Worum es wirklich geht

Beste Einstimmung auf Venedig – die Ausgabe Nummer 231 der Zeitschrift „Arch+“, „The Property Issue“, handelt „Von der Bodenfrage und neuen Gemeingütern“

Von Brigitte Werneburg

Wer demnächst zur Architektur-Biennale nach Venedig fährt, könnte den Beitrag des Philosophen Wolfgang Scheppe für die aktuelle Ausgabe von Arch+, Zeitschrift für Architektur und Urbanismus mit großem Gewinn in intellektueller, aufklärerischer Hinsicht lesen. Den finanziellen, spekulativen Gewinn, also den, der zählt, den machen natürlich nicht Leser, sondern Eigentümer. Und davon berichtet „Die Grundrente der Kunst und der Ausschluss aus der Stadt“, der Text, in dem Wolfgang Scheppe das „Exemplarische an Venedigs Singularität“ − wie der Untertitel lautet − sehr klar herausarbeitet.

Schon immer definierte die Grundrente die Stadtentwicklung, das ist an der Geschichte Venedigs spätestens vom Ende des 12. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts gut zu sehen. Entschieden katastrophal stellt sich aber dieser Zusammenhang heute dar, dank Kreuzfahrtbranche, Airbnb, Finanzwirtschaft, Kunstmarkt und Immobilienhandel. Inzwischen kommt eine von zwei Personen genutzte Ferienwohnung auf drei Einwohner Venedigs. Die Ortsansässigen sind also der Verwertung des Raum schon fast restlos gewichen. „Diejenigen“, schreibt Scheppe, „die im Vollzug ihres Alltags darauf angewiesen sind, an Raum zu partizipieren, obgleich sie ihn nicht ihr Eigen nennen könne, sind demnach immer arm dran.“

Arm dran ist so gesehen der überwiegende Teil der Menschheit, selbst in wohlhabenden Gesellschaften. Nichts ist also relevanter als das Heft 231 von Arch+, „The Property Issue“, das „Von der Bodenfrage und neuen Gemeingütern“ handelt. Inhaltlich knüpft die Ausgabe dabei an den Film „Legislating Architecture“ des Architekten Arno Brandlhuber und des Künstlers und Filmemachers Christopher Roth an. Architektur wird grundlegend durch das Baurecht und weitere regulatorische Systeme bestimmt. Grund und Boden unterliegen der Rechtsordnung. Diese freilich privilegierte Privateigentum gegenüber Forderungen des Gemeinwohls. Dabei sind Grund und Boden keine Ware wie jede andere, sondern unverzichtbar wie Luft und Wasser, was es verböte, ihren Nutzen dem sogenannten freien Spiel der Kräfte zu überlassen.

Diesem Spiel redet der Architekt Patrik Schumacher, Partner von Zaha Hadid Architects, das Wort. In einem 8-Punkte-Manifest fordert er den Rückzug des Staates aus allen Bereichen der Architektur und der Stadtplanung, die Abschaffung öffentlicher Räume und das Ende des sozialen Wohnungsbaus. Da viele Architekten und Entwickler (gerade alternativer Projekte) unter der Überregulierung des Bauens leiden, stößt Schumacher mit seinen Vorstellungen auch auf positive Resonanz. Im Interview mit Arno Brandlhuber und in zwei Entgegnungen wird die Verbindung von Wirtschaft, Politik und Architektur deutlich.

Überregulierung erkennt auch Manuel Shvartzberg Carrió von der Columbia University, New York. Allerdings konstatiert er in seiner Erwiderung, dass sie doch allein dazu diene, den Kapitalismus auf Kosten der Mehrheit der Gesellschaft zu stützen. Alain Thierstein von der TU München führt gegen Schumacher ins Feld, dass wir heute in einer „vollen Welt“ (der „full world“ des Umweltökonomen Herman E. Daly) leben, wo „Rücksichtnahme nicht mehr nur kulturell eingeübt oder fallweise über einen Marktpreis ausgehandelt werden kann“, sondern nach Regulierung verlangt. Und anders als Schumacher sieht er darin kein Hindernis für Kreativität, im Gegenteil sei deren Triebkraft ja gerade Normierung.

Dem möchte man zustimmen, liest man auf den folgenden Seiten das Gespräch, das Niklas Maak und Florian Hertweck mit der Architektin Renée Gailhoustet geführt haben. Sie war die Chefarchitektin von Ivry-sur-Seine, einer bis heute kommunistisch verwalteten Vorstadt im Südosten von Paris. Durchmischte Konglomerate, funktionierende Gemeinschaftseinrichtungen und Wohnungen mit erstaunlich vielfältigen Grundrissen sowie großzügigen grünen Terrassen verdanken sich auch der Unterstützung durch die für Wohnungsbau- und Stadtentwicklung zuständige Vizebürgermeisterin Raymonde Laluque, und nicht zuletzt der 68er-Aufbruchsstimmung, wie Gailhoustet sagt.

Mitsprache der Frauen beim Städtebau forderten schon im 19. Jahrhundert in den USA die „materiellen Feministinnen“ wie Dolores Hayden, Emeritus der Yale University, die Frauenrechtlerinnen nennt, die in der Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft im Dienst der Reproduktion das Haupthindernis für die Gleichstellung sahen. Zum Schaden aller gibt es diese Mitsprache noch immer nicht, weshalb die marxistisch geprägte, feministische Aktivistin und Autorin Silvia Federici von der „unvollendeten feministischen Revolution“ spricht. Zuletzt thematisierte Federici eine neue afrikanische Hexenverfolgung im Zusammenhang mit Landraub.

Dass in einem 232 Seiten starken Heft, das noch um den 15 Seiten starken Katalog des Luxemburger Pavillons auf der Biennale in Venedig 2018 ergänzt wird, jede Menge weiterer interessanter Beiträge der aufmerksamen Lektüre zu empfehlen sind, versteht sich von selbst. Es geht um Land Grabbing, Sharing Economy, Finanzmärkte und Community Land Trusts. Alles in allem um uns, wie wir leben müssen und wie wir leben wollen.

„Arch+. Zeitschrift für Architektur und Urbanismus“:„The Property Issue.

Von der Bodenfrage und neuen Gemein­gütern“. Heft 231, 2018, 22 Euro