Ein Spiel mit elementaren Kräften

Sie arbeitete mit Feuer, Blut, dem Körper und der Kamera: In Berlin sind die weitgehend unbekannt gebliebenen Filme der kubanischen Künstlerin Ana Mendieta zu sehen

Ana Mendieta, Creek, 1974, Super-8-Film, Farbe ohne Ton Foto: Gropius Bau

Von Lorina Speder

Die Videos der kubanischen Künstlerin Ana Mendienta beherrscht ein Motiv: der menschliche Körper. Er formt den Erdboden, bildet brennende Silhouetten oder ist wie in „Blood Inside Outside“ selbst im Bild. Das im Juni 1975 mit einer Super-8-Kamera gedrehte Video ist einer von 23 Filmen, die aktuell in der großartigen Ausstellung „Covered in Time and History“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin gezeigt werden, der nun unter der neuen Direktion von Stephanie Rosenthal nur noch Gropius Bau heißen soll.

Eine schützende Farbschicht

In „Blood Inside Outside“ steht die nackte Künstlerin in der freien Natur und reibt sich nach und nach mit Blut aus einer Karaffe ein. Sie beginnt bei ihren Beinen und berührt mit ihren blutroten Händen in vier Minuten alle Stellen ihrer Haut, die sie erreichen kann. Durch die rote Farbe sieht Mendieta am Ende bedeckt aus – das Blut bietet eine Art Schutz vor ihrer nackten Verletzlichkeit. Gleichzeitig bringt die Künstlerin das, was eigentlich unter der Haut verläuft, nach außen. Auch wenn man durch die Platzierung des Kübels direkt zwischen ihren Beinen erst an die Mens­tru­ation der Frau denkt, wird im Verlauf des Videos deutlich, dass Mendieta sich hier nicht explizit auf die Weiblichkeit beruft. Ihr Körper oder ihre Silhouette stehen stellvertretend für das Menschliche.

Das Video ist im Gropius Bau erstmals öffentlich zu sehen. Nach Mendietas tragischem Tod 1985 durch einen Sturz aus dem Fenster – ihre New Yorker Wohnung lag im 34. Stockwerk – blieben ihre Videos weitgehend unbeachtet. Aufgrund eines Hinweises von Mendietas Schwester Raquelín begannen Lynn Lukkas und Howard Oransky, Kuratoren der Katherine E. Nash Gallery an der University of Minnesota, eine Recherche, die zehn Jahre dauern sollte. Dabei entdeckte das Forscherteam 104 Filme von Mendieta, die zwischen 1971 und 1981 entstanden waren.

Die meisten der jetzt digitalisierten Filme spielen in der Natur. 1948 in Havanna geboren, verbrachte Mendieta als Kind jeden Tag stundenlang im Freien und entwickelte schon als Mädchen ein Naturbewusstsein. Durch die nahende kubanische Revolution und damit einhergehende Gefahr beschloss der regimekritische Vater, dass die 12-jährige Ana und ihre Schwester in die Vereinigten Staaten gehen sollten. Beide verbrachten fünf Jahre in Waisenhäusern in Iowa, bis ihre Mutter nachkam.

Nach der High School entschloss sich Mendieta, Kunst zu studieren. Von der Malerei verabschiedete sie sich sofort nach ihrem Abschluss. Ihre farbigen Gesichter auf Leinwand, die an die Kunst indigener Völker erinnern, hätten nicht die Wirkung erzielen können, die sie sich vorstellte, erzählt sie in einem Dokumentarfilm am Ende der Ausstellung. Zudem beschreibt sie den großen Einfluss, den die Stammeskunst von Naturvölkern auf sie hatte. Sie suchte nach einem Medium, das ihre davon inspirierte Energie zu übertragen imstande war. So kam sie schnell auf ihrem eigenen Körper und die Performance.

Die „Silueta Series“ sind das eindrückliche Ergebnis dieser Arbeit, von der auch das unbetitelte Video von 1979 im ersten Ausstellungsraum stammt. Dafür formte die Künstlerin mit trockenem Stroh und Geäst ihre Silhouette auf dem Erdboden in Iowa nach. Als das Feuer die Strohschicht im Video abbrennt, legt es gleichzeitig zuvor verborgene Äste frei. Diese sprießen wie lebendig aus der Erde hervor, sobald das Feuer lodert. Auch im späteren Rauch bewegen sich die organisch anmutenden Äste weiter.

Mendieta schafft es so, der zerstörerischen Naturgewalt eine initiierende Kraft zuzuschreiben. Das Feuer wird der Auslöser des Neuen, Untergründigen, das erst durch die Vernichtung der obersten Schicht zutage tritt. So hält Mendieta mit einfachen Mitteln eine vielschichtige Auseinandersetzung von Mensch und Natur fest, die philosophische Elemente und Fragestellungen transportiert.

Der Streit mit ihrem Mann Carl André drehte sich kurz vor ihrem Tod um die Frage, warum er in der Öffentlichkeit besser vertreten war als sie

Anders als viele Künstlerkollegen in den 70er und 80er Jahren in New York, die sich wie ihr Ehemann Carl André dem Minimalismus verschrieben hatten, konzentrierte sie sich auf die Kraft der Natur. Mit ihr beschäftigten sich auch andere Künstler, wie etwa Richard Long, der 1972 eine Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art hatte, und der, anders als Mendieta, stark architektonisch in sie eingriff. Die kubanische Künstlerin blieb mit der wilden Natur als Akteur ihres Werk zunächst eine Außenseiterin. Erst in den 80er Jahren begann die Öffentlichkeit Notiz von ihr zu nehmen.

Späte Anerkennung

1983, zwei Jahr vor ihrem Tod, gewann sie den Prix de Rome der American Academy in Rom. Das Jahr zuvor war von Auftragsarbeiten und Stipendien geprägt. Umso tragischer, liest man die Beschreibung Carl Andrés über ihren Tod. Der Sturz aus dem Fenster ereignete sich nach seinen Worten nach einem Streit um die Frage, warum seine Arbeiten in der Öffentlichkeit stärker vertreten waren als ihre.

Rund 40 Jahre nach ihrer Anfertigung haben Ana Mendietas Videos durch ihr sensibles Naturverständnis wie durch unsere gesellschaftliche Entfernung und Entfremdung von ihr, eine umso faszinierendere Wirkung. Die natürlichen Motive in den Filmen beziehen sich auf nichts Historisches, sondern nur auf das, was schon immer war. Es bedarf keines kunsthistorischen Wissens, um sie zu verstehen oder zu deuten. Diese Zeitlosigkeit macht es ganz deutlich: Es war nur eine Frage des richtigen Moments, Mendietas Kunst im großen Rahmen zu präsentieren.

„Covered in Time and History. Die Filme von Ana Mendieta“. Gropius Bau Berlin, bis 22. Juli