LSVD über Rehabilitierung von Schwulen: „Die Entschädigung kommt zu spät“
Bis 1969 wurde Sex zwischen Männern strafrechtlich verfolgt. Manfred Bruns (LSVD) erklärt, warum heute so wenige Verurteilte Entschädigung fordern.
taz: Herr Bruns, seit knapp einem Jahr können Menschen, die zwischen 1945 und 1969 wegen sexueller Handlungen zwischen Männern verurteilt worden sind, einen Antrag auf Rehabilitierung und Entschädigung stellen. Bisher haben das erst 99 Menschen getan. Sind sie überrascht?
Auf den ersten Blick ist die Zahl schon überraschend. Die Verurteilungen gingen bis Mitte der 1960er Jahre, da müssten einige noch heute leben und sich darüber freuen, dass sie entschädigt werden. Trotzdem: Wir haben bei den Anhörungen des Gesetzes schon immer gesagt, dass wir nur mit sehr wenigen Anträgen rechnen. Auch, weil wir damals häufig von Zeitungen gefragt worden sind, ob wir ihnen Zeitzeugen vermitteln können. Wir konnten keine auftreiben. Deswegen wundert es mich auch nicht, dass so wenige einen Antrag gestellt haben.
Woran könnte das liegen?
Vermutlich haben so wenige Menschen einen Antrag gestellt, weil der Prozess neben den juristischen Konsequenzen für die Verurteilten auch schlimme soziale Folgen hatte. Die Leute haben oft ihren Job verloren und wurden von der Gesellschaft ausgestoßen. Diese Erfahrung haben sie wahrscheinlich so stark verinnerlicht, dass sie sich dem Thema heute nicht wieder stellen wollen.
Ist das Gesetz für einige auch zu spät gekommen?
Jahrgang 1939, ist Rechtsberater beim Lesben- und Schwulenverband (LSVD). Bis 1994 war er Bundesanwalt in Karlsruhe. Für sein gesellschaftspolitisches Engagement bekam er 1994 das Bundesverdienstkreuz.
Natürlich. Zu Beginn der Bundesrepublik gab es Entschädigung für politische Verfolgung. Schwule wurden nie mitgemeint, weil sie als Kriminelle und nicht als politisch Verfolgte galten. Dafür wurden sie auch in der Bundesrepublik noch bestraft. Das Gesetz zur Rehabilitierung kam viel zu spät – auch, weil sich die CDU so lange gesperrt hat. Wahrscheinlich überlegen sich viele schon, ob sie für so eine geringe Geldsumme diese Erfahrungen nochmal durchleben wollen.
Finden Sie die Geldsumme zu gering?
Zumindest sollten nicht nur Verurteile entschädigt werden. Oft wurden Leute verhaftet, saßen Monate lang in Untersuchungshaft und wurden dann freigelassen. Sozial gesehen hatte das aber die gleichen Folgen: Auch sie waren gesellschaftlich tot. Viele haben ihre gesamte Existenz verloren und haben später nur noch Hilfstätigkeiten ausüben können, weil ihr Ruf ruiniert war. Die sollten auf jeden Fall ebenfalls entschädigt werden. Außerdem würden wir uns eine Härtefallregelung wünschen, wie es sie für die vor 1945 Verurteilten gibt. Die sorgt dafür, dass die Betroffenenen zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten, wenn sie Sozialhilfe beziehen.
Ist das Gesetz in seiner jetzigen Form und bei so wenig Resonanz überhaupt eine Errungenschaft?
Am 22. Juni 2017 beschloss der Bundestag, die Geschädigten des Paragrafen 175 zu rehabilitieren und sie zu entschädigen. Nach Angaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden in der Bundesrepublik bis 1969 rund 50.000 Männer wegen homosexueller Handlungen verurteilt. Dann wurde der Paragraf entschärft, komplett abgeschafft wurde er aber erst 1994.
Ja, das Gesetz ist insofern ein Gewinn, als dass endlich dokumentiert worden ist, dass in der Bundesrepublik viel Unrecht geschehen ist. Es hieß immer, was das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat, kann nicht falsch sein. Schon alleine deswegen ist das Gesetz eine wichtige Errungenschaft.
Ein Gesetzesentwurf vom Berliner Jusitzsenator Dirk Behrendt will den Schutz der sexuellen und geschlechtlichen Identität ins Grundgesetz aufnehmen. Ist das ein weiterer Schritt in diese Richtung?
1949 wurde der Diskriminierungskatalog, die Auflistung der Merkmale, aufgrund derer nicht diskriminiert werden darf, beschlossen. Damals war an die Aufnahme der sexuellen Identität nicht zu denken, weil sie noch strafverfolgt wurde. Es muss jetzt also nachgebessert werden. Das ist aber CDU und CSU nach wie vor ein Dorn im Auge. Gerade angesichts der homophoben Forderungen der AfD, ist es wichtig, die Rechte von Schwulen und Lesben langfristig im Grundgesetz abzusichern.
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