: Tories nicht zu knacken
Bei den britischen Kommunalwahlen schafft es Labour in der Hauptstadt London nicht, die konservativen Hochburgen zu erobern. Liberale und Grüne verbuchen Erfolge
Aus London Daniel Zylbersztajn
Mit der Rekordzahl von 552.000 Mitgliedern wollte es die britische Labourpartei wissen und schickte zu den Kommunalwahlen am vergangenen Donnerstag ihre Scharen in die konservativen Festungen Londons Westminster, Wandsworth und Kensington und Chelsea, um auch hier endlich einmal die rote Parteifahne hissen zu können.
Was Jeremy Corbyn nach der Wahl sagte, deutet darauf hin, dass er zufrieden war. „Das beste Resultat seit 1971.“ Dabei hat sich wenig an der Realität in London verändert, denn die Stadt ist seit jeher Labourterrain. Labour konnte sich auch diesmal in 21 der 32 Stadtkreise behaupten, während den Konservativen nur sieben blieben. Zudem krallte sich Labour Tower Hamlets im Osten der Stadt.
Doch Wandsworth, Tory-Bastion seit 1978, konnte Labour trotz eines Zuwachses von sieben Sitzen nicht erobern. Für eine Mehrheit fehlten immer noch acht Mandate. Auch in Westminster, dem wohlhabenden Wahlkreis im Zentrum der Stadt, machte Labour nur drei Extra-Sitze gut. Nun sind es 19 Abgeordnete, die der 41 Personen starken Toryfraktion gegenüberstehen.
In Kensington und Chelsea hatten nach dem Grenfell-Inferno mit 72 Toten viele geglaubt, dass hier die Wahlen das Ende der konservativen Macht bedeuten könnten. Doch Labour kam nur auf eine einzige zusätzliche Abgeordnete aus dem Nachbarviertel des abgebrannten Towers. Die Bilanz: 13 Labour-Stadträt*Innen und eine Liberaldemokratin gegen 36 Tories.
Im Tabernacle, einem afrikanisch-karibisch geprägten Gemeindezentrum, zeigte sich Yvette Williams, eine der Gründerinnen der Gruppe Justice4Grenfell, frustriert. Das Wahlergebnis kam in der gleichen Woche, in der Amber Rudd ihren Job als Innenministerin wegen der Schikanierung karibischer Einwander*Innen aufgegeben hatte. „Dieses Ergebnis ist die offizielle Bestätigung, uns als Abfall zu behandeln“, sagte sie der taz. „Irgendein Vorfahre von mir hat sich von dem Sklavendasein nicht unterjochen lassen. Dieser Gedanke ist es, der mich und andere nicht aufgeben lässt, auch nicht nach diesen Wahlen.“ Wo die Politik versage, müssten nun polizeiliche und unabhängige Untersuchungen zu Grenfell greifen.
Doch auch hier hapert es. Bislang verhallte die Forderung der Community ungehört, dass die Untersuchung nicht nur von einem Richter, sondern auch von Vertreter*Innen aus der geschädigten Gemeinschaft getragen werden soll. Und was die Wahl betreffe, so Williams, hätten es die Parteien, welche den Tories entgegenstanden, nicht geschafft, gemeinsam zu arbeiten.
Anders ist die Situation in Richmond, im Südwesten der Stadt. Dort dominieren seit Donnerstag nach acht Jahren wieder die Liberaldemokraten. Grüne und LibDems hatten hier einen Pakt geschlossen, sich nicht gegenseitig zu behindern. Nun gibt es nicht nur eine gelbe Führung, sondern zum ersten Mal vier grüne Stadträt*Innen – vier von elf in ganz London.
Andree Frieze, eine der neuen Grünen in Richmond, sagt, dass die Opposition zum Brexit und zu der Flughafenerweiterung in Heathrow entscheidende Faktoren gewesen seien. „Wir Grünen haben bereits bei den Nationalwahlen 2017 mit den LibDems gearbeitet.“ Auf Kensington und Chelsea angesprochen, gibt sie sich wenig überrascht. „Labour sieht die Liberaldemokraten zu sehr als Konkurrenz, da macht man nicht gemeinsame Sache.“ Die 49-jährige Mitarbeiterin einer NGO, die Frauen in Indien hilft, ist aufgeregt. Ihre Politik werde man an Solarzellen auf den Dächern öffentlicher Gebäude erkennen, glaubt sie. Auch in Sutton im Süden und Kingston upon Thames im Südwesten Londons gewannen die LibDems, dort allerdings ohne grüne Unterstützung.
Worüber Corbyn in seiner positiven Ansprache weniger redete, ist der Stadtkreis Barnet, wo 20 Prozent aller britischen Juden leben. Mike Katz, lokales jüdisches Mitglied der Labourpartei und Vizepräsident der jüdischen Arbeiterbewegung (JLM), der sich hier einst als Unterhauskandidat versuchte, berichtete von niedergeschlagenen Wähler*Innen, die ihm mitteilten, sie könnten diesmal beim besten Willen nicht Labour wählen. Grund waren die anhaltenden Probleme mit Antisemitismus in der Partei. Katz glaubt, dass sich nur mit Taten die Situation verbessern lasse.
Inmitten dieses deprimierenden Bildes gab es auch einen Lichtschimmer. Barnet ist der einzige Ort in Großbritannien, in dem ein Rabbiner für Labour zum Stadtrat für den Bezirk West Finchley gewählt wurde. Danny Rich ist Leiter des britischen „Liberalen Judentums“. Nach einem Synagogendienst in Ostlondon am vergangenen Samstag gab sich Rich zuversichtlich. „Keine Gruppe darf sich unsicher fühlen. Das Gefühl der Unsicherheit der jüdischen Gemeinschaft gegenüber Labour gilt es abzubauen. Das ist neben dem eigentlichen Vorgehen gegen antisemitische Personen genauso wichtig“, glaubt er.
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