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Maximal kühl in der Hitze

Merkel sagt in einem TV-Interview: „Ich bin Kanzlerin.“ Seehofer macht in München ihre EU-Gipfel­beschlüsse herunter

Von Dominik Baur, Georg Löwisch und Ulrich Schulte

Angela Merkel ruckelt sich im ZDF-Hauptstadtstudio auf ihrem Stuhl zurecht. Die Kanzlerin sitzt an diesem Sonntag um kurz nach 14 Uhr der Journalistin Bettina Schausten gegenüber, die eine Frage nach der anderen abfeuert: „Ist Seehofer am Ende dieses Tages noch Innenminister?“ – „Ist die Union noch beisammen?“– „Hat Deutschland noch eine Regierung?“ Merkel schaut ungerührt. Ja, vielleicht sei der Interviewtermin heute etwas unglücklich, es gebe wichtige Gremiensitzungen. „Aber ich glaube: Das Sommerinterview gehört zur Tradition dazu.“

Merkel demonstriert an diesem Sonntag, an dem ihre Regierung wackelt, maximale Coolness. Dobrindt, Söder, Seehofer attackieren sie, der Ungar Victor Orbán drängt ihr einen Handkuss auf. Der Tscheche Andrej Babis behauptet, einen Deal, von dem Merkels Leute sprechen, gebe es nicht. Und die Italiener spielen sowieso verrückt. Aber das Sommerinterview bleibt das Sommerinterview. Und die Kanzlerin bleibt Merkel. Gehört zur Tradition dazu.

Schon irre: Zwischen der Aufzeichnung dieses Interviews und seiner Ausstrahlung nach den „heute“-Nachrichten um kurz nach 19 Uhr liegen Ewigkeiten. Ab 15 Uhr tagt in München der CSU-Vorstand mit den CSU-Bundestagsabgeordneten, ab 17 Uhr in Berlin das Präsidium der CDU. In dieser Zeit können Ministerpräsident Markus Söder und Innenminister Horst Seehofer alles Mögliche veranstalten, etwa die halbe Parteienlandschaft in die Luft jagen. Bis Redaktionsschluss der taz ist das noch nicht klar.

In München berichtet Seehofer von seinen Gesprächen mit Merkel nach dem EU-Gipfel. Was aus der Sitzung dringt, klingt bedrohlich für Merkel. Seehofer bewertet die europäischen Verabredungen kritisch. Sie seien nicht wirkungsgleich mit Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen, trägt er der CSU-Spitze vor. Er kündigt für den Schluss eine persönliche Erklärung an – und fordert seine Parteifreunde auf, bis zum Ende zu bleiben. „Hier geht es auch um die Glaubwürdigkeit eines Vorsitzenden.“

Es geht in diesem Moment nicht nur um Seehofers Zukunft, sondern auch um die der jahrzehntelangen Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag – und auch um die Zukunft der Regierung Merkels.

Die Kanzlerin will das Bild vermitteln, nicht die Getriebene, sondern Akteurin zu sein. In Brüssel bekam sie am Freitag erst in aller Herrgottsfrühe ihr Gipfelpapier. Am Samstagabend verließ Seehofer erst gegen 22.30 Uhr das Kanzleramt. Man fragt sich, wann die Kanzlerin eigentlich mal schläft. Ihre Gesichtszüge wirken etwas müde, aber die Augen schauen wach in die Kamera.

Sie teile ja das Anliegen, die Zahl der ankommenden Migranten in Europa zu verringern, die mit Schleppern kommen. Die Flüchtlinge dürften sich nicht aussuchen, wo sie ein Asylverfahren durchliefen. Das dürfe nur nicht unilateral, ohne Absprache und zulasten Dritter gehen. Wobei sie mit den Dritten natürlich nicht die Flüchtlinge meint, sondern andere EU-Staaten. Das ist der Unterschied zu Seehofer: Sie pocht auf Absprachen. Er will notfalls im deutschen Alleingang Flüchtlinge, die in anderen EU-Staaten registriert sind, an der Grenze abweisen.

Erste Erfolge kann Merkel vorweisen. Eine Absprache mit Griechenland hat sie schon erreicht. Flüchtlinge, die dort registriert sind, können in Zukunft zurückgeschickt werden, ohne nach Deutschland einzureisen. Dieses Abkommen ist wichtig, weil Griechenland einer der Staaten mit EU-Außengrenze ist, in dem am meisten Flüchtlinge ankommen. Merkel, das schrieb sie an die Spitzen der Koalition, will gar von 14 Ländern Zusagen für entsprechende Abkommen bekommen haben. Doch wie verlässlich sind sie? Tschechien, eines der Länder, widersprach umgehend. Auch aus Ungarn kam ein Dementi.

Dass es ernst wird, ist in München von Anfang an zu spüren. Schweigend schieben sich führende CSUler durch die Traube wartender Journalisten. Seehofer kommt früh. CSU-Landesgruppenchef Alexander Do­brindt sagt kurz angebunden: „Jetzt nicht, bitte.“ Oder war es „Jetzt bitte nicht“? Schwer zu verstehen in der Hektik. In der Sitzung gibt es zu Beginn eine Überraschung. Seehofer lässt seinen sogenannten Masterplan zur Asylpolitik verteilen. Da habt ihr, wofür ich kämpfe – will er das damit sagen? Das 63 Punkte umfassende Papier hatte in den letzten Tagen für Aufsehen gesorgt – weil es zwar kaum einem bekannt war, aber schon heftig diskutiert wurde.

Bettina Schausten bleibt in dem Fernsehstudio hartnäckig. Originaltöne von Markus Söder werden eingespielt, von Alexander Gauland von der AfD. Schausten fragt: „Sind Sie das Ziel dieses Konflikts?“ „Wie kommen Sie aus diesem Abwehrkampf raus?“

Merkel bleibt freundlich, kühl, stoisch. Schwierige Zeiten. Europa. Das Ganze zusammenhalten. Manchmal formt sie die rechte Hand auf dem Tisch zu einer Faust, aber dann breitet sie die Hände wieder zu einer Geste der Gemeinsamkeit aus. Schausten fragt nach dem heftigen Ton in dem Streit: „Hat Sie das auch verletzt?“ Merkel antwortet: „Ich sag’s noch mal: Mir geht’s um die Sache. Ich bin Bundeskanzlerin.“ Sie bleibt einfach da.

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