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Tschüss, Kohle

Eindrucksvolles Statement für das Ruhr-Kulturgebiet: die Mammutschau „Kunst & Kohle“ mit 20.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, die derzeit in 17 Ruhrkunstmuseen parallel zu besuchen ist

Von Max Florian Kühlem

Kunst und Kohle, das sind zwei Pole, zwischen denen das Ruhrgebiet schwingt. Die Kohle geht noch in diesem Jahr, am 21. Dezember bekommt sie ihre „zentrale Abschiedsveranstaltung“ auf der Zeche Prosper Haniel in Bottrop, die als letzte aktive Steinkohlezeche schließt. Die Kunst ist dafür weiter im Kommen – das wird zumindest gern behauptet, zum Beispiel von Stadtmarketing-Agenturen, die in der Region um die sogenannte kreative Klasse buhlen und Flair und Entwicklungspotenzial versprechen wie im Berlin der 1990er Jahre. Die Wahrheit liegt naturgemäß irgendwo anders und Ferdinand Ullrich kommt ihr nahe, wenn er sagt: „Dass das Ruhrgebiet Kunst- und Kulturgebiet sei, ist noch Behauptung. Wir versuchen, sie wahr zu machen.“

Ullrich ist Projektleiter der Mammutschau „Kunst & Kohle“, die tatsächlich als eindrucksvolles Statement für das Ruhr-Kulturgebiet stehen kann: Sie füllt 20.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche in 17 von 20 Museen, die sich vor zehn Jahren zum Verbund Ruhrkunstmuseen zusammengefunden haben. Diese Dichte von Kulturstätten in einer überschaubaren Region ist europaweit einzigartig – und das Symbol, das von dieser gemeinsamen Anstrengung ausgeht, gewaltig. Es kann für die Haupttugenden des Bergbaus stehen, die man hier gerne hochhält – Solidarität und Verlässlichkeit.

Dabei herrschen umgekehrte Verhältnisse: Während das überregional bekannte Flaggschiff Museum Folkwang bloß in der eigenen Sammlung gekramt hat, um mit im Katalog zu stehen, und Ideallandschaften des Industriegebiets aus der Radierwerkstatt Hermann Kätelhöns (1884–1940) zeigt, hat zum Beispiel das eher regional wirkende Emschertal-Museum in Herne einen aktuellen Star der Kunstszene abbekommen: Ibrahim Mahama, der vergangenes Jahr auf der documenta in Kassel Torhäuser mit Jutesäcken verhüllte, hat diese Aktion unter dem Titel „Coal Market“ für das Herner Schloss Strünkede modifiziert.

Um zu verstehen, wie das Ruhrgebiet in Bezug auf Kunst und Kultur tickt, mag man sich eine kleine Szene aus dem Park um das Wasserschloss vor Augen führen: Hier geht Willi Zehrt, Künstler, Herner Original und kritischer Geist, gern mit seinem Hund spazieren. „Ich finde das Kunstwerk nicht gut. Es ist eine Kopie von Christo“, sagt er mit abschätzigem Blick auf die ersten Jutefahnen, die um die Wände schlackern. Eigentlich sei es sogar eine doppelte Kopie, weil der Künstler bei der documenta ja schon dasselbe getan habe. Doch dann schiebt Zehrt hinterher: „Aber toll, dass so etwas nach Herne kommt!“ Die Kunst taugt also nichts, aber wenigstens passiert in der Peripherie überhaupt mal was.

Bis auf die Tatsache, dass er auch Gebäude verhüllt, hat Ibrahim Mahamas Kunst mit Christo allerdings nicht viel gemein: Er verhüllt mit benutztem, verschlissenem, verstaubtem Material, das von der globalisierten Warenwelt erzählt: Die Jutesäcke werden in Asien hergestellt, rund um den Globus vertrieben, in Ghana zum Verpacken von Kakao, Kaffee oder Reis verwendet und am Ende ihres Gebrauchswegs für den Transport von Kohle – auch den Export nach Europa.

