: Warum der Iran Nuklearmacht sein will
Das Atomabkommen hält Teherans Ambitionen unter Kontrolle. All das könnte US-Präsident Trump mit der Aufkündigung nun gefährden
Von Silke Mertins
Wenn man Iraner nach dem Atomprogramm ihres Landes fragt, dann sind sich die unterschiedlichsten politischen Lager in einem Punkt einig: Die iranische Republik habe selbstverständlich ein Anrecht auf alles Nukleare. Uneins ist man sich nur darin, ob und wie man dieses Anrecht durchsetzen und wie weit es gehen soll. Die Sanktionen haben die Wirtschaft und die Bevölkerung jedoch so stark belastet, dass auch die Führung sich schließlich dem Druck beugte und Kompromisse mit der internationalen Gemeinschaft einging. Jedoch nicht aus Einsicht. Der Iran ist ein wissenschaftlich ambitioniertes und dazu kulturell sehr stolzes Land, das Technik nicht nur kaufen, sondern auch selbst meistern will. Offiziell hat das Regime nie zugegeben, dass es Atomwaffen anstrebt. Es ginge lediglich um die zivile Nutzung, hieß es immer.
Nur: Es wirkt verdächtig, wenn ausgerechnet ein Land, das über einen immensen Öl- und Gasreichtum verfügt, derart dringend AKWs zu brauchen meint. Teheran hat sich gleichzeitig stets so geheimniskrämerisch gegeben und teils auch falsche Angaben gemacht, dass die meisten Experten von geheimen Waffenprogrammen ausgegangen sind. Eine „Smoking Gun“ wurde aber von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) nie gefunden.
Um ein Wettrüsten in Nahost und auch einen drohenden Präventivschlag Israels abzuwenden, haben die „P5 + 1“ jahrelang verhandelt: die USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich – die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats – plus Deutschland. Auch die EU wurde ein wichtiger Player bei den finalen Gesprächen. Im Jahr 2015 war es schließlich so weit. Iran ließ sich auf Kompromisse ein, verzichtete zeitlich begrenzt auf alles, was waffenfähig sein könnte, darunter vor allem die Urananreicherung. Zentrifugen sollen beispielsweise von 19.000 auf 6.000 zurückgefahren und hochangereichertes Uran soll verdünnt werden. Die IAEA bekommt umfassenden Zugang zu allen Atomanlagen und Forschungseinrichtungen – bis dahin ein ständiger Streitpunkt. Im Gegenzug werden die internationalen Sanktionen gegen den Iran schrittweise abgebaut, können aber jederzeit bei Verstößen wieder in Kraft gesetzt werden. Auch eingefrorenes iranisches Vermögen wird freigegeben. Insgesamt soll das iranische Atomprogramm 25 Jahre lang überwacht werden. Nach 10 Jahren aber darf Iran in einem eigenen Nuklearprogramm in engen Grenzen wieder forschen und entwickeln.
Alle am Deal Beteiligten sind davon ausgegangen, dass der mögliche Bau einer Atombombe damit um viele Jahre verzögert werden kann. Und im Jahr 2025 oder 2030 sieht Iran womöglich politisch und gesellschaftlich ganz anders aus als heute. US-Präsident Donald Trump gefährdet mit seiner Drohung, Mitte Mai aus dem Abkommen auszusteigen, den international ausgehandelten Vertrag. Er spricht immer wieder von einem „fürchterlichen“ Deal, dem schlechtesten, den es je gab, und will die Sanktionen gegen die islamische Republik wieder verschärfen. Alle übrigen, von Russland über die EU bis China, müssen ihm da zwar nicht folgen, doch Teheran hat bereits klar gemacht, dass es sich ohne die USA auch nicht mehr an das Abkommen gebunden fühlt. Der Vertrag sei „nicht neu verhandelbar“, sagte Präsident Hassan Rohani am Montag.
Die Stärke des Atomdeals lag vor allem darin, dass die wichtigsten Player an einem Strang gezogen haben. Scheren die USA aus, sind Sanktionen ohnehin viel weniger wirksam. Trump könnte also genau das Gegenteil dessen bewirken, was er beabsichtigt. Iran stünde nicht mehr unter strikter Kontrolle und könnte waffenfähiges Material und eine Atombombe viel schneller entwickeln. Besonders gefährlich wäre dabei, wenn die unterirdische Anlage Fardow wieder für die Urananreicherung genutzt würde. Sie liegt 80 Meter tief und gilt als militärisch kaum auszuschalten.
Ein anderes Schreckensszenario: Iran steigt aus dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) aus. Es wäre dann – wie die Atommächte Israel, Indien und Pakistan – nicht an Kontrollen und die Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen gebunden. Bisher ist Teheran immer davor zurückgeschreckt. Eine militärische Eskalation wäre dann unausweichlich.
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