in Kauf nehmen. Also hat die BSAG dann dieses Jahr auf ein Flazasulfuron-Präparat zurückgegriffen: Dessen Wirkstoff hält sich laut europäischer Pestizid-Datenbank im Vergleich länger in der Umwelt als Glyphosat. Laut Giftstoffverordnung ist das verwendete Herbizid als „gefährlich“ eingestuft, auf dem Sicherheitsdatenblatt wird es unter H400 als „sehr giftig für Wasserorganismen“ und H410 als „sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung“ eingruppiert.

„Die Idee der Kampagne ist es nicht, dass Glyphosat dann durch ein anderes Gift ersetzt wird“, sagt Katrin Wenz vom BUND. Es gehe schon um Pestizide allgemein, und darum, die Bevölkerung zu sensibilisieren und dass „die Städte eine Vorbildfunktion ausüben“. Vorbild wollen viele Kommunen sein. Allein in Norddeutschland haben seit Dezember 14 weitere Städte und Gemeinden per Ratsbeschluss ein Zeichen gesetzt, von Osnabrück bis Schwerin.

Dabei sind erklärtermaßen die Verkehrsbetriebe das Hauptziel: Selbst dort, wo man sich schon vor langer Zeit für pestizidfrei erklärt hat, wie etwa in Düsseldorf, arbeiten die mit Bodenherbiziden, ohne dass sich jemand daran stört. Und auch bei der Deutschen Bahn vertraut der BUND darauf, dass sich der Konzern bemüht, aus dem Giftgebrauch auszusteigen – obwohl das Verkehrsunternehmen mit 65.398 Kilo weiterhin größter Einzelabnehmer von Glyphosat in Deutschland bleibt. Bloß sei das ja „sehr wenig im Vergleich zur Landwirtschaft“, sagt Wenz. „Wir wollen den Umbau des Sektors insgesamt.“ Auf die Landwirte will man über die kommunalen Beschlüsse sanften Druck ausüben.

Das kommt bei der auch an, also: dass sie unter Druck gesetzt werden soll. Und die Reaktionen sind mitunter entsprechend. In Westerstede zum Beispiel, das ist die Kreisstadt des Ammerlandes, mit rund 500 Baumschulen ein europäischer Hotspot der Ziersträucherkultur und die Rhododendron-Hochburg schlechthin. Wie viel in solchen Anlagen gespritzt wird, ist nicht bekannt.

Im Juni beantragte die kleine Grünen-Fraktion von Westerstede, kein Glyphosat mehr auf kommunalen Flächen einzusetzen und auch die Verpachtung nur unter entsprechender Auflage zu erlauben. Prompt belehrte sie der CDU-Ratsherr Heino Hots: Glyphosat sei ja schließlich erlaubt. Und in den traditionellen Landwirtschaftsbetrieben vor Ort würden die Flächen über viele Generationen genutzt, weshalb die pflegliche Bearbeitung außer Frage stehe. Eher emotional als logisch – aber so klingt es oft, wenn sich jemand bevormundet fühlt. Auch wenn der Antrag in Westerstede also erst mal im Papierkorb landete: „Das Thema“, stellt Grünen-Ratsfrau Esther Welter klar, „ist für uns damit nicht beerdigt.“

Im Herbst vergangenen Jahres hatte die Samtgemeinde Artland ihren Ausstieg aus der Pestizidabhängigkeit beschlossen, nach zähem Ringen und langem Streit. Das war damals auf breite Resonanz gestoßen, weil sich der Beschluss ausdrücklich auch auf Pachtflächen bezog – und das in der niedersächsischen Gemeinde immerhin 60 Hektar betrifft. „Das bleibt Symbolpolitik“, sagt trotzdem Ottmar Ilchmann, niedersächsischer Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirte (AbL), des alternativen Bauernverbandes. „Es reicht nicht, wenn solche Beschlüsse nur dazu dienen, dass sich Lokalpolitiker toll finden.“

Dem Ziel, die Landwirtschaft umzubauen, komme man so nicht näher, sagt Ilchmann: „Wenn man das wirklich will, wäre es doch das Mindeste, im Gegenzug den Landwirten eine Pachtpreisermäßigung zu gewähren.“ Wichtig sei ja nicht die Frage, ob es möglich ist, Landwirtschaft ohne Glyphosat zu betreiben. „Das wissen wir doch. Es hat ja auch vor 1974 Ackerbau gegeben.“ Auch Ökolandbau funktioniere ja bestens. Aber man müsse sich darüber im Klaren sein: Insgesamt wird eine Veränderung zu Ertragseinbußen führen, ja sogar gelegentlichen Ernteausfällen – und „so etwas kennen wir ja fast gar nicht mehr“, sagt Ilchmann. Wie man damit umgehen will, dafür brauche es Ideen. „Wichtig ist, sich Gedanken darüber zu machen, was das bedeutet – und was es kostet“.

Es gibt gute Gründe, das zu tun: Es sei vielleicht nicht einmal die Giftigkeit des Wirkstoffs, die Glyphosat zum Problem macht, stellt die Bremer Ökologieprofessorin Juliane Filser klar, „sondern diese große Menge, in der er zum Einsatz kommt“. Deshalb seien „die Verbote gut“. Dass „der Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln erhebliche Auswirkungen auf die Biodiversität hat“, ist laut Bundesamt für Naturschutz Konsens. Das Insektensterben führen etliche Umweltforscher auf den Einsatz von Breitbandherbiziden zurück.

Ob der kaum kontrollierte Pestizid-Einsatz in Südamerika dort regelrechte Epidemien von Missbildungen und Fehlgeburten ausgelöst hat, ist Gegenstand erbittert ausgetragener wissenschaftlichen Kontroversen. Und dass seine massenhafte Verwendung in den USA nicht nur mehr und mehr Organismen gegen diesen Wirkstoff, sondern auch gegen Antibiotika immunisiert, ist Maria Finckh zufolge, Professorin für ökologischen Pflanzenschutz in Kassel, besonders bedrohlich, weil davon auch Reserveantibiotika betroffen sind, die „eingesetzt werden, wenn nichts anderes mehr wirkt“.

Hanno Dehlwes steht in seinen Tannen. Mit der Hand hat er die Ackerwinde aus den Nadeln gezuppelt, sie blüht weiß, sieht schön aus, aber macht den Baum kaputt. Jetzt lässt er die Motorsense an, wie ein Außenbordmotor am kleinen Schiff, um sie vorzuführen. Es knattert, ein Höllenlärm, und es stinkt, er geht durch die Reihen, die Abgase hängen lange zwischen den Zweigen; auch mechanisch ist Unkrautbeseitigung ein Kampf gegen die Natur.

„Ich habe hier im Frühjahr oft junge Vögel, Bodenbrüter, und auch einige Hasen zwischen den Reihen“, sagt er, als er das Teil wieder hinlegt und die Ohrenschützer abnimmt. Wenn er da im Frühjahr alle zwei Tage mit dem Ding hier durch müsste, „da könnte doch kein Vogel brüten“. Die würden doch aufgestört. Stattdessen sorgt er für Ruhe. Und dämmt Anfang April das Wachstum. Mit Herbiziden – und ein wenig Glyphosat.

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