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Ganz großes Drama

An Ostern wird wieder allerorten Bach zu hören sein. Im Berliner Dom ist derzeit eine Sonderausstellung des Bachhauses Eisenach zu Gast, die ein heikles Thema sorgsam aufbereitet: „Luther, Bach und die Juden“

In Bachs Bibliothek standen die Werke Luthers, hier zu sehen auf einem Gemälde von Lucas Cranach dem Jüngeren Foto: The Philadelphia Museum of Art

Von Katharina Granzin

Für viele durch und durch säkularisierte Menschen ist die Musik von Johann Sebastian Bach das wichtigste – oder auch das einzige – Bindeglied zur Religion ihrer Vorfahren: zum Christentum in Form des lutherischen Protestantismus. Es muss rein gar nichts mit Glauben zu tun haben, aber alles mit kultureller Tradition, wenn allösterlich die Massen in Kirchen und Konzertsäle pilgern, um sich die packende Geschichte von Jesu Verfolgung und Kreuzigung musikalisch einzuverleiben. Ja, Bachs Passionen (die – abgesehen von den Arien – den Passionstexten der Luther-Übersetzungen folgen) sind ganz großes Drama. Aber sind sie noch etwas anderes als das: nämlich möglicherweise – antisemitisch? In den letzten Jahrzehnten hat in der Musikwissenschaft ein Diskurs darüber eingesetzt, ob hinter der großen Dramatik, die Bach in seinen Passionen entfaltet, nicht doch eine ziemlich zweifelhafte weltanschauliche Haltung steht, mit der man sich eigentlich nicht gemein machen möchte. Insbesondere die Johannes-Passion, worin der Chor in der Rolle eines auffällig wütenden jüdischen Volkskollektivs agiert, das entschlossen den Tod Jesu einfordert, ist dabei in den Blick geraten.

Derzeit ist im Berliner Dom eine Sonderausstellung aus dem Bachhaus Eisenach zu sehen, die unter dem Titel „Luther, Bach und die Juden“ das heikle Thema sorgsam von allen Seiten umkreist. Dass Martin Luther glühender Antisemit war, ist bekannt, aber im Rahmen der großen Reformationsfeierlichkeiten im letzten Jahr doch eher am Rande behandelt worden. Klare Worte finden die AusstellungsmacherInnen zu diesem Thema, wenn es gleich auf der ersten Texttafel heißt, Luthers Aufruf zur Gewalt gegen Juden erwecke „Zweifel an seiner Eignung zur Zentralfigur von Reformationsfeierlichkeiten“.

Da die Juden sich nicht, wie von Luther erhofft, zum Protestantismus bekehren ließen, sondern an ihrem Glauben festhielten, rief er dazu auf, sie zu vertreiben und ihre Gotteshäuser zu verbrennen. Seine antijüdischen Hetzschriften wurden im Deutschland der 1930er Jahre hunderttausendfach nachgedruckt.

Bach wiederum verfügte über eine mit über achtzig theologischen Werken bestückte Bibliothek, