: GlücklichimPlattenbau
Katrin Gassan lebt seit 13 Jahren im Kosmosviertel in Altglienicke – und das ausgesprochen gerne. Doch jetzt saniert der Eigentümer die Plattenbauten aus DDR-Zeiten. Mit erheblichen Mängeln. Die 50-Jährige ist zur Mietenaktivistin geworden
Von Johanna Kuegler (Text und Recherche), Lin Hierse (Recherche) und Christian Thiel (Fotos)
Bunte Heißluftballons schweben zwischen den Fensterreihen. Ein lachendes Kind reckt sich vom Balkon aus nach einem Heißluftballon, drumherum Blumen, Bäume, blauer Himmel. Die Szene ist eingefroren. Es handelt sich um ein riesiges Kunstwerk auf der Fassade der Plattenbauten der Wohnungsgenossenschaft Altglienicke (siehe Foto auf Seite 41).
Nur 50 Meter weiter ein anderes Bild: dieselben endlosen Fensterreihen, aber graue Waschbetonverkleidungen und Efeu. Sie dominieren im Kosmosviertel die Plattenbauten der Schönefeld Wohnen. Auch hier gibt es lachende Kinder, die Spielplätze zwischen den Häusern sind gut besucht, es wird geschaukelt, gerutscht und geklettert. Die jungen Eltern sitzen nicht weit entfernt, viele Kinder sind aber auch allein unterwegs. Das Kosmosviertel hat etwas von einem in sich geschlossenem Dorf, da geht so schnell niemand verloren.
„Ich mag es hier. Das Viertel hat eine gute Durchmischung“, erzählt Katrin Gassan und schaut zu den spielenden Kindern „aber dass die Spielplätze alle in der Sonne liegen, das ist Mist. Die Metallrutschen heizen sich doch auf. Was soll das, Kinder am Hintern gut durch?“
Altglienicke ist eines der ältesten Siedlungsgebiete im südöstlichen Bezirk Treptow-Köpenick. Rund 28.000 Menschen leben hier in sehr unterschiedlichen Wohnlagen.
Kosmosviertel: Das noch zu DDR-Zeiten zwischen 1987 und 1990 erbaute Kosmosviertel bildet mit seiner Plattenbauweise einen starken Kontrast zu den umliegenden Einfamilienhaussiedlungen und dem Stadtteil Altglienicke-Dorf mit seinem alten Ortskern. Der Name des Kosmosviertels spiegelt sich in den Straßennamen Sirius-, Venus-, Uranus- und Pegasusstraße wider.
Wegen der kleinräumigen Bezugsebene liegen aktuelle Daten für die verschiedenen Großwohnsiedlungen nur aus unterschiedlichen Zeiträumen vor. Die hier in der Grafik verwendeten Zahlen beziehen sich daher auf die Jahre 2013–16. (lhi)
Katrin Gassan lebt seit 13 Jahren im Kosmosviertel. Der 50-Jährigen gefällt es hier: die Einkaufsmöglichkeiten in der kleinen Fußgängerzone, der Bäcker Sonnenschein, der Netto. „Ich hab’ doch hier alles was ich brauche. Was will ich mehr?“ Die Sache mit den Spielplätzen stört sie jedoch. Die Nachbarschaft hatte sich einen ganz anderen Spielplatz aus Holz ausgesucht. Aus Kostengründen wurde es aber einer aus Metall, gebaut von der Schönefeld Wohnen GmbH & Co. KG.
Das Unternehmen ist der Platzhirsch im Kiez, ihm gehören dort fast zwei Drittel des Bestands – 1.900 Wohnungen. Seit der Übernahme vom landeseigenen Wohnungsunternehmen Stadt und Land Ende der 1990er Jahre wurde kaum etwas für die Instandhaltung der Wohnhäuser in DDR-Plattenbausweise getan, der Wohnstandard ist dementsprechend niedrig.
Bei Katrin Gassan floss schon einmal Wasser aus dem Lichtschalter und als die Wand aufgestemmt wurde, waren die Kabel dahinter nicht isoliert. Auch von außen sind die Mängel an den Wohnblöcken sichtbar, an vielen Stellen fehlen die Abdichtungen zwischen den Waschbetonplatten der Fassade. Wärme dringt nach außen, Wasser nach innen.
Eine Forschungsarbeit der Humboldt-Universität zu Berlin sieht in der Vernachlässigung der Wohnhäuser eine grundlegende Geschäftsstrategie der Schönefeld Wohnen. Das Angebot richte sich bislang an Menschen mit Zugangsproblemen zum Wohnungsmarkt, MieterInnen aus einkommensarmen Schichten müssten die Mängel gezwungenermaßen in Kauf nehmen. Unter ihnen würden TransferleistungsbezieherInnen bevorzugt: So ließe sich der Höchstsatz für Mietzahlungen im Harz IV-Bereich ausnutzen.
Doch nun scheint es, will der Eigentümer mehr: Nach knapp zwei Jahrzehnten der Untätigkeit verschwinden die tristen Waschbetonplatten der Schönefeld Wohnen zusehends vor den Augen der BewohnerInnen des Viertels. Einige Wohnblöcke erstrahlen in neuen Farben, andere hüllen sich noch in Gerüste und weiße Planen. Es wird saniert – energetisch. Über die Modernisierungsumlage können die Kosten dafür auf die MieterInnen umgelegt werden.
30 % sind zu viel
Katrin Gassan fand die erste Modernisierungsankündigung 2016 im Briefkasten. 124 Euro Mietaufschlag sollen der Sanierung folgen, eine mehr als 30-prozentige Steigerung. Für die Angestellte einer Verwaltungspoststelle eine nicht tragbare zusätzliche finanzielle Belastung. Die Sanierungsankündigung wurde zunächst wegen rechtlicher Unstimmigkeiten zurückgezogen, ein Jahr später war sie jedoch wieder da. „Da musste ich mir etwas einfallen lassen. Also hab ich mich umgehört und den Mieterprotest gefunden.“
Im Bürgerhaus in der Ortolfstraße finden sich regelmäßig AnwohnerInnen aus dem Viertel zusammen. Die Diskussionen sind lebhaft, an der Wand hängt ein großes Leinentuch „Wir <3 2016="" Kosmos,="" Kosmosviertel="" Mieterprotest“.="" Seit="" kämpft="" ein="" Kernteam="" von="" sechs="" bis="" zehn="" Leuten="" aktiv="" gegen="" die="" Sanierungsmaßnahmen="" und="" Mieterhöhungen.<="" p="">
Es besteht Gesprächsbedarf im Kiez, die monatlichen Treffen besuchen mal 20, mal bis zu 100 AnwohnerInnen. Einige leben schon in sanierten Häuser und berichten von Auffälligkeiten: Die angekündigte Heizkosteneinsparung von 30 Prozent tritt nicht ein, stattdessen ist der Heiz-Wärme-Mengenverbrauch bei manchen Wohnblöcken nach der Sanierung um 11 Prozent gestiegen. Untersuchungen des Mieterprotests haben die Zahlen bestätigt. Genau 50 stichprobenartige Messungen haben außerdem ergeben, dass der Dämmputz an zahlreichen Stellen viel zu dünn aufgetragen wurde, oft erreicht die Stärke nur zwei statt der nötigen sechs Zentimeter.
Je gründlicher der Mieterprotest nachforscht, desto mehr Mängel werden bekannt. Doch obwohl der Protest zunehmend lauter wird, gehen die Sanierungen ungehindert weiter. Inzwischen sind die Gerüste auch vor Katrin Gassans Haustür angekommen: „Ob die Sanierungen fachgerecht durchgeführt werden, prüft niemand. Und das Geld für ein eigenes Gutachten hat der Mieterprotest einfach nicht. Wir haben nur unser Engagement.“
Im Kosmosviertel gibt es eine Reihe von Einrichtungen: Das Quartiertsmanagement und der Info-Point sind Anlaufstellen für die BürgerInnen im Kiez. Gemeinsam mit ehrenamtlichen HelferInnen aus dem Viertel werden Kiez- und Kinderfeste organisiert, aber auch längerfristige Projekte umgesetzt wie die Erneuerung des Bolzplatzes und die Pflege der Grünanlagen. Dafür stehen dem Quartiersmanagement jährlich 150.000 Euro zur Verfügung. In Nachbarschaft liegen außerdem der Bauernhof Waslala sowie der Zirkus Cabuwazi, in dem Kinder und Jugendliche kostenlos Akrobatik, Schauspiel und turnen lernen können. (jk)
Konsequenzen hat der Eigentümer nach derzeitigem rechtlichen Stand nicht wirklich zu befürchten. Also werden Anfragen des Mieterprotestes ignoriert und Unterlagen nicht herausgegeben. Vereinzelte Klagen beeindrucken die Schönefeld Wohnen ebenfalls nicht.
Öffentlich machen
Seit Anfang 2018 geht der Mieterprotest deswegen vermehrt an die Öffentlichkeit. Katrin Gassan führt als inoffizielle Sprecherin Vertreter von RBB, Inforadio und Neues Deutschland durch das Viertel und zeigt auf abplatzende Fassadenfarbe und Wasserflecken. Die neuen Regenrohre enden in abgeschlossenen Kiesbetten direkt am Haus – die ersten Keller sind schon feucht.
Die Anliegen des Mieterbündnisses sind zwar inzwischen bei der Landespolitik angekommen, doch der Handlungsspielraum ist gering, denn energetische Sanierungen sind nicht genehmigungspflichtig. Der Senat hat deswegen eine städtische Wohnungsgesellschaft um den Ankauf der betreffenden Häuser gebeten. Doch die Verhandlungen ziehen sich bereits so lange hin, dass „jede Prognose“ über einen Abschluss „reine Spekulation wäre“, so eine Pressesprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen.