Dass Mahama mit dieser Art zu arbeiten gerade rund um den Globus tourt, ist nur folgerichtig: Sein Werk zirkuliert auf dem Kunstmarkt wie Waren im Welthandel. In Herne korrespondiert sein Werk direkt mit dem Ort, seiner Geschichte und Gegenwart: Anfang des 20. Jahrhunderts ging das Schloss Strünkede an die Harpener Bergbau AG und wurde zum Symbol des neuen Reichtums der Region durch Bergbau. Heute schließt hier zwar die letzte Zeche. Unter der Erde liegt allerdings noch Kohle für mehrere hundert Jahre. Der Abbau ist der kapitalistischen Logik folgend bloß unrentabel und für die weiter betriebenen Kraft- und Stahlwerke wird deshalb Kohle aus Regionen importiert, in denen Löhne und Arbeitsschutz weit unter den von Arbeitern hart erkämpften Standards des Ruhrgebiets liegen.

Das Schloss Strünkede wurde zum Symbol des Reichtums durch Bergbau

Auf rund 220 Millionen Euro beziffern sich die sogenannten Ewigkeitskosten des Ruhrbergbaus – pro Jahr. Mit diesem Geld wird zum Beispiel das Grundwasser des durch Schachtanlagen abgesackten Ruhrgebiets abgepumpt, damit aus dem Städteteppich keine Seenlandschaft wird. Dass jetzt rund 2,5 Millionen Euro für die Schau „Kunst & Kohle“ zu Verfügung stehen – unter anderem von der RAG-Stiftung, die die Ewigkeitskosten trägt –, verdeutlicht das Verhältnis von Kunst und Kohle im Gebiet. Trotzdem hat die Summe den Museen außergewöhnlich starke Auftragswerke erlaubt.

Im Kunstmuseum Bochum etwa hat Andreas Golinski wie immer ortsspezifisch gearbeitet: Im Obergeschoss des Hauses versperrt dem Besucher eine drei Meter hohe, metallische Wand den Weg, die an die Rasterfassade des Museums erinnert. Hat er den schmalen Weg vorbei gefunden und ist dem kurzen labyrinthischen Eingangspfad gefolgt, entdeckt er einen offenen und lichten Raum, aus einem Haufen zerbrochener Bodenplatten ragen Metallstücke. Ein rätselhafter Ort, vielleicht eine Brache, vielleicht eine archäologische Ausgrabungsstätte. „In den Tiefen der Erinnerung“ heißt Golinskis Ausstellung, die an anderer Stelle in einen Dialog mit den antiken Architekturfantasien Giovanni Battista Piranesis oder Malewitschs schwarzen Quadraten tritt und die 250 Jahre Bergbau an der Ruhr so ästhetisch und geschichtsphilosophisch reflektiert von einem Standpunkt aus, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbindet.

Wer in die reale Geschichte der Kohle eintauchen will, muss in die Mischanlage der Zeche Zollverein in Essen. Da erzählt das Essener Ruhrmuseum gemeinsam mit dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum parallel zur Schau „Kunst & Kohle“ das „Zeitalter der Kohle“ – in seiner politischen, technischen und wissenschaftlichen Dimension. Spektakulär ist schon die Einfahrt mit einer Standseilbahn über eine ehemalige Kohlebandbrücke, die grandios gestalteten Erfahrungsräume sind es sowieso – und das wertvollste Exponat, der Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, macht deutlich, was die Kohle auch gebracht hat: Frieden in Europa durch wirtschaftliche Zusammenarbeit.

„Kunst & Kohle“. Bis 16. 9. an 17 Museen des Ruhrgebiets, ruhrkunstmuseen.de

„Das Zeitalter der Kohle“. Bis 11. 11. in der Mischanlage der Zeche Zollverein, Essen, zeitalterderkohle.de

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