Mit Reimen kämpfen

Die Londoner Rapperin Little Simz hat Biss und mischt damit die machistisch geprägte HipHop-Szene auf. Jetzt gibt sie Konzerte in Berlin und Hamburg

Rappt mal atemberaubend schnell und scharf, mal groovend und entspannt: Little Simz Foto: Jack McKain

Von Philipp Weichenrieder

Musik ist für Little Simz wie Therapie. Auf ihrem aktuellen Album „Stillness In Wonderland“, das die britische Rapperin auf ihrem eigenen Label Age101 veröffentlicht hat, reflektiert die Londonerin, wie es ihr als erfolgreiche Künstlerin im Musikgeschäft ergeht. Immer wieder schwankt sie dabei zwischen schonungsloser Skepsis, kritischem Selbstzweifel und nachdrücklicher Selbstbehauptung.

Bevor sich die 24-Jährige auf Musik konzentrierte, war sie eine begeisterte Tänzerin. Als Teenagerin stellte sie sich vor, in Musikvideos der US-Rapperin Missy Elliott zu tanzen. Später bekam sie Rollen als Schauspielerin in einer britischen Kinder- und einer Jugend-TV-Serie. Obwohl inzwischen die Musik im Vordergrund steht, ist darstellende Kunst nie ganz bei Little Simz in den Hintergrund gerückt. Videoclips zu ihren Songs wirken oft wie kurze Erzählungen, zu ihrem Album „Stillness In Wonderland“ erschien begleitend ein 15-minütiger Kurzfilm. Für den afrofuturistischen SuperheldInnen-Film „Black Panther“ sprach sie für die Rolle der Technikexpertin Shuri vor, bekam sie aber nicht. Die Enttäuschung darüber hielt sich in Grenzen, unter anderem, weil Little Simz zu der Zeit, in der der Film produziert wurde, stattdessen mit Damon Albarns Pop-Projekt Gorillaz auf Welttournee ging.

Seit ihrem ersten Mixtape (2010) widmet sich Simbiatu Ajikawo, wie Little Simz mit bürgerlichem Namen heißt, in ihren Texten ausführlichen Reflexionen über sich, die Gesellschaft und die Musikindustrie. Mit dieser Offenheit, ihrer lyrischen Versiertheit und der Bissigkeit ihres Reimstils hat sie sich einen Namen über Großbritannien hinaus gemacht.

Ihre Texte drehen sich nicht nur um ihr eigenes Leben. Sie spricht auch über gesellschaftliche Zwänge und politische Entwicklungen, ist wie nebenbei Sprachrohr für Geschlechtergerechtigkeit, ohne das Thema zu forcieren. Das Label „female MC“, also „weibliche MC“, lehnt sie verständlicherweise ab. Schließlich wird auch nicht von „male MCs“ gesprochen.

In „Persons“, dem ersten Track ihres Debütalbums „A Curious Tale Of Trials + Persons“ (2015), betont sie: „Women can be kings“, Frauen können Könige sein. Als sie im März das eintägige Festival „Welcome to Wonderland: The Experience – Part II“ in London organisierte, bestand das Line-up mehrheitlich aus Schwarzen Frauen. Auf Twitter schrieb sie dazu, dass sie lieber selbst Möglichkeiten schaffen wolle, als Energie dafür zu verschwenden, sich darüber zu beschweren, dass es zu wenige gebe. Little Simz nutzt die Chancen, die mit ihrer wachsenden Bekanntheit kommen, und unterstützt damit auch andere Künstler*innen.

Nina Simone als Vorbild

Während ihr Debütalbum geprägt war von düsteren, beklemmenden und brachialen Beats, klingen die Instrumentals auf ihrem zweiten Album „Stillness In Wonderland“ offener und leichter. Jazz lässt sich heraushören, auch Funk und R & B. So stilistisch vielseitig die Beats gestaltet sind, so sicher setzt Little Simz ihre Reime auf den Rhythmus, mal atemberaubend schnell und scharf, mal groovend und entspannt. Dabei thematisiert sie zweifelnd die Früchte des Erfolgs und die Auswirkungen auf ihre Persönlichkeit oder kritisiert in „LMPD“ Polizeigewalt.

In „Persons“, dem ersten Track ihres Debütalbums von 2015, betont sie: „Women can be kings“, Frauen können Könige sein

Auf dem Track, bei dem sie Unterstützung von Reggaesänger Chronixx bekommt, rappt sie: „I’m not half the woman Maya was / Still I hear the voice of Nina here guiding us / We’re running out of legends / I know they look from the heavens down on me / I can’t let them down / The people that are meant to be protecting us are killing us.“ Damit ruft Little Simz die Dichterin, Regisseurin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou und die engagierte Musikerin Nina Simone als Vorbilder im Kampf gegen strukturelle rassistische Diskriminierung in Erinnerung. Little Simz vergleicht sich nicht, sieht sich aber in der Verantwortung, ihnen zu folgen. Sie bleibt dabei nicht bei sich selbst stehen. So beendet sie die Strophe mit den Worten: „Anxiety and adrenaline / I know you feel the rush / Do you hear me now?“ Es geht um uns. Alle.

Little Simz zeigt: Verdrängung ist keine Lösung. Sie legt ihren Finger in Wunden und tut das mit beeindruckender Ruhe, aber auch sehr eindringlich. Vielleicht geht so etwas nur, wenn man sich bewusst ist, selbst Schattenseiten zu haben, wie sie immer wieder in ihren Texten zeigt. Little Simz interpretiert Glaubwürdigkeit nicht als machistisches Kräftemessen, wer in Sachen Street Credibility der Härtere ist. Darauf braucht sich Little Simz auch gar nicht einzulassen, wie sie kurz in dem Track „Backseat“ durchblicken lässt, wenn sie rappt, dass sie genug Gangster kenne, die für sie kämpfen würden, aber lieber Frieden hat. Offenheit ist bei Little Simz kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.

Ihre Musik und ihre Texte haben ein gesundes Verhältnis zu beklemmenden Gefühlen, die durch Konfrontation an Schrecken verlieren. Sie gehören zum Leben dazu. Genauso wie Freude, die Little Simz zusätzlich zu ihren Reflexionen in der Musik auch immer wieder deutlich zum Ausdruck bringt.

Little Simz: „Stillness In Wonderland“ (Age101/Rough Trade)

Live: 12. 5., Yaam, Berlin; 15. 5., Uebel & Gefährlich, Hamburg