App der identitären Bewegung: Rechtsextreme Scheinspielereien

Mit „Patriot Peer“ will die identitäre Bewegung rechte Aktivist*innen per Smartphone vernetzen. Bald könnte die App fertig sein.

Martin Sellner und zwei andere Männer gucken bei einer Demonstration auf ein Smartphone

Die App von IBÖ-Chef Martin Sellner (links) ist kein Spiel, sondern eine rechtsextreme Vernetzungsstrategie Foto: imago/Michael Trammer

Martin Sellner, Kopf der identitären Bewegung in Österreich, ist glücklich. Wie ein Teenager sitzt er im Wiener Türkenschanzpark und spielt an seinem Smartphone. Zwei Mitglieder der IB sind bei ihm und testen gerade den neuen „Patrioten-Radar“ der identitären Bewegung. Am Ende des Videos auf Sellners Youtube-Kanal, in dem sich diese Szene abspielt, geben beide ein scheinbar auswendig gelerntes Statement darüber ab, wie toll sie die App „Patriot Peer“ finden.

„Kräfte vernetzen“, die „schweigende Mehrheit visualisieren“ und den „Widerstand als Spiel“ aufbereiten: Laut offizieller Website soll die App, an der die IB um Martin Sellner seit über einem Jahr arbeitet, all das können. Finanziert wird das Projekt durch Spenden, die über das Portal kickstarter gesammelt wurden. Die Produktion dauerte deutlich länger als erwartet, eine Anklage gegen 17 österreichische Identitäre verkomplizierte die Veröffentlichung der App um ein Weiteres. Nach einem Aufruf über den Vlog von Martin Sellner, der selbst angeklagt ist, hat sich nun jemand anderes gefunden, der die App auf den Markt bringt: Kai Alexander Naggert, IT-Manager und Mitglied der Identitären Bewegung in Nordrhein-Westfalen. Sobald die Anwendung fertig getestet und DSGVO-tauglich ist, soll sie in den jeweiligen App-Stores erhältlich sein.

„Patriot Peer“ ist zunächst eine für Jede*n zugängliche Netzwerk-App mit Ortungsfunktion. Nutzer*innen erstellen ein Profil, entscheiden, wann und für wen sie sichtbar sein wollen und sehen andere auf einer Karte. Die können dann „gepingt“ und „gepeert“ (angestupst und durch gegenseitigen QR-Code-Scan befreundet) werden und mit anderen User*innen Kontakt aufnehmen. Zusätzlich baut die App auf spielerische Weise Hierarchien auf: Nutzer*innen sammeln mit jedem neuen „Peer“ Punkte und steigen je nach Punktzahl in höhere Levels auf. „Peers“ aus höheren Levels geben mehr Punkte. Für wen man sichtbar ist, kann dabei je nach Level eingestellt werden.

Was wie eine sinnlose, aber herkömmliche App klingt, wollen die „Patrioten“ von der identitären Bewegung für ihre rechten politischen Zwecke nutzen. Auf IB-Veranstaltungen und bei politischen Aktionen soll es dann QR-Codes geben, die Punkte einbringen. Wenn man sich ansieht, was die IB sonst so macht, gibt es wohl bald auch Punkte dafür, Boote von Hilfsorganisationen im Mittelmeer an ihrer Arbeit zu hindern oder kulturelle und politische Veranstaltungen zu stören. Die App, die die IB entworfen hat, wirkt wie eine spielerisch aufbereitete Kaderschmiede, die rechtes und völkisches Gedankengut hip, smartphone- und wettbewerbsfähig machen soll. Der Hass, der durch die IB verbreitet wird, soll nun auch noch Punkte und Spaß bringen und die Hierarchien unter einander festigen. Schon jetzt misst Sellner sich in seinen Videos mit anderen Identitären an seinen Punkten.

Reaktionen zwischen Angst und Begeisterung

Auf Youtube erhalten Sellners Videos über Patriot Peer viel Zuspruch. IB-Sympathisant*innen meinen, es sei endlich Zeit, sichtbar zu machen, dass Identitäre und „Patrioten“ in der Mehrheit seien. Andere stellen befremdliche Fragen zu den Funktionen der App: „Kann man sich Single-Patriotinnen zwischen 18 und 25 im Umkreis explizit anzeigen lassen?“, fragt Youtube-Nutzer Forleon unter dem Video, in dem Patriot Peer angekündigt wird. Sucht da jemand nach einer Art identitärem Tinder?

Vor einer Sache haben viele IB-Anhänger*innen aber jetzt schon große Angst, wenn es um „Patriot Peer“ geht: der Antifa. Niemand könne garantieren, dass auch Menschen, die etwas gegen die identitäre Bewegung haben, sich die App herunterladen und anfangen, Identitäre zu tracken. In einer Antwort auf die Kommentare zur „Angst vor der Antifa“ behauptet Martin Sellner, durch die Levelstruktur und die „unsichtbar“-Funktion könnten Antifaschist*innen daran gehindert werden, den Aufenthaltsort Identitärer zu ermitteln. Außerdem könne die App nur auf einige Meter genau orten, im urbanen Raum wüsste man häufig nicht genau, bei welcher Person es sich um ein Mitglied der IB handelt.

Ganz überzeugend klingt das alles jedoch nicht: Wer sagt, dass sich nicht auch Menschen, die etwas gegen die Identitären haben, untereinander in höhere Level peeren können? Rein hypothetisch scheint auch das möglich. Sellner kennt dagegen ein letztes Mittel: „Wenn du einen Verdacht hast, nimmst du einfach zwei Freunde mit“. Das ist also die „schweigende Mehrheit“, die die IB hinter sich sieht.

Aus rein technischer Sicht wird die App bald fertig sein. Es bleibt abzuwarten, ob und wann „Patriot Peer“ auf den Markt kommt und wer die Anwendung dann nutzt. Sellner jedenfalls ist vorfreudig und verspricht sich und anderen Identitären vieles von der App: „Wenn ihr Nichts habt, worin ihr gut seid, im ganzen Leben versagt habt, könnt ihr immer noch (…) bei Patriot Peer der höchste Level-Patriot werden.“

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