Währenddessen versucht der Mieterprotest weiter, BewohnerInnen zu erreichen. Dass Katrin Gassan durch die Berichterstattung im Viertel inzwischen bekannt ist „wie ein bunter Hund“ hilft dabei natürlich. „Die Menschen haben weniger Hemmungen uns anzusprechen.“ Einmal bat eine junge Frau sie nach einigem Zögern in die Wohnung ihrer Familie. Drinnen war die Schlafzimmerwand frisch überstrichen worden, der Grund wurde auf Fotos sichtbar: Auf der gesamten Wand hatten sich nach der Sanierung Schimmelflecken gebildet. „Die haben gummierte Farbe auf feuchten Dämmputz aufgetragen.“ Das wirkt wie eine Versiegelung, die Wohnungen können nicht mehr atmen und die Feuchtigkeit zieht nach innen. Die Familie mit drei kleinen Kindern hat Angst sich zu beschweren. Sie befürchten, dass sie dann die Wohnung verlieren könnten.
Die Geschichte von Katrin Gassan auf diesen Seiten ist Teil einer größeren Serie über das Kosmosviertel. Diese wird ab Mittwoch, den 12. Juli, online unter taz.de/kosmosviertel zu finden sein. Dort werden Menschen aus dem Kiez vorgestellt, die sich auf unterschiedlichste Weise für ihre Nachbarschaft einsetzen, zum Beispiel diese hier.
Crew mit Perspektive: Ein letzter Hammerschlag und der Nagel sitzt, zwei von drei Sitzrängen stehen. Doch der Beamer sendet statt Fußball unerklärlicher Weise eine Seifenoper. Andreas Orth und Steven Finzel (Foto links) schauen irritiert auf die Leinwand. Sie organisieren zur Fußball-WM ein Public Viewing im Kiez. Beide haben ihre Jugend hier verbracht „mit allen Höhen und Tiefen“, wie Steven sagt. Das Kosmosviertel ist für sie alles andere als perspektivlos.
Salto für den Kosmos: Der Zirkus Cabuwazi liegt wie eine grüne Oase zwischen Kosmosviertel, Einfamilienhaussiedlung und Notunterkunft für Geflüchtete. Von allen Seiten kommen Kinder und Jugendliche zusammen und werden zu Jongleuren, Akrobaten und Schauspielern ausgebildet. Wer woher kommt, interessiert niemanden. Der 22-jährige Johannes (ohne Abbildung) trainiert hier schon seit seiner Kindheit, am liebsten Trampolin. „Ohne den Zirkus wäre ich heute ein anderer Mensch.“ (jk, lhi)
Überforderung und Machtlosigkeit sind für Katrin Gassan die vorherrschenden Gefühle im Kiez. „Einige wissen gar nicht, dass sie sich wehren können.“ Auch um dem entgegenzuwirken, geht der Mieterprotest von Tür zu Tür. Doch nicht immer sind sie willkommen. „Manche machen uns direkt vor der Nase wieder zu.“ Es ist nicht nur Angst, auch Resignation und Desinteresse spielen ebenfalls eine Rolle. „Wenn die Miete sowieso vom Amt gezahlt wird, sagen viele: Wieso soll ich mich da jetzt auch noch darum kümmern. Ich hab schon genug Probleme.“
Vielfältiger Kiez
Die Mobilisierung der MieterInnen findet Katrin Gassan auch deswegen so schwierig, weil es keine übergeordnete Informationspolitik im Kosmosviertel gibt. Die Menschen zu erreichen, bleibt für den Mieterprotest das größte Problem. Flyer im Briefkasten werden schnell wie Werbung entsorgt, Aushänge im Haus sind nicht möglich, weil dafür die Erlaubnis des Hauseigentümers – die der Schönefeld Wohnen – nötig wäre. „Man kommt unheimlich schwer an die Leute heran, weil doch fast alle in ihren Gruppen bleiben. Und Fremden gegenüber ist das Misstrauen oft groß.“ Katrin Gassan geht deswegen immer wieder auf die Leute zu, setzt sich beim Bäcker auch einfach mal mit an einen Tisch und beginnt ein Gespräch. „Das machen leider die Wenigsten. Aber wenn man anfängt mit den Leuten zu reden, ergeben sich oft ganz tolle Gespräche. Da merkt man auch, wie vielfältig der Kiez ist.“
Katrin Gassan hängt am Kosmosviertel, an ihrer Wohnung mit Südbalkon. Sie möchte hier nicht weg, aber falls die Mietsteigerung kommt, wird sie wahrscheinlich keine Wahl haben. Wohin es dann gehen soll, weiß sie nicht: „Es gibt doch gar keine Wohnungen mehr in Berlin, die ich mir noch leisten kann. Ich müsste wahrscheinlich zu meiner Mutter ziehen.“
Das ist für sie nicht wirklich eine Option, also gibt Gassan weiter Interviews und kämpft mit den anderen vom Mieterprotest dafür, bleiben zu können. Im Kosmosviertel zwischen Platten, Bäumen und Spielplätzen. „Ich fühl mich wohl hier und damit ist es mein Zuhause.“
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