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Gewerbe mit Genossen

Selbstständige und kleine Unternehmen tun sich zu Genossenschaften zusammen. Das kann die Raumkosten senken. Wachsen können dagegen die vielen Kleinen, weil sie sich über die räumliche Nähe vernetzen

Von Lars Klaaßen

Hohe Wohnungsmieten in den Städten sind ein großes Thema. Eher unbemerkt steigen auch die Gewerbemieten rasant. Das stellte etwa die Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin mit Blick auf die Büromieten in der Hauptstadt fest: „In Berlin besteht vor allem eine starke Flächennachfrage aus dem Kreativ- und Medienbereich und der gesamten Start-up-Branche nach zuvor als Industrie- und Logistikflächen genutzten Immobilien.“ Solch ein Angebot gibt es mitten in Berlin, in der Rungestraße 20, zum Selbstkostenpreis. Dort zeigt sich: Im Wohnungsbau Bewährtes funktioniert auch bei Gewerbeflächen – das Modell Genossenschaft.

Die eingetragene Genossenschaft (eG) rs20 verbindet beides miteinander. Der Altbau mit zwei Höfen beherbergt auf etwa einem Viertel seiner Fläche von 8.500 Quadratmetern Wohnungen. Drei Viertel sind Gewerberäume. Wie andere Genossenschaften hat auch die rs20 bei der Gründung im Jahr 2000 beträchtliche Hürden genommen. In der Rungestraße musste zwar kein Neubau finanziell gestemmt, aber die Immobilie von den alten Eigentümern gekauft werden. „Und dann stand eine umfangreiche Sanierung des maroden Altbaukomplexes an“, sagt rs20-Vorstand Holger Tacke. Die Gewerbebereiche des kaiserzeitlichen Baus sind bis zum Mauerfall als zentrales Bücherlager für die staatlichen Organe der DDR genutzt worden. So ist das Haus zum einen, wie üblich, aus der kommunalen Wohnungsverwaltung der DDR in die neu gegründete Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) übergegangen – teilweise aber auch in Bundesbesitz. Die WBM hatte die Gewerberäume im Laufe der 1990er Jahre an Künstler und andere Kreative vergeben, zunächst temporär. Damit diese im Zuge einer Sanierung ihre günstige Bleibe nicht verlieren, wurde die rs20 eG gegründet.

Das hieß aber: Wohn- wie Gewerbemieter mussten als Genossen für Kauf und Sanierung einen Kredit aufnehmen. „Vor rund 20 Jahren waren die Rahmenbedingungen teilweise zum Glück recht günstig“, sagt Tacke. „Die Genossenschaft konnte eine Reihe von Förderprogrammen in Anspruch nehmen, die das Ganze finanzierbar machten.“ Damit die eG überhaupt einen Bankenkredit bekam, hat die WBM für die rs20 gebürgt. Bei Zahlungsausfall wäre das Wohnungsbauunternehmen eingesprungen – und das Gebäude wieder in sein Eigentum zurückgekommen. Die Gründung ist seinerzeit auch vom Berliner Senat unterstützt worden, der 20 Ateliers im Haus an regelmäßig wechselnde Künstler vergibt. Unter anderem sind in den Gewerberäumen eine Theaterschule untergebracht und eine Privatschule, die sich auf die Ausbildung in der Spieleentwicklung und Computerspiele-Branche spezialisiert hat. Hinzu kommen viele kleinere Akteure aus den Bereichen Medien, Kultur und Kunst.

„Das Potenzial für Gewerbebetriebe, sich im Rahmen von Genossenschaften zu entwickeln, ist sehr groß“, betont Andreas Wieg. So könnten Selbstständige oder mittelständische Unternehmen als Genossenschaftsmitglied in vielerlei Hinsicht Größenvorteile nutzen: „Sie sparen Kosten und bündeln ihr Know-how“, sagt der Sprecher des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbands (DGRV). „Die genossenschaftliche Kooperation ist auch sehr gut geeignet, sich gemeinsam kostengünstige Gewerberäume zu verschaffen. Meist bleibt es aber nicht dabei, sondern es werden oft auch andere administrative Tätigkeiten oder Ressourcen zusammengelegt.“ Wenn Selbstständige oder Unternehmen sich zusammentun, um sich Arbeitsräume zu teilen, sind die Modelle sehr unterschiedlich.

