10. Berlin Biennale – die Spielorte: Die Kunst ist der Vermittler
Ateliers für Künstler und Fußballübertragungen zur WM: Das Zentrum für Kunst und Urbanistik spielt eine zentrale Rolle bei der diesjährigen Biennale.
Beim Rundgang durch das Zentrum für Kunst und Urbanistik im ehemaligen Güterbahnhof Moabit ist viel los – der Bauarbeiter von draußen fragt nach Wasser, eine Feier von Künstlern in der großen Haupthalle wird gerade abgebaut und im Bereich der Ateliers für die ausgeschriebenen Residenzen sitzt eine Gruppe von neun Leuten beim gemeinsamen Essen auf der überdachten Terrasse des ehemaligen Bahnsteigs.
Dieses Ein und Aus sei ganz normal, versichert Philip Horst und erklärt die Rolle des ZK/U als Vermittler für kulturelle Projekte in der Stadt. Seit er das Gebäude 2013 nach Renovierung und Sanierung mit seinen Künstlerkollegen Matthias Einhoff und Harry Sachs bezog, vernetzt er kulturelle Projekte im städtischen Bereich.
Darunter fällt etwa die Initiative Haus der Statistik, deren Mitglied das ZK/U ist. Die Initiative vermittelt die Planung der Zukunft des Haus der Statistik, eine ca. 40.000 Quadratmeter große Gebäudeeinheit am Alexanderplatz, die bis 2024 in sozialen Wohnraum und Arbeitsräume für Kunst und Kultur umgewandelt werden soll.
Zentrale Rolle des ZK/U bei der Jubiläums-Biennale
In der Zeit vor dem ZK/U konzentrierte sich das Künstlerkollektiv unter dem Namen KUNSTrePUBLIK auf ihren Skulpturenpark an der ehemaligen Grenze im Berliner Zentrum. Bei der 5. Berlin Biennale vor zehn Jahren war der Mauerpark sogar einer der drei Hauptschauplätze. Damals war auch Gabi Ngcobo Besucherin der internationalen Ausstellung für zeitgenössische Kunst. Als Kuratorin der diesjährigen 10. Biennale erinnerte sie sich an den Ort und kontaktierte Horst und seine Kollegen.
Nach einem Treffen mit ihrem Team im Sommer 2017 stand fest, dass das ZK/U eine zentrale Rolle bei der Jubiläumsbiennale spielen soll. Es repräsentiert mit seinen Innerstädtischen Projekten das aktuelle Geschehen in Berlin und kontrastiert somit die historische Seite der Akademie der Künste und die Entwicklungen während der 90er Jahre, die das KW Institute for Contemporary Art darstellt.
Unter dem Motto „I’m not who you think I’m not“ möchte Ngcobo in ihrem dreimonatigen Ausstellungsprogramm persönliche Perspektiven beleuchten und Intersubjektivität fördern. Eine Leitlinie, die Horst mit seiner Arbeit im ZK/U schon lange verfolgt, denn viele Sachverhalte und Stadtprojekte müssen von ihm für mehrere Betrachter gleichermaßen nachvollziehbar gemacht werden. „Die Kunst ist beim Vernetzen und der Arbeit im Stadtraum unser Vermittler“, sagt er.
Trotz Biennale geht das normale Programm weiter
Obwohl zur Biennale viel Aufmerksamkeit auf das Zentrum gelegt wird, geht das normale Programm weiter. Wie zu Fußballweltmeisterschaften üblich, werden die Spiele im großen Projektraum und im umliegenden Park unter dem Titel Fußballaballa per Splitscreen übertragen. Neben dem Spiel zeigt der andere Teil des Bildschirms einen Künstlerfilm über Russland. Auch das Speisekino, ein beliebtes Kinoformat, bei dem zum gezeigten Film Essen gekocht wird, findet während der Biennale weiterhin wöchentlich statt.
Der Austausch mit dem Team der Biennale ging aber so weit, dass das Kinoprogramm bis September von deren Seite bestimmt wird. Auch drei der Künstlerresidenzen wählte Ngcobo aus. Die privaten Ateliers werden für die Biennale zu begehbaren Ausstellungsräumen und ermöglichen es den Besuchern, einen besonderen Einblick in das ZK/U zu bekommen.
Dafür wird Tessa Mars aus Haiti bis zum letzten Moment an ihren Arbeiten sitzen. Die 32-jährige Künstlerin lebt und arbeitet seit April im der Residenz mit der Nummer 2 im ZK/U. In Mars’ aktuellen Zeichnungen auf Papier erkennt man deshalb auch Möbel wie den mit rotem Stoff bezogenen Sessel im Atelier wieder.
Tessa Mars hat eine Mission
Die Künstlerin malt sich in den Bildern selbst oder ihr Alter Ego Tessalines, das vom haitianischen Nationalhelden Jean-Jacques Dessalines inspiriert ist. Die mystischen Abbildungen ihrer Person mit Hörnern, Uniform und schlangenartigen Accessoires sind nur zum Teil koloriert und hängen neben zusammengesteckten, organischen Formen aus Papier.
„Die Arbeit ist sehr persönlich und entsteht, wenn ich in mich gehe“, sagt die Künstlerin und streicht sich mit den durch Farbresten gepunkteten Fingern durch die Haare. Die Konfrontation mit sich selbst und ihrem Alter Ego bewirkt eine persönliche Transformation. Dass sie eine berühmte Person aus der Geschichte ihres Landes dafür benutzt, hat mehrere Gründe.
Als Tessa Mars drei Jahre lang im französischen Rennes bildende Kunst studierte, wurde ihr klar, dass sie sich von der Lehre nicht angesprochen fühlte: „Wir in Haiti sind auch ein Teil der französischen Geschichte, aber sie sprechen nicht darüber“, sagt Mars. Dass die Künstlerin ihre Bilder und Papierskulpturen nun in Berlin und somit Europa zeigt, ist auch eine Art Mission und Aufarbeiten der Historie für sie. „Wir brauchen keine neuen Helden“, sagt sie, „es existieren genügend Geschichten, die erzählt werden sollten.“ Die 10. Berlin Biennale eröffnet am Samstag.
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