press-schlag: Nichts Neuer unter der Sonne
Der Fall des Nationaltorwarts zeigt, wie weit der deutsche Fußball von Professionalität entfernt ist
Für Neuers Weitermachen spricht, dass er 32 Jahre alt ist, Buffon hingegen 40. Für Neuer spricht auch, dass er einen Vertrag bei einem europäischen Spitzenteam hat, Buffon hingegen bei einem anderen Spitzenteam gerade aufgehört hat. Und auch das spricht für Neuer: Er gehört zum Pokalfinalkader des FC Bayern, und auch Bundestrainer Jogi Löw nimmt Neuer mit nach Russland – durchaus mit der Option, ihn dort spielen zu lassen. (Schließlich ist der Westfale Neuer ja keine rheinische Stimmungskanone à la Lukas Podolski, der gar nicht spielen muss, um mannschaftsdienlich zu sein.)
Für eine Karrierefortsetzung Buffons spricht jedoch, dass er die jüngste Saison erfolgreich absolviert hat, nicht zuletzt mit neun Einsätzen in der Champions League – er hat also Spielpraxis. Und für ihn spricht, dass er nur noch ein Jahr braucht, um die andere Juve-Torwart-Legende einzuholen: Dino Zoff hörte schließlich erst mit 41 Jahren auf.
Aber geht eine Zoff-Karriere heutzutage noch? Wie hoch die Belastungen von Profispielern sind, lässt sich am Verletzungsprofil von Manuel Neuer ablesen. Im April 2017 zog er sich einen Haarriss am linken Mittelfuß zu – monatelanger Ausfall. September 2017 neue Verletzung am linken Fuß – Ausfall für fast die gesamte Saison.
Die gängige dumm-populistische Antwort auf das Phänomen lautet: Dafür kriegen die doch auch viel Geld! Nun stimmt das zwar für Spitzenspieler wie Neuer und Buffon, nicht aber für Zweit- oder Drittligaprofis, deren Belastung nicht nennenswert geringer ist. Und: Gerade der Fall Neuer zeigt, dass der Versuch, unzumutbare Arbeitsbedingungen monetär abzufedern, an seine Grenzen gerät.
Ein weiterer Einwand lautet: Es sind doch nur Torleute, die stehen doch eh nur um. Das wiederum traf nicht einmal auf Dino Zoff oder Sepp Maier zu, geschweige denn auf moderne Torhüter, die 90 Minuten im Einsatz sind.
Was die Branche Profifußball da tun kann, ist auch am Beispiel Buffon abzulesen: 20 Ligaspiele in der Serie A hat der alte Mann absolviert, 17 Mal stand Wojciech Szczęsny in dieser Saison im Juve-Tor. Um möglichst lange etwas vom Ausnahmetorwart Buffon zu haben, wurde er also vom Verein für die großen Einsätze geschont.
Bayern München hingegen musste zu dieser Form moderner Personalführung gezwungen werden: Erst Neuers Verletzung ließ den Klub zu der Erkenntnis gelangen, dass mit Sven Ulreich ein Keeper, der das Zeug zur Weltklasse hat, bislang auf der Bank saß.
Es ist also weder für das heutige Pokalfinale noch für die anstehende WM von überragender Bedeutung, ob Neuer spielt. Die enormen Belastungen, die der moderne Fußball den Profis aufbürdet, zwingen vielmehr dazu, jede Position, auch die des Torhüters, zwei- und dreifach mit Klasseleuten zu besetzen, die dann auch wirklich spielen. Die Frage nach Neuer ist also nicht spannend.
Wirklich wichtig ist nur, ob wir noch ab und zu Gigi Buffon sehen dürfen. Martin Krauß
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen