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Im Zeichen der Bombe

Mit der gegen die Intendanz von Chris Dercon gerichteten Besetzung der Volksbühne im September 2017 gelang ihnen ein Coup.Jetzt ist Dercon bereits Geschichte, und das Kollektiv der Besetzer lässt bei einem Treffen vor der Volksbühne wieder von sich hören

Von Astrid Kaminski

Ein sonniger Tag im Mai vor der Volksbühne, am Sonntag war es es, 16 Uhr. Ein offener Brief an den Regierenden Bürgermeister Michael Müller soll verlesen werden. Zwei Polizeiwagen sind gekommen, ein paar ehemalige Volks­bühnen-Besetzer*innen im Alter zwischen 20 und 30, wenige Trittbrettfahrer*innen, kaum Schaulustige. Zwei Mit­arbei­ter*innen der Volksbühne werden identifiziert. Im engeren Kreis machen Gummibärchen, Bio-Ananas-Kokos-Saft und selbstgedrehte Zigaretten die Runde. Eine Bombe steckt mit der Spitze im Rasen beziehungsweise, um den Rasen zu schonen, in einem eigens dafür aufgeschütteten kleinen Erdhügel.

Sie ist eingeschlagen, einst. Die Bombe war das Symbol, Maskottchen und Logo des ­Be­set­zer*innenkollektivs der Volks­bühne. Modell B61-12, ein Atomsprengkörper.

„Wer das größere Gewaltpotenzial hat, gewinnt“, kommentiert einer der Ehemaligen. Und: „Jetzt brauchen wir die Atombombe nicht mehr.“

Das Weltbild der Exbeset­zer*innen bewegt sich zwischen zwei Polen: gut und schlecht, Ex-Intendant Frank Castorf und Ex-Indendant Chris Dercon. Nicht so sehr Dercon an sich, sondern Dercon als Metapher für intransparente Fehlentscheidungen des Kultursenats und einen neoliberalen Ausverkauf der Stadt. Dagegen stimme der Mythos von Castorf als Diktator nicht. Wer sagt das? „René Pollesch und Herbert Fritsch“, heißt es, die zwei prominentesten Hausregisseure der Volksbühne unter Castorf.

Nachdem nun Dercon entlassen wurde, also die Kulturpolitik ihren Fehler in den Augen der Exbesetzer erkannt hat, ist das erste Ziel erreicht. „Ab jetzt zählen Argumente.“ Die Arbeit geht nun mit legalen Mitteln weiter. Die Besetzung der Volksbühne, die im September 2017 sechs Tage gedauert hat, bevor sie polizeilich geräumt wurde, ist Geschichte.

Die wenigen Aktivist*innen, die, weil sie der Räumungsanordnung damals nicht freiwillig gefolgt sind, die Volksbühne mit einer Anzeige verlassen mussten, wurden bis heute noch nicht zur Vernehmung vorgeladen. Stattdessen machen sie in einem Kellertheater in der Karl-Marx-Straße weiter, zusammen mit einem Kollektiv, das sie auf zwischen 50 und 80 Personen schätzen. Am Klingelknopf steht „Volksbühne“.

Das Ziel bleibt also das gleiche. Wobei die Hauptbühne des Theaters am Rosa-Luxemburg-Platz einem „behutsam wieder aufgebauten Ensemble“ gehören soll und sich das Kollektiv mit dem Roten oder Grünen Salon des Hauses zufrieden­geben würde. So steht es im offenen Brief an Michael Müller, so wird es auf dem Rasen vor der Volksbühne gegen 16.30 Uhr vor 50 Anwesenden verlesen. Anschließend herrscht Open Mike für Statements und Slam. Transparenz wird gefordert und geprobt. Unter den Augen der Öffentlichkeit soll „die Umwandlung des Theaters“ stattfinden, eine „Einheit von Form und Inhalt, Theorie und Praxis“. Wenn das gelinge, ermöglicht unter anderem durch ein Basiseinkommen und bedingungslose Produktionsmittel, dann sei damit ein Modell für die künftige Volksbühne geschaffen.

Castorfs "Faust" beim Theatertreffen

Theatertreffen Die „alte“ Volksbühne stand am Beginn des Theatertreffens, das am Freitagabend mit Frank Castorfs siebenstündiger „Faust“-Inszenierung offiziell eröffnet worden ist. Nach der Vorstellung gab es dabei „zehn Minuten lang Standing Ovations“, berichtete eine Festivalsprecherin. Mehr zu der Inszenierung und dem Theatertreffen ist weiter vorn im Blatt auf Seite 16 zu lesen.

Nachrücker Am Dienstag ist der „Faust“ ab 18 Uhr nochmals im Haus der Berliner Festspiele zu sehen. Die Vorstellung ist natürlich ausverkauft. Sie wird aber auch live in die Bornemann Bar im Haus übertragen. Sofern Plätze in der zweiten Hälfte durch die Ticket­inhaber nicht mehr in Anspruch genommen werden, können diese „Nachrückenden“ zur Verfügung gestellt werden. (dpa/taz)

Kollektive Selbstfindungen verlaufen nie glatt. Das Ursprungskollektiv Staub zu Glitzer hat sich inzwischen aufgelöst. Die Website B61-12 und die entsprechende Facebookseite wurden an einen Splitterteil des Ursprungskollektivs abgetreten. Es geht dabei hauptsächlich um dessen Presseverantwortliche. Ihre Auslegung der Ziele der Gruppe habe sich verselbstständigt, so einer der Gründer von Staub zu Glitzer.

Das jetzige Kollektiv präsentiert sich am liebsten als Gruppe. Namensnennungen sind ihnen, da sie einzelne in Repräsentativfunktionen drängen, nicht recht.

Wie schon zu Besetzungszeiten liegen auch am Sonntagnachmittag Wahn und Wirklichkeit nah beieinander. Eine Open-Mike-Akteurin stellt sich im Anschluss als achtsprachige „Frau General Hauptmarschall“ und „Königin der Nacht“ vor. Es heißt, sie habe einmal bei Castorf vorgesprochen. Ein nach Selbstauskunft „linksradikaler“ VWL-Student älteren Semesters gilt als „Brecht- und Schlingensief“-Nachfolger. Abseits des Mikros sagt er Differenziertes zum türkischen Staatsgründer Atatürk und lädt zu seiner nächsten Keller-Inszenierung ein. Eine Filmstudentin macht auf ihren zweistündigen Film „Erster Akt“ über die Besetzung aufmerksam. Nach einer abendlichen Sichtung lässt sich festhalten, dass es sich – ebenso wie beim Film „NADRYW“, den ein Teil des Kollektivs zur letzten Spielzeit der Intendanz Castorf drehte ­­– um ein eindrückliches historisches Dokument handelt.

Etwas weniger historisch wurde am Nachmittag auch „Wir saufen auf die Volksbühne“ durchs Mikro proletet. Das blieb aus. Brausestimmung.

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