Kooperation heißt: Ressourcen sparen und sich fachlich austauschen

Die Bremer Höhe eG etwa hat in Berlin und Brandenburg rund 700 Wohnungen in ihrem Bestand. Dazu kommen noch 35 Gewerbeeinheiten. „In erster Linie nutzen Genossen, die bei uns wohnen, die Möglichkeit, sich einen Gewerberaum anzumieten“, erläutert eG-Vorstand Ulf Heitmann. Neben einer Praxis für Psychotherapie, einer Kinder- und Bildungseinrichtung und Start-ups, sind das auch hier Selbstständige aus Kunst und Kultur. Die Genossenschaft hat in Brandenburg für knapp eine Million Euro sogar ein komplettes Dorf gekauft und für 9 Millionen Euro saniert. Die Mieten dort liegen bei etwa 5 Euro nettokalt. Weil die Bremer Höhe damit für faire Mieten sorgt, wurde sie kürzlich mit dem Brandenburger Freiheitspreis des Domstifts Brandenburg/Havel ausgezeichnet.

Acht niedergelassene Ärzte aus unterschiedlichen Bereichen wiederum haben 2011 die Medizinische Kooperation Görlitz eG ins Leben gerufen. Ihr wichtigstes Projekt ist das gemeinsame Haus im Westen der Stadt. Das Gebäude wurde im September 2012 bezogen. Seither befinden neben den Arztpraxen auch eine Apotheke, ein Sanitätshaus und eine Physiotherapiepraxis unter einem Dach. „Für uns ist die Kooperation mit Berufskollegen wichtig, um Ressourcen zu sparen und uns fachlich auszutauschen“, sagt eG-Vorstand André Maywald. Die Genossenschaft ist weder Eigentümer noch Vermieter des Objekts. Die finanzielle Hürde, eine Immobilie bauen oder kaufen zu müssen, wurde damit umgangen. Jede Arztpraxis hat einen eigenen Mietvertrag mit dem Eigentümer. Die eG selbst hat auch Bereiche angemietet, unter anderem einen Konferenzraum, den alle nutzen können. Dass Gebäudebewirtschaftung, EDV und betriebswirtschaftliche Belange gemeinsam von allen Mitgliedern getragen werden, senkt die Kosten für jeden Einzelnen.

Ähnlich agiert die ­TowerByte eG in Jena. Dort haben sich 21 Unternehmen mit insgesamt rund 300 Mitarbeitern aus dem Bereich E-Business zusammengetan. „Wir wollen auf diesem Weg unsere Kompetenzen bündeln“, sagt Conrad Wrobel, Mitglied des Aufsichtsrats. Die Genossenschaft gründete sich 2003 mit Sitz im JenTower und hat mittlerweile auch einen zweiten Standort. Dort haben die Mitgliedsunternehmen sowie die Genossenschaft weitere Flächen angemietet. Darüber hinaus jedoch stellt die Genossenschaft Freiberuflern, Kreativen und jungen Unternehmen je nach Bedarf Einzelarbeitsplätze zur Miete zur Verfügung. Die Mindestmietdauer beträgt einen Monat und kann jederzeit flexibel verlängert werden. „Dadurch können auch kurzfristige Projekte realisiert werden, ohne lange Mietverhältnisse eingehen zu müssen“, so Wrobel. „Die Coworking-Gemeinschaften profitieren dabei von der vorhandenen Gebäudein­fra­struk­tur sowie den langjährigen Erfahrungen der einzelnen Unternehmen der TowerByte eG im E-Business.“

Der Autor ist Genossenschaftsmitglied in der rs20 eG.

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