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Von allen für alle

Einst trieben Genossenschaften die Elektrifizierung voran, heute die Energiewende. Aktuell sind 850 Energiegenossenschaften mit mehr als 180.000 Mitgliedern organisiert

Von Kristina Simons

Oberrosphe hat sich unabhängig gemacht: von Öl und Gas, großen Wärmeversorgern und Energieimporten. In dem kleinen Dorf in Mittelhessen leben rund 850 Menschen, 240 Haushalte. Mehr als die Hälfte von ihnen hat sich im Februar 2007 in der Genossenschaft Bioenergiedorf Oberrosphe eG zusammengeschlossen, um gemeinsam ein mit Holzhackschnitzeln befeuertes Heizkraftwerk zu bauen sowie ein sieben Kilometer langes Nahwärmenetz zu verlegen. „Wir wollten unabhängig von klimaschädlichen fossilen Energieträgern werden und unsere Energiepreise selbst bestimmen können“, sagt Hans-Jochen Henkel, Vorstandsvorsitzender der Energiegenossenschaft. „Die Rechtsform der Genossenschaft haben wir gewählt, weil es ein demokratisches Gemeinschaftsprojekt mit hohem Mitspracherecht werden sollte und uns außerdem die steuerrechtliche Unterstützung durch den Genossenschaftsverband wichtig war.“

Aktuell hat die eG 139 Mitglieder. Wer neu hinzukommt, muss 14 Anteile à 500 Euro zeichnen und 1.000 Euro Eintrittsgeld zahlen. Zusammen mit einer Million Euro Fördermitteln von der KfW Bankengruppe und dem Land Hessen sowie Bankkrediten kamen die 3,9 Millionen Euro für Heizhaus, Nahwärmetrasse und mehrere Photovoltaikanlagen zusammen. Ein durchschnittlicher Haushalt spart dank Umstellung auf die eigene Nahwärme rund 600 Euro im Jahr. „Unser Wärmepreis liegt bei 8,3 Cent brutto je Kilowattstunde, die monatliche Grundgebühr bei 29,90 Euro“, sagt Henkel. „Geld, das in der Region bleibt und nicht an irgendwelche fernen Rohstoffspekulanten fließt.“ Seit Oktober 2008 versorgt das Biomasseheizwerk das halbe Dorf mit Warmwasser für Heizung und Haushalt. Über das Nahwärmenetz gelangt es in die einzelnen Häuser, wo nun eine kleine Übergabestation mit Wärmetauscher die alten großen Ölkessel ersetzt. Die Rohstoffe, Kronenholz und Baumschnitt, stammen aus dem nahen Burgwald. Die Transportwege sind also denkbar kurz.

Seit 2011 kooperiert die eG außerdem mit einem nahen Bioenergiehof, der eine Biogasanlage mit Blockheizkraftwerk (BHKW) betreibt und die bei der Stromerzeugung anfallende Prozesswärme in das Nahwärmenetz speist. „Seitdem schalten wir das Holzheizwerk im Sommer ab“, freut sich Henkel. Das spare nicht nur Energie und der Genossenschaft Kosten, sondern bringe dem Biogasbauern auch noch zusätzliche Einnahmen. Genossenschaft und Bürger betreiben außerdem Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von etwa 450 Kilowattpeak.

Der Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist und vergütet. „2015 haben wir mit der BioEnergieService Marburger Land eG außerdem eine Einkaufsgenossenschaft gegründet, die Rohstoffe beschafft und Dienstleistungen für sechs weitere Bioenergiegenossenschaften im Landkreis anbietet.“ Der Elan der Genossen ist ungebrochen. „2019 wollen wir E-Carsharing mit zwei Fahrzeugen und einer eigenen Solartankstelle für unser Dorf einrichten.“ Unter den rund 50 Mitgliedern, die sich aktiv um das Alltagsgeschäft wie Betrieb und Abrechnung, Kontrolle und Reinigung des Heizkraftwerks kümmern, sind auch viele verrentete Dorfbewohner. „Sie haben eine sinnvolle Beschäftigung und viele Kontakte.“ Außerdem sorgen sie dafür, dass die Genossenschaft ihre Kosten niedrig halten kann.

Es waren vor allem Genossenschaften, die vor gut 100 Jahren die Elektrifizierung des ländlichen Raums vorangetrieben haben. Heute sorgen sie im Energiebereich vor allem für den weiteren Ausbau der Erneuerbaren. Aktuell sind 850 Energiegenossenschaften mit mehr als 180.000 Mitgliedern beim Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) organisiert. Allein 2017 kamen 24 aus dem Bereich erneuerbare Energien hinzu – von insgesamt 89 neu gegründeten Genossenschaften. Laut DGRV liegt dieser hohe Anteil vor allem am Bereich der regenerativen Wärmeversorgung: Jede dritte Energiegenossenschaft wird heute mit dem Ziel gegründet, ein Nahwärmenetz zu betreiben. Andere befassen sich mit Energieproduktion und -versorgung oder der Vermarktung des selbst produzierten Ökostroms. Viele Genossenschaften sind komplett in Bürgerhand, andere tun sich mit der Kommune oder Unternehmen zusammen.

Beispiel Energiegenossenschaft Odenwald eG (EGO). Unter dem Slogan „Energie aus der Region für die Region“ haben sich Anfang 2009 Gemeinde und Städte des Odenwaldkreises, ihre Bürger sowie regionale Unternehmen in der EGO zusammengeschlossen. Ihren Mitgliedern bietet sie erneuerbaren Strom aus den eigenen Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu einem Preis, der unter dem des örtlichen Energieversorgers liegt. 2015 hat die Genossenschaft in Kooperation mit der Stadt Griesheim auf dem Gelände der städtischen Kläranlage außerdem ein neues BHKW gebaut, das von der Stadt gepachtet und betrieben wird.

Bereits seit 2011 befasst sich die Genossenschaft zudem mit ökologischen, ökonomischen und sozialen Bauprojekten und hat Anfang 2018 im Landkreis die inzwischen vierte Energie-Kita fertiggestellt. Auch Mietern in der Stadt die Chance zu bieten, Solarstrom vom eigenen Dach zu nutzen, ist Anliegen der Heidelberger Energiegenossenschaft (HEG). Dafür ging sie eine Partnerschaft mit der Baugenossenschaft Familienheim Heidelberg ein, der die Mehrfamilienhaussiedlung „Neue Heimat“ in Nußloch bei Heidelberg gehört. Auf deren Dächern thronen nun 3.000 Quadratmeter Photovoltaikmodule, die im Jahr schätzungsweise 370.000 Kilowattstunden Strom erzeugen – genug für mehr als 100 Vierpersonenhaushalte. Die insgesamt 116 Mietparteien können ihn zu einem besonders günstigen Preis direkt vom Dach beziehen.

Viele sind in Bürgerhand, andere kooperieren mit der Kommune oder Unternehmen

Um die Energiewende über das eigene Dorf oder die eigene Stadt hinaus voranzutreiben, haben sich 83 Bürgerenergiegenossenschaften aus ganz Deutschland in der Bürgerwerke eG zusammengetan. Diese Dachgenossenschaft fungiert als bundesweiter Ökostromanbieter. Ansprechpartner vor Ort sind die lokalen Energiegenossenschaften, an die auch die Erlöse aus dem Stromverkauf fließen. Diesen Genossenschaften können die Ökostrombezieher beitreten, müssen es allerdings nicht. „Kunden können deutschlandweit auch einfach nur Bürgerstrom von den Bürgerwerken bzw. von ihrer Genossenschaft vor Ort beziehen“, erläutert Christopher Holzem, Sprecher der Bürgerwerke.

Zu den bekanntesten genossenschaftlich organisierten Energieversorgern gehören Greenpeace Energy und die Elektrizitätswerke Schönau (EWS). Der Greenpeace e.V. wollte Verbrauchern mit der Gründung der Genossenschaft nach der Liberalisierung des Strommarktes 1998 den Wechsel zu einem unabhängigen Ökostromanbieter ermöglichen; die EWS sind aus der Bürgerinitiative Eltern für eine atomfreie Zukunft entstanden, auch bekannt als die Schönauer Stromrebellen. Windparkbetreiber und Stromversorger Prokon, 1995 als GmbH gegründet, agiert inzwischen ebenfalls als Genossenschaft unter dem Namen Prokon Regenerative Energien eG. Mit der Umwandlung umgingen die Gläubiger die Liquidation nach dem im Jahr 2014 eingeleiteten Insolvenzverfahren. Zwar müssen die Anleger dennoch auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten, doch die Insolvenz konnte dank Genossenschaft abgewendet werden.

Während Greenpeace Energy, EWS Schönau und Prokon auch selbst Ökoenergie produzieren und entsprechende Kraftwerke bauen, fungiert die Energiegenossenschaft M4Energy als reiner Energielieferant.Endverbraucher und Gewerbekunden können hier Strom, Gas und Heizstrom beziehen, den M4Energy an der Börse auf dem Spot- oder Terminmarkt kauft. „Etwa die Hälfte der von uns gelieferten Energie ist grün, die andere Hälfte stammt aus konventionellen Quellen“, sagt Vorstand Mirko Schlegel. Wer Energie von den genossenschaftlichen Energieversorgern bezieht, muss übrigens nicht automatisch Genosse werden. Umgekehrt müssen Mitglieder der Genossenschaft nicht notgedrungen Energie von der eG beziehen. Als Genosse genießt man allerdings nicht nur Mitsprache- und Stimmrecht, sondern kann auch vom wirtschaftlichen Erfolg des Energieversorgers profitieren und gestaltet die Energiewende aktiv mit. Nicht ohne Grund gelten Genossenschaften als demokratischste Organisations- und Rechtsform.

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