piwik no script img

„Da geht es nur darum, eine Stimmung am Leben zu halten“

Der Politologe Olaf Kleist kritisiert, dass Vorwürfe in der Berichterstattung über das Bremer Bamf als Tatsachen dargestellt worden seien. Die Debatte bereite des Boden für eine restriktivere Politik

Olaf Kleist, 42, lehrt am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück. Der Politikwissenschaftler beschäftigt sich mit der Flüchtlings- und Asylpolitik in Deutschland und Europa.

Interview Andrea Maestro

taz: Herr Kleist, ist es ein Skandal, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Bremen Syrern ohne große Prüfung Asyl gewährt hat?

Olaf Kleist: Ja und nein. Es ist kein Skandal, weil das damals übliche Praxis war. Im Jahr 2015 hat das Bamf schnellere Verfahren für Flüchtlinge eingeführt, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie einen Schutzstatus bekommen. Das galt zum Beispiel für Syrer, bei denen die Anerkennungsquote zwischen 95 und knapp 99 Prozent lag, oder für irakische Jesiden.

Und was macht dann den Skandal aus?

Dass aufgrund des Drucks, den das Bamf durch die großen Zahlen von Flüchtlingen hatte, Verfahren nicht richtig durchgeführt wurden.

Das Problem bestand also nicht nur in Bremen?

Genau. Das war die Praxis des Bamfs bundesweit. Mit den verkürzten Verfahren für bestimmte Flüchtlingsgruppen wollte man dagegen vorgehen, dass die anhängigen Verfahren immer mehr wurden.

Momentan dreht sich die Diskussion darum, dass Menschen in Bremen ein Bleiberecht bekommen haben. Könnte es sein, dass anderswo Asylanträge massenhaft zu Unrecht abgelehnt wurden?

Ja. Das erleben wir gerade vor den Verwaltungsgerichten, wo Hunderttausende Fälle anhängig sind. Hier liegt der eigentliche Skandal, der aber öffentlich kaum diskutiert wird. Viele Menschen, die ein Recht auf Schutz haben, haben den vom Bamf nicht bekommen. Die Zahlen sind sehr viel höher als die, über die im Bremer Fall gesprochen wird. Hinzu kommt, dass in Bremen noch nicht einmal klar ist, ob die Menschen zu Recht oder zu Unrecht einen Schutzstatus bekommen haben.

Warum haben sich jetzt alle so auf Bremen eingeschossen?

Hier wird auf politischer Ebene ein vermeintlicher Fall aufgegriffen, um eine populistische Diskussion über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung fortzuführen, die im Herbst 2015 begonnen hat. Dass das nicht viel mit der Bamf in Bremen zu tun hat, sieht man in der Beantragung der Untersuchungsausschüsse durch AfD und FDP.

Inwiefern?

Die FDP will unter anderem fragen, wie es zur Migration nach Deutschland gekommen ist. Da geht es nur darum, eine Stimmung am Leben zu halten, die meines Erachtens sehr unproduktiv ist, wenn man wirklich die Missstände im Bamf beheben will.

Inwiefern tragen die Medien dazu bei?

Ich würde hier von einem Versagen des Journalismus sprechen. Es gab Vorwürfe, die in der Berichterstattung ungeprüft übernommen wurden. Es wurde etwa von Anfang an berichtet, dass 1.200 Asylbescheide zu Unrecht ausgestellt wurden. Niemand hat diese Bescheide überprüft. Gerade in einer so gefährlichen Debatte dürfen Vorwürfe aber nicht so berichtet werden, als seien sie Tatsachen.

Welche Folgen kann die Skandalisierung dieses Falls haben?

Sie wird eine populistische, restriktivere, und wie ich finde, gefährlichere Politik rechtfertigen. Selbst wenn jetzt aufgeklärt wird, dass es in Bremen vielleicht gar keine unrechtmäßigen Fälle gegeben haben sollte, wird das in den Köpfen so zurück bleiben. Die Flüchtlingspolitik selber wird dadurch diskreditiert und beispielsweise Ankerzentren Vorschub geleistet. Eine ausgewogene Politik hat in einer solchen Atmosphäre keine Chance mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen