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Mehr Ideal als Realität

Obwohl das Wechselmodell, die gleichberechtigte Betreuung der Kinder in Trennungsfamilien, juristisch aufgewertet wurde, praktiziert es nur eine Minderheit

Hannes Koch

Das Leben kann einfach sein, erscheint es auch schwierig. Wenn Elternpaare sich trennen, sind sie nicht gezwungen, ihre Kinder in Stellung zu bringen. Eine gute Lösung für die Betreuung des Nachwuchses in unterschiedlichen Haushalten kann deshalb das Wechselmodell darstellen: Anstatt nur bei einem Elternteil zu leben, verbringen die Kleinen ähnlich viel Zeit bei Mutter und Vater. In den vergangenen Jahren neigen mehr Eltern diesem Modell zu, die Rechtsprechung hat es aufgewertet, und auch im Bundestag steht es zur Debatte.

Die FDP will das Wechselmodell zur Regel machen, erklärte sie unlängst im Parlament. CDU und Linke waren dagegen. Die SPD tendiert dazu, die gleichberech­tigte Kindererziehung nach der Trennung als Option ins Gesetz zu schreiben. Jetzt liegt die Angelegenheit erst mal in den Ausschüssen.

Beim Wechselmodell wohnen die Kinder abwechselnd in den Haushalten von Mutter und Vater, die sich die Erziehungsverantwortung paritätisch teilen. Diese Variante wird wichtiger, weil getrennt lebende Väter sie verlangen. Manche sind nicht mehr damit zufrieden, dass der Nachwuchs vornehmlich bei der Mutter lebt. Aber auch mehr Frauen begrüßen es, weil sie Verantwortung für die Erziehung abgeben können und mehr Freiraum für ihre Entwicklung genießen. Dem Wechselmodell gegenüber steht meist das Residenzmodell: Die Kinder haben ihren Lebensmittelpunkt in einer Wohnung, vor allem bei der Mutter. Beim Vater verbringen sie deutlich weniger Zeit.

Heute wohnen etwa drei Viertel der Kinder getrennt lebender Eltern ganz oder überwiegend bei den Müttern. Nur 9 Prozent verbringen jeweils die Hälfte der Zeit bei beiden Elternteilen, ergab eine Umfrage des Instituts Allenbachs für das Bundesfamilienministerium 2017. 77 Prozent der geschiedenen Paare würden ihre Kinder auch nach der Trennung am liebsten gemeinsam erziehen. Dieser Widerspruch deutet auch auf Pro­bleme hin, die die gleichberechtigte Betreuung mit sich bringt.

„Die Rahmenbedingungen widersprechen dem Wechselmodell heute oft“, sagt Christiane Reckmann, Vorstand des Zukunftsforums Familie. Wegen der hohen Mieten ist es schwer, zwei bezahlbare Wohnungen zu finden, die nicht zu weit voneinander entfernt sind. Überhaupt scheitert paritätische ­Erziehung oft an den Kosten. Das Wechselmodell ist teurer als das Residenzmodell, weil große Teile der Kinderinfrastruktur in beiden Wohnungen vorhanden sein müssen – im Idealfall also für zwei Kinder vier ­Kinderzimmer.

Das Wechselmodell ist noch zum guten Teil eine Idealvorstellung. Viele Paare praktizieren eine gleichberechtigte Erziehung selbst dann nicht, wenn die Familie in einer Wohnung lebt. Obwohl die traditionelle Rollenverteilung öffentlich infrage gestellt wird, gehen Väter oft eher ihrer Karriere nach. Viele Frauen stecken beruflich zurück und widmen sich stärker der Erziehung. Diese ungleiche Verteilung von Erziehungs- und Erwerbsarbeit nach einer Scheidung plötzlich aufheben zu wollen scheitert oft an den Realitäten. Denn die Kinder haben sich an diese Konstellation gewöhnt.

Deshalb sagt Forumsvorstand Reckmann: „Das Wechselmodell muss stärker ermöglicht werden als bisher, es darf aber keine gesetzliche Vorrangstellung einnehmen. Vielmehr sollte es gleichberechtigt neben anderen Umgangsmodellen stehen.“ Miriam Hoheisel, Geschäftsführerin des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter, sieht das ähnlich: „Im Einzelfall kann das Wechselmodell eine gute Lösung sein, als Standard eignet es sich aber nicht.“

Eltern, die das Wechselmodell praktizieren, haben es in der Regel selbstständig ausgetüfelt, weil sie ihren Trennungsstreit nicht über die Kinder austragen wollen und auch nach der Scheidung in der Lage sind, miteinander zu kommunizieren. Kann man sich nicht einigen, und landet die Auseinandersetzung vor dem Familiengericht, entscheidet dieses meist für Varianten des Residenzmodells. Wobei der Berliner Rechtsanwalt Gregor Noack eine Veränderung bemerkt: „Die Rechtsprechung verschiebt sich etwas in Richtung des Wechselmodells.“

Ein Indikator dafür ist die viel beachtete Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom Februar 2017. Anders als zuvor können Familiengerichte das Wechselmodell nun auch anordnen, wenn ein Elternteil sich dagegen ausspricht und es dem Wohl der Kinder besser dient als die Residenzvariante. „Mit seiner Entscheidung hat der BGH das Kindeswohl betont“, sagt Noack. Seitdem betrachten mehr Familiengerichte die paritätische Erziehung nach der Trennung als eine gängige Option.

Wer die Gleichberechtigungsvariante wählt, muss sich in jedem Fall mit einigen juristischen Feinheiten auseinandersetzen. Selbst wenn die Kinder zwei Wohnungen nutzen, dürfen wegen des Melderechts nicht beide als Hauptwohnsitz eingetragen werden, erklärt Anwalt Noack. „Daraus resultieren mitunter Schwierigkeiten, beispielsweise bei der Schulwahl.“

Das Kindergeld wird immer an ein Elternteil überwiesen. Die Verteilung muss man dann selbst regeln. Die Unterhaltszahlung kann ebenfalls Pro­bleme machen. Auch wenn die Eltern im Wechselmodell jeweils die gleichen Kosten tragen, muss der besser verdienende Partner einen höheren Anteil davon übernehmen – jedenfalls wenn der Fall vor Gericht entschieden wird. Kommt man ohne Anwält*innen und Richter*innen aus, ist man daran nicht gebunden.

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