das portrait: Michael Schulte verewigt sich in Buxtehude
Als er 22. Februar in Berlin die deutsche Vorentscheidung für den ESC in Lissabon gewann, hatte man in Buxtehude nicht ernsthaft auf ihn zählen wollen: Michael Schulte, der Mann von nebenan, der Hipster ohne Coolness-Allüren, lebte zwar schon in dem Städtchen vor den Toren Hamburgs, aber dass er Buxtehude als solches als Heimatort in die Welt tragen würde: Das war ganz unklar. Nachdem er am vorigen Wochenende nun Vierter beim Eurovisionsfestival und mit dem Lied „You Let Me Walk Alone“ zum chart- und karrierefähigsten ESC-Act Made in Germany seit Lena und ihrem Sieg 2010 wurde, sind solche Unklarheiten getilgt.
Michael Schulte, der gebürtige Eckernförder und an der dänischen Grenze aufgewachsene junge Mann von 28 Jahren, ist ein Promi, und nicht nur gemessen an Buxtehuder Verhältnissen. Er ist den Menschen sympathisch, er ist zugleich kein Publikumsranschmeißer, also ungefähr das Gegenteil von irgendeiner Ballermann-Aura. Von zartester Grunddistanz ist sein Wesen, ihm ist, das darf nach zwölftägiger Beobachtung in Lissabon beim ESC gesagt werden, fremd, sich über seine Außenwirkung zu definieren. Ein Mann mit Eigensinn, der erst seit wenigen Wochen über ein eigenes, wenn auch kleines Management verfügt, für die Terminplanung und um die vielen telefonisch geäußerten Wünsche an ihn zu filtern.
Und dass man ihn mag, dass man ihm gern zuhört, könnte auch daran liegen, dass er in den ESC mit einem Lied ging, das selbst im engeren Sinne der Idee von Authentizität gleichkommt: „You Let Me Walk Alone“ wurde komponiert und getextet, als er schon wusste, dass er im Sommer Vater werden wird: Sein ESC-Act handelt von der Trauer des Singenden um den Vater, der starb, als Michael Schulte selbst noch sehr jung war – ein Lied in Trauer als Verarbeitung der Freude, selbst ein Wesen mit seiner Freundin in die Welt zu setzen.
Dass solch eine tränenanimierende Hymne über alle Zweifel erhaben ist, wird auch Buxtehudes Bürgermeister überzeugt haben, ihn, Michael Schulte, nicht nur am Freitag vor dem Rathaus dieser reichen Stadt singen zu lassen, sondern ihn zu bitten, sich im Goldenen Buch per Unterschrift (faktisch: Autogramm) zu verewigen.
Das ist insofern schon fortschrittlich, als Buxtehude ja sonst eher für Äpfel und Literatur (Jugendbuchpreis „Buxtehuder Bulle“) und Kleinkunst bekannt ist. Nun wird ein Auteur der Popkultur mit Wertschätzung versehen: Gut, das! Jan Feddersen
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