Die Wahrheit: Der Dressierten Zähmung

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (56): Die Geschichte der Unterwerfung von Tieren durch menschliche Alphatiere.

Ein Elefant läuft eine Straße entlang

Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon so spät? Elefant in Neuwied Foto: dpa

Der Preis für die relative Nichtverblödung der Tiere in Zirkussen gegenüber ihrer Gefangenschaft in einem Zoo ist neben dem Eingesperrtsein in einem rollenden Käfig unbedingter Gehorsam gegenüber dem Dresseur. Der Zoo-Tierpfleger hat dagegen viele Tiere zu versorgen und kann sich nicht groß um Einzelne kümmern. „Im Zoo kommt es daher meist nicht zu der tiermenschlichen Intimität, die im Zirkus die Regel ist.“ Die Dressurübungen dort bezeichnete der ehemalige Schweizer Zoodirektor Heini Hediger als „Arbeitstherapie“, während die Tiere im Zoo „längst nicht so emanzipiert sind wie ihre Artgenossen im Zirkus“, weil sie in ihren Gehegen und Käfigen nur wenige Erfahrungen machen können.

Der Tierhändler Carl Hagenbeck veränderte Ende des 19. Jahrhunderts die Haltung der Tiere in seinem Hamburger Zoo, indem er sie nicht mehr hinter Käfiggittern hielt, sondern hinter Gräben und Kunstfelsen, sodass aus diesen Gehegen Museumspanoramen mit lebendem Inventar wurden – ein „zoologisches Paradies“, wie er es nannte. Er war damit der Erste. Dazu führte er mit seinem Bruder Wilhelm in „Hagenbecks internationalem Zirkus“ die „sanfte Dressur“ (mit Belohnung und Peitsche) ein. Bis dahin wurden die Tiere meist mit glühenden Eisen und Gabeln gefügig gemacht.

Selbst bei der Zähmung von wilden Pferden war man nicht zimperlich, wie der Schriftsteller Charles Sealsfield Anfang des 19. Jahrhunderts in Texas beobachtete: „Dem Pferd werden die Augen verbunden, das furchtbare, pfundschwere Gebiss in den Mund gelegt, und dann wird es vom Reiter, die nicht minder furchtbaren, sechs Zoll langen Sporen an den Füßen, bestiegen und zum stärksten Galopp angetrieben. Versucht es sich zu bäumen, so ist ein einziger Riss dieses Martergebisses hinreichend, dem Thiere den Mund in Fetzen zu zerreißen, das Blut in Strömen fließen zu machen. Ich habe mit diesem barbarischen Gebiss Zähne wie Zündhölzer zerbrechen gesehen. Das Thier wimmert, stöhnt vor Angst und Schmerzen, und so wimmernd, stöhnend, wird es ein oder mehrere Male aufs schärfste geritten, bis es auf dem Punkte ist, zusammenzubrechen. Von nun an hat das Einfangen keine besonderen Schwierigkeiten mehr; die Wildheit des Pferdes ist gänzlich gebrochen, aber dafür eine Heimtücke, eine Bosheit eingekehrt, von der man sich unmöglich eine Vorstellung machen kann.“ „Auch im Gehorchen liegt ein Widerstreben; es ist die Eigenmacht durchaus nicht aufgegeben“, wusste schon der Kavallerist Nietzsche.

Sanfte Dressur

Der Historiker Utz Anhalt schrieb in seiner Doktorarbeit über „Tiere im Zoo und Zirkus“ (1971), dass durch die „sanfte Dressur“ ihr Vertrauen in den Pfleger oder Trainer „die Jagd- bzw. Fluchtinstinkte überdeckte“. Dennoch wurden immer wieder Dompteure von ihren Raubtieren getötet. Auch mancher Elefantentrainer­ wurde schon von einem misslaunigen Tier zertrampelt. Als „Superalphatiere“ durften Dompteure nie unaufmerksam­ sein oder Schwäche zeigen, dennoch behaupteten fast alle, sie liebten ihre Tiere. Zu dieser Ambivalenz erwähnte der Psychoanalytiker Sándor Ferenczi 1913 in einem Aufsatz die Zähmung eines Reitpferdes, das sich nicht beschlagen ließ. Der Dresseur war hier ein Hufschmied, der mit „Liebe und Strenge“ (zärtliche Worte und Streicheln beziehungsweise Brüllen und Schläge mit einem Kettenring auf die Nase) Erfolg hatte. Ferenczi bezeichnete Ersteres als eine „Mutterhypnose“ und Letzteres als eine „Vaterhypnose“.

Friedrich Nietzsche

„Auch im Gehorchen liegt ein Widerstreben“

Das „Suggerierverfahren“ des Hufschmieds sei eine geschick­te Verbindung von „Verzärteln und Ängstigen“, was „einen tiefen Eindruck auf das Pferd“ gemacht habe, so dass es gut sein könne, dass sich die „Nachwirkung“ als dauerhaft erweise. „Diese Art Dressur ist jedoch höchstens bei Tieren angebracht, deren erste Tugend die Folgsamkeit ist“, bei einem Menschen bestünde „die Gefahr, dass er für immer die Fähigkeit zum selbständigen Handeln“ verliere.

Auch „ein großer Teil der Neurotiker“ entstamme einer solchen „gezähmten Kindheit“. Für Adorno und Horkheimer resultierte daraus 1936 der dem Faschismus zugeneigte „autoritäre Charakter“. „Ob diese gewaltsame Dressur nicht auch dem Charakter oder der Gesundheit des Pferdes nachteilig ist“, lässt sich laut Ferenczi „von vorneherein nicht entscheiden“.

Zuchtmethoden

1981 veröffentlichte der in Berlin lebende japanische Philosoph Makoto Ozaki ein Buch über Dressurmethoden: „Artikulationen“. „Worin besteht die Kunst der Tierdressur, deren Leistung, Attraktion, Faszination?“, fragte er sich. „Die moderne Wendung der Tierdressur ließe sich als eine von der Zähmung zur Züchtung (nach dem Nietzscheanischen Gegensatz) charakterisieren. Für den Dresseur stellt sich die Frage, wie sich Machiavelli bezüglich des Verhältnisses zwischen dem Fürsten und dessen Untertanen fragte: Was ist besser für den Dresseur, von den Tieren geliebt oder gefürchtet zu werden? Am besten wäre es, meinte Machiavelli, zugleich geliebt und gefürchtet zu werden.“

Dieser doppelte Anspruch, ein „Doublebind“, hat die Raubtierdressur zu einer deutschen Domäne gemacht, behaupten Zirkusleute. Noch in der Nachkriegszeit hingen in den deutschen Küchen kleine Holztafeln mit Sprüchen wie: „Zur rechten Zeit erteilte Hiebe schaffen Vertrauen, Furcht und Liebe.“

In der Zeit der Weltumseglungen entdeckten europäische Forscher auf unbewohnten Inseln, dass die dort lebenden Tiere keine Scheu vor ihnen hatten. Besonders in der Südsee fühlten sich die Mannschaften wie im „Paradies“. Aber dort, ebenso wie in allen anderen Teilen der Welt, wurden die Tiere sofort massenhaft getötet und verwertet. Die Überlebenden fürchteten fortan den Menschen.

Scheue Waldvögel und handzahme Grauwale

Wo später die Jagd in Schutzzonen verboten wurde, hat man die Erfahrung gemacht, dass die Tiere nach und nach ihre Scheu verloren. Und sich immer näher an die Menschen heranwagten, so wie städtische Tauben, Spatzen und Amseln. Letztere waren vor noch nicht langer Zeit scheue Waldvögel. Der Ethnologe Werner Krauss schrieb 2007 in seinem Bericht „Die goldene Ringelgansfeder“ über die Konflikte zwischen Bauern und Tierschützern bei der Einrichtung des Nationalparks Wattenmeer, dass der Bestand an Ringelgänsen gewachsen sei und ihre Fluchtdistanz sich verringert habe: „Der Kampf hat sich also gelohnt.“

In dem Buch „Mein Leben für die Natur“ (2015) erwähnt der Ökologe Josef Reichholf ein weiteres Beispiel für sich wiederherstellendes „Urvertrauen“ durch Jagdverbote. Dabei handelte es sich um ein Grauwal-Weibchen, das im Golf von Kalifornien an die Seite eines „Whale-Watcher“-Schlauchbootes kam, damit man ihm die lästigen Seepocken vom Kopf entferne. Diese Begegnung und die offensichtliche Freude des Grauwal-Weibchens war für Reichholf so beeindruckend, dass er darüber das Fotografieren vergaß.

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