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In Felas Fußstapfen

Seun Kuti ist der Sohn des Afrobeat-Begründers Fela Kuti und hat längst dessen Erbe angetreten. Mit neuem Album im Gepäck kommt er auf Tour

Von Lorina Speder

„Meine früheste Erinnerung an Musik ist das Saxofonspiel meines Vaters in unserem Wohnzimmer“, sagt Seun Anikulapo Kuti, als er über seine Kindheit in den achtziger Jahren in Lagos spricht. Seun Kuti ist der Sohn des ­nigerianischen Afrobeat-Begründers Fela Kuti, und schon früh schickte er sich an, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Heute ist Kuti junior 35 Jahre alt. Sein Vater lebt seit über 20 Jahren nicht mehr. Die Band des Seniors, Egypt 80, geht nun mit dem Sohn auf Tour – und dieser beglückt die Welt mit Saxofonklängen.

Dem Instrument galt schon früh die Aufmerksamkeit des Nachwuchses. Wenn Fela Kuti nicht darauf spielte, lag das Saxofon auf der Couch im Wohnzimmer des elterlichen Hauses, erzählt Seun Kuti im Telefoninterview, das er gibt, als er gerade in London auf Tour ist. Im Alter von sechs habe er es an sich genommen, einfach, weil er neugierig war. Prompt folgte eine Belehrung durch seinen Vater: „Hör zu, das ist kein Spielzeug. Wenn du Saxofon spielen willst, kauf ich dir dein eigenes“, habe er zu ihm gesagt. Kurz darauf gab der Vater ihm schon die ersten Übungsstunden. Zeigte ihm die Atemtechnik, machte ihn mit Mundstück, Klappen und Tasten vertraut.

Kontroversen um den Vater

Denn Musik war im Hause Kuti mehr als nur Zeitvertreib. Sie war Ausdruck eines Lebensgefühls und Medium, um den Protest gegen korrupte Politiker zu artikulieren. Außerdem war Musik die Basis für den Zusammenhalt einer Kommune, die sich in Seun Kutis Kindheit um seine Familie eta­blierte. „Das einzig Normale an meiner Kindheit war, dass es absolut nichts Normales gab“, sagt Seun Kuti. Auch wenn er als kleiner Junge nicht alle Kontroversen um seinen Vater mitbekam, der offenkundig homophob war und Frauen, von denen er 27 an der Zahl heiratete, nicht als gleichwertig ansah, nennt er seinen Lebensstil schlicht „unorthodox“. Von seiner Kindheit sind ihm andere prägende Erlebnisse in Erinnerung geblieben.

Etwa dass sein Vater Fela Kuti in den Achtzigern und Neunzigern in ständiger Gefahr lebte: Polizeiliche Überwachung, Razzien und Schießereien waren an der Tagesordnung. Seun Kuti wusste als Kind nie, was am nächsten Tag passieren würde. „Bevor ich 12 wurde, hatte ich schon alles gesehen “, erzählt Kuti. Er bemängelt, dass diese Seite des Lebens von Fela Kuti oft in der Öffentlichkeit vergessen werde. „Kurz bevor er starb, war mein Vater inhaftiert und wurde von der Regierung angeklagt“, sagt er sichtlich bewegt. Erst im Frühling 1997, vier Monate vor seinem Tod, wurde Fela Kuti freigelassen. Seun Kuti war damals 14 Jahre alt. „All diese Gewalt gegen ihn und die ewige Konfrontation mit der Regierung haben meine Sicht auf die Welt verändert.“

Ein Teil der Großkommune, die immer um ihn herum existierte, kommt bis heute mit auf Tour, teilweise bis zu 80 Leute. „Egypt 80 sind mehr als eine Band, sie sind eine Organisation und waren immer Teil unserer großen Familie“, sagt Kuti, „Aber die Leute in der Kommune waren nicht alle Musiker. Es gab Köche, Handwerker und Künstler. Jeder hatte seinen Platz.“ Insgesamt waren es bis zu 200 Menschen, mit denen Seun zusammenlebte. In der Kommune wollte man sich Machthabern wie Muhammadu Buhari, der nach einem Militärputsch 1983 bis 1985 Staatsoberhaupt war und seit 2015 Präsident Nigerias ist, widersetzen. Buhari stand nach dem Putsch für eine nationalistische Agenda.

Alternativ zu leben, das hieß für viele in dieser Kommune, auch die staatliche Bildung abzulehnen. Seiner Mutter verdankt es Seun Kuti, dass er dennoch diszipliniert lernte: „Ich ging in Lagos jeden Tag zur Schule. Meine Mutter hätte mir in den Hintern getreten, wenn ich nicht meine Hausaufgaben gemacht oder die Schule geschwänzt hätte. Meinem Vater war das egal, er hielt nicht viel von der westlichen Schulbildung.“ Diese antiwestliche Haltung und die Ablehnung des Bildungssystems finden sich heute partiell auch bei Seun Kuti.

Entgegen dem Dogma seines Vaters ging er aber als junger Erwachsener nach England und studierte am Liverpool Institute for Performing Arts. Heute ist Seun Kuti selbst ein vir­tuoser Saxofonist. Er ist froh darüber, dass er dank seines Studiums in England wie sein Vater auf verschiedenen Kontinenten gelebt hat, aber er sagt auch, dass man in dem systematischen Lehrplan der Schulen und Universitäten nicht viel über sich selbst erfahre. „Inzwischen verstehe ich die Ablehnung meines Vaters. In der Schule bekommt man nichts über unsere Wesen gelehrt. Ihm war es wichtig, meine Gedanken und meinen ­Verstand zu formen“, sagt Seun Kuti und meint damit, dass man stets skeptisch sein und besonders die Politik hinterfragen sollte.

„Black Times“

Auf seinem neuen Album, „Black Times“, ehrt Seun Kuti die Revolu­tio­näre, die eine neue Generation zu Veränderungen inspirieren. Neben Kwame Nkrumah, Freiheitskämpfer und erster Präsident von Ghana, oder Thomas Sankara, Revolutionär und Präsident Obervoltas/Burkina Fasos von 1983 bis 1987, zählt er auch seinen Vater Fela Kuti als Held auf.

Seine Kunst sei ebenso politisch wie die seines Vaters. „Wir alle können die Dinge verändern. In jedem von uns schläft die Revolution“, sagt er. Seit er selbst Vater geworden ist, scheint ihm seine Rolle als Botschafter umso wichtiger. Die Musik ist nicht nur das, was sein Vater Fela Kuti ihm mitgab. Sie ist zu seiner eigenen Verantwortung gegenüber der Welt geworden.

Seun Kuti & Egypt 80: „Black Times“ (Strut Records/Indigo) | Live: 19. Mai, Berlin

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