Informationen in der Halbzeitpause

Erst war es ein „Anschlag“, dann doch nicht. Warum am Samstag zunächst ein ARD-„Brennpunkt“ zu den Ereignissen von Münster angekündigt wurde – und dann keiner lief

Unten: Ermittler am Tatort in Münster. Oben: der rasch gelöschte Tweet von Volker Herres Foto: Marius Becker/dpa; Screenshot: taz

Von Daniel Bouhs

„Unsere erste Schlagzeile war definitiv ein Schnellschuss und unbedacht“, twitterte Rainer Leurs noch am frühen Samstagabend. Leurs leitet die Düsseldorfer Redaktion RP Online, dem digitalen Angebot der Rheinischen Post.

RP Online war an diesem Nachmittag früh in die Berichterstattung eingestiegen und schlagzeilte bereits gegen 16.15 Uhr „Anschlag in Münster – drei Tote“. Drei Stunden später – und damit ziemlich rasch – machte Redaktionsleiter Leurs transparent: „[Das] haben wir nach wenigen Minuten umformuliert beziehungsweise vorsichtiger formuliert. Unser Fehler.“

Da raunte es auf Twitter schon: „Die RP Online muss da wohl mal etwas dem Presserat erklären.“

Die Rechercheure des Bündnisses aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung hatten zwischenzeitlich erklärt: Der Täter sei nach jüngsten Informationen deutscher Staatsbürger und zudem psychisch auffällig – erste JournalistInnen rückten gar von der Vokabel „Anschlag“ ab. Waren also – unter anderen – die JournalistInnen der Rheinische Post zu voreilig?

Wie in solchen Situationen üblich rief die Polizei dazu auf, „Spekulationen und Gerüchte“ zu unterlassen. „Fakt ist aber“, rechtfertigt Leurs die Berichterstattung seiner Redaktion, „unser Reporter hat sehr früh über persönliche Kontakte aus Polizeikreisen erfahren, dass Ermittler [einen] Anschlag für wahrscheinlich halten.“

Außenstehende können diese Quellenlage nur schwer beurteilen, allein: Dieser Darstellung zufolge hat die Polizei am Samstagnachmittag mit mehreren Stimmen gesprochen und so mitunter angeheizt, was sie an anderer Stelle vermeiden wollte: Gerüchte über Terror, auf die rasch auch RechtspopulistInnen ihre vorhersehbaren Botschaften draufsetzten.

Dass sich zunächst unter vielen JournalistInnen die Vorstellung durchgesetzt haben muss, in Münster hätten Terroristen zugeschlagen, zeigt auch ein anderer Vorgang. Die ARD hatte zunächst einen „Brennpunkt“ angesetzt. Der Programmdirektor des Ersten, Volker Herres, verbreitete entsprechende Programmhinweise. Einige Hörfunkwellen meldeten die Programmänderung ebenfalls. Und auch die WDR-„Lokalzeit“ wies noch bei der Übergabe an die 20-Uhr-„Tagesschau“ explizit auf die Sonderprogrammierung im Ersten hin. Nur: Ein „Brennpunkt“ ging nicht über den Sender. Herres hatte seine Tweets bereits wenige Minuten nachdem er sie abgesetzt hatte wieder gelöscht – ohne das mit einem Korrekturhinweis zu erklären.

Einige ZuschauerInnen meldeten sich verwundert, dass sie nun vergeblich auf den angekündigten „Brennpunkt“ gewartet hätten. Herres meldete sich am Sonntagmorgen mit der Auflösung zurück: „Auf einen Brennpunkt wurde verzichtet, als sich zeigte, dass nach Informationen von SZ, NDR und WDR offenbar kein terroristischer Hintergrund vorlag.“

Gleichwohl: Der „Brennpunkt“ war bereits angeschoben und beim Publikum über diverse Kanäle in Aussicht gestellt worden – im Netz, im Hörfunk, im TV. Münster blieb am Abend eine große Nachrichtenlage und für viele Gesprächsstoff. Facebook aktivierte seine „Bist Du in Sicherheit?“-Funktion und informierte NutzerInnen darüber, welche ihrer FreundInnen demnach aus Münster „in Sicherheit“ oder „noch nicht in Sicherheit“ waren.

Programmdirektor Herres aber glaubt offensichtlich nicht, dass sich das Erste da einen allzu schlanken Fuß gemacht hat. Jedenfalls twitterte er auch: „#Münster. Für die, dies genau wissen wollen. Während des Live-Fußballs wurde in der Halbzeitpause in einer extra-TS („Tagesschau“; Anm. d. Red.) informiert.“

Der Autor berichtet für öffentlich-rechtliche Sender und Verlage über Medienpolitik.