: Alles wiederzurück auf null
Nach der Silbermedaille sind die deutschen Erwartungen an die Eishockeyherren riesig. Aber die WM mit NHL-Cracks wird ein anderes Turnier
Aus Köln Christiane Mitatselis
Selten war ein Eishockey-Bundestrainer so gefragt wie Marco Sturm in diesen Tagen vor der Weltmeisterschaft in Dänemark. Vergangene Woche Montag dirigierte er in seiner Geburtsstadt Dingolfing eine Blaskapelle, die ihm zu Ehren spielte. Die niederbayerische Kreisstadt verlieh Sturm das Ehrenbürgerrecht, zudem wurde das örtliche Eisstadion in „Marco-Sturm-Eishalle“ umbenannt. Sturm muss überhaupt jede Menge Fernseh- und PR-Termine absolvieren. Er wurde unlängst sogar zum TV-Sonntagstalk der Fußball-Sachverständigen eingeladen. Als Stargast.
Der Ruhm der unerwarteten olympischen Silbermedaille, die die Nationalmannschaft im Februar bei den Winterspielen in Pyeongchang gewann, wirkt nach. Sturm, der 17 Jahre Profi in der nordamerikanischen Eliteliga NHL war, meistert seine Auftritte routiniert und stets freundlich lächelnd. „Neuland ist das für mich nicht, ich kenne so etwas aus der NHL“, sagt er. Natürlich weiß er aber auch, dass er ab Freitag mit seinem Nationalteam wieder bei null starten muss. Bei der Eishockey-WM in Kopenhagen und Herning wollen sich die Nationalspieler, zurzeit meist Silberhelden genannt, bestmöglich verkaufen, um die vielen neu gewonnenen Fans nicht zu enttäuschen. Denn sie wissen: Sollten sie sich bei dem Turnier blamieren, könnte der olympische Glanz vom Misserfolg überlagert werden.
Sturm beurteilt die Lage so: „Es ist ein neuer Anfang für uns, ein komplett anderer Kader als vor zwei Monaten. Deswegen wird es für uns enorm schwierig werden, an die Erfolge anzuknüpfen.“ Und: „Mein Ziel ist es, unter den Top acht in der Weltrangliste zu bleiben. Das wird schwierig genug.“ Der Bundestrainer könnte auch sagen: In Pyeongchang hatte die deutsche Mannschaft einen Lauf, der sich nicht einfach so wiederholen lässt. Weltklasse-Teams wie Schweden oder Kanada kann eine deutsche Nationalmannschaft normalerweise nicht bezwingen. Es ist deshalb sehr unwahrscheinlich, dass die DEB-Mannschaft wieder ins Finale vordringt, die Viertelfinalteilnahme kann aber erreicht werden.
In Pyeongchang herrschte ein Ausnahmezustand, da erstmals seit 1994 keine Spieler aus der NHL bei Olympia dabei waren. Die WM wird ein völlig anderes Turnier sein, in Dänemark werden nun wieder viele Cracks aus Nordamerika spielen. Wie üblich laufen parallel zum Turnier die NHL-Playoffs. Profis, deren Mannschaften sich nicht qualifiziert haben oder ausgeschieden sind, verstärken nach und nach ihre Nationalmannschaften. Sturm kann immerhin drei Akteure aus der besten Liga der Welt bieten: Stürmerstar Leon Draisaitl und die Verteidiger Dennis Seidenberg und Korbinian Holzer. Da es aber viele Absagen gab und die Routiniers Christian Ehrhoff, Marcel Goc und Patrick Reimer zurückgetreten sind, stehen nur zehn Olympiaspieler von Pyeongchang im deutschen WM-Kader.
Bundestrainer Marco Sturm
Der Bundestrainer musste kreativ werden. Nominiert hat Sturm vier deutsche Talente, die ihr Glück in Nordamerika versuchen, aber den Sprung in die NHL bisher nicht geschafft haben: Collegespieler Marc Michaelis, die AHL-Profis Markus Eisenschmid und Manuel Wiederer sowie Frederik Tiffels, der zuletzt in der drittklassigen ECHL spielte. „Ich habe die Jungs schon lange verfolgt“, sagt Sturm. „Die eine oder andere Nominierung ist vielleicht früher gekommen als erwartet. Aber ich bin zuversichtlich, dass sie gut mitspielen werden.“ Im vergangenen Jahr hatte Sturm in dieser Hinsicht ein gutes Händchen, als er Stürmer Tiffels überraschend ins Team der Heim-WM berief – und der junge Kölner vor heimischem Publikum zum Shootingstar avancierte. In Sturms 25-köpfigen WM-Aufgebot 2018 sind nur fünf Profis älter als 30 Jahre, aber zwölf 25 oder jünger. Das WM-Programm beginnt für die deutsche Mannschaft am Freitag mit dem Eröffnungsspiel in Kopenhagen gegen Gastgeber Dänemark (20.15 Uhr/Sport1). Es folgen in der Gruppe B Partien gegen Norwegen, USA, Südkorea, Lettland, Finnland und Kanada.
Um ins Viertelfinale einzuziehen, müssten die DEB-Profis einen Platz unter den ersten vier ihrer Gruppe erreichen. Wie 2017, als sie danach in der Runde der besten acht 1:2 gegen Kanada verloren. Ein WM-Halbfinale erreichten die Deutschen in der jüngeren Vergangenheit nur 2010 mit Trainer Uwe Krupp. „Wir müssen uns wieder hinten anstellen“, sagt Sturm. „Ein Halbfinale bei der WM – das ist ziemlich weit weg.“
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