Schachbrett-Ruhm mal ohne Mord und Totschlag

Kroatien ist vor dem Finale im nationalistischen Ausnahmezustand. Vielleicht klappt es ja wie in Deutschland, sich die Nationalflagge zu Partyzwecken anzueignen

Premierminister Andrej Plenkovic und Regierung im Rausch Foto: Patrik Macek/Pixsell/picture alliance

Von Doris Akrap

Es gab mal Zeiten, da konnte man kroatische Luft in Dosen kaufen. Das war ernst gemeint. Das war in den 1990er Jahren, als nicht Touristen, sondern UN-Soldaten an den Stränden Kroatiens lagen, während die Kroaten ihren blutjungen Staat von serbischen und anderen Minderheiten reinigten und dabei eine Blutspur hinterließen. Die Dosen mit nichts drin, die den fanatischen Na­tio­na­lismus unfreiwillig zu einer Lachnummer degradierten, waren selbstverständlich schachbrettgemustert. So schachbrettgemustert wie das Oberteil der Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović, das sie in der Moskauer Umkleidekabine nach dem Viertelfinalsieg trug und das Halstuch, das sie auf dem Nato-Gipfel vor dem Halbfinale stolz präsentierte.

Dass spätestens seit Mittwochabend der Ausnahmezustand herrscht, ist logisch. Nachrichtenportale meldeten am Donnerstag früh, dass sie bis zum Finale nicht mehr über Probleme im Land berichten werden. Sämtliche Regierungsmitglieder tauchten nach dem Halbfinalsieg gegen England in Schachbretttrikots auf. Zum ersten Mal betritt dieser kleine Staat nun mit dem Finaleinzug eine Weltbühne, ohne dass es vorher Mord und Totschlag gab. Bis heute werden die in Den Haag als Kriegsverbrecher verurteilten kroatischen Generäle als Helden gefeiert. Die Blutspur der 90er Jahre gilt auch unter der aktuellen Regierung bis heute als notwendige Verteidigungslinie.

Das eine sind Rechtsradikale, die gibt es überall und sind im kroatischen Schachbrettwettbewerb daran zu erkennen, dass ihr Brett in der linken oberen Ecke mit einem weißen Feld beginnt. Natürlich hört man die in diesen Tagen faschistische Lieder von faschistischen Liedermachern singen.

Aber das wird in Frankreich nicht ganz anders sein. Wobei die natürlich im Vorteil sind, weil ihre Nationalhymne nun mal schon was älter ist und zwar auch recht martialisch, aber eben auch schwer republikanisch ist, während die Kroaten in „unserer schönen Heimat“ hängen bleiben. Selbstverständlich gibt es auch in Kroatien eine zivilbürgerliche Schicht, die mit diesem Fanatismus nichts anfangen kann und ihren Ministaat am liebsten noch weiter minimieren würden, indem sie sich vom Süden des Landes, der traditionell ärmer und fanatischer ist, loslösen. Auf meiner Flixbus-Reise am Freitag Richtung Kroatien unterhalten sich auf der Raststätte in Österreich Vito und Valentin im Schachbretttrikot mit einem Reisenden aus Südafrika. Alle drei sind sich einig: „Apartheid is shit. Croatia will win.“ Und sofort kommen alle restlichen Kroaten auf dem großen Parkplatz zu der kleinen Gruppe, und jeder beschwört den anderen, dass Kroatien den „schönsten und besten Fußball der Welt“ spielt.

Kroatien ist Weltklasse! „Svjetski!“, wie es die Patrioten in Kroatien nicht nur so gern über ihren Fußball, sondern auch zu ihrem Schinken, ihrem Wein, ihrem Meer und ihrer Luft sagen. Sogar einige Nachbarn aus dem ehemaligen Jugoslawien sieht man in großen Karos. Selbst ich bin spontan nach Kroatien gefahren und werde mir so eine Schachbrettmütze aufsetzen. Warum soll nicht gelingen, was in Deutschland auch gelang: die Aneignung der Nationalflagge zu Partyzwecken. Einmal Schachbrettfeier ohne Mord und Totschlag. Und wenn es so kommt, kauf ich auch meine erste Dose kroa­tische Luft.

Doris Akrap, in Flörsheim am Main geboren als jugoslawische Staatsbürgerin, seit 1991 kroatische Staatsbürgerin, seit 1996 deutsche und kroatische Staatsbürgerin. Ihre erste Anstellung als Redakteurin hatte sie zur WM 2006 bei der Sport-B.Z., wo sie für das kroatische Team zuständig war.