piwik no script img

RaumfürKunst

Berlin zieht KünstlerInnen, die spektakuläre Kunstszene der Hauptstadt wiederum zieht TouristInnen an. Doch die Lage vieler Kunstschaffender ist prekär – nicht zuletzt wegen des immer weiter sinkenden Angebots an bezahlbaren Ateliers

Max Liebermann in seinem Atelier in Wannsee, 1932, Selbstbildnis Foto: AKG/picture alliance

Von Susanne Messmer

Es hat etwas von einem Klassenausflug. Das Atelierbüro des Berufsverbands Bildender KünstlerInnen in Berlin bietet Besichtigungen geförderter Ateliers an. Eins am Vormittag, eins am frühen Nachmittag.

Es ist 10 Uhr, im Hof der Weddinger Gerichtshöfe stehen Grüppchen von Menschen, die sich über die steinige Suche nach einem Arbeitsraum unterhalten. Nach wie vor arbeiten in den Gerichtshöfen in Wedding etwa 70 Künstler, aber die stadteigene Gesobau, hat angekündigt, hier teilweise Gewerbe- in Wohnflächen zu verwandeln, und es herrscht Unsicherheit. Trotzdem herrscht drin reges Kommen und Gehen, vielleicht siebzig Menschen, die sich für den 20 Quadratmeter kleinen Raum mit Berliner Fenster zum Innenhof interessieren: Fast alle tragen sich in die Liste ein, um ihr Interesse zu bekunden.

Drei Stunden später winkt man sich im Bus nach Schöneberg über die Sitzreihen hinweg zu. Auf dem großen Gewerbe­areal zwischen Naumann- und Wilhelm-Kabus-Straße befinden sich in verschiedenen Gebäudeteilen ebenfalls fast 70 Ate­liers. Das heute angebotene ist 30Quadratmeter groß und dunkel, der Blick geht auf einen Friedhof. Es kostet weniger als 200 Euro bruttowarm plus 10 Euro monatlich für Strom. Fast alle, die den Raum sehen, tragen sich in die Interessentenliste ein.

„Ich habe mir im letzten Jahr etwa 60 Räume angeschaut, und in meinem kleinen WG-Zimmer kann ich nicht arbeiten“, sagt eine Frau mit schickem Hut und britischem Akzent, die seit zwei Jahren in Berlin lebt. Ihren Namen will sie nicht nennen.

„Ich besichtige sogar Räume auf dem privaten Markt, auch wenn ich sie mir nicht leisten kann“, sagt ein Mann in den Dreißigern mit Holzfällerhemd, der zum Juni aus seinem alten Atelier in Prenzlauer Berg rausmuss. Er ist zunächst bereit, sich noch einmal treffen, sagt aber zwei Tage später ab. „Das Thema ist brisant“, räumt er am Telefon ein, „aber meine Galeristin hat’s verboten.“

Etwa 10.000 KünstlerInnen leben in Berlin, damit hat sich die Stadt an die Spitze aktueller Kunstentwicklungen gesetzt. Abgesehen von den 160.000 Menschen, die in der Kunst- und Kreativszene arbeiten, kommen viele Touristen nachweislich vor allem wegen des reichen Kulturangebots nach Berlin.

In krassem Gegensatz dazu stehen die Bedingungen, unter denen die KünstlerInnen in Berlin arbeiten. Jährlich ­gehen aufgrund der angespannten Wohnraumsituation 350 Arbeitsräume verloren. Nach der letzten verfügbaren Erhebung wurden im Jahr 2014 vier traditionelle Atelierstandorte mit 150 KünstlerInnen von privaten Eigentümern gekündigt. Eine Umfrage hat ergeben, dass fast die Hälfte der KünstlerInnen in Berlin auf Ateliersuche sind. Mehr als zwei Drittel schätzen ihre Räume aufgrund von Miet­erhöhung, Kündigung oder Umwandlung als bedroht ein.

Altersarmut droht

Es ist nichts Neues, dass die wirtschaftliche Lage bildender KünstlerInnen in Berlin prekär ist. Erst kürzlich hat eine Studie des Instituts für Strategieentwicklung (Ifse) schwarz auf weiß belegt, dass Künstler im Schnitt 11.600 Euro im Jahr verdienen, Künstlerinnen sogar nur 8.300 Euro – dass die Kunstszene zu 90 Prozent in die Altersarmut steuert.

Und doch ist es schwer, KünstlerInnen zu finden, die offen über ihre prekäre Situation sprechen wollen. „Es schadet meinem Image auf dem Kunstmarkt, wenn ich zugebe, dass ich mir die meisten Ateliers in Berlin nicht leisten kann“, sagt ein junger Mann bei der Atelierbesichtigung im Gewerbegebiet.

Erst in der Teeküche findet sich eine Interessentin, die das anders sieht. „Ich könnte Stunden erzählen, wenn es um Raumnot geht“, sagt die lässige Frau ganz in Schwarz – und lädt wenige Tage später zu einem Besuch in ihren Arbeitsraum.

Fortsetzung 44/45

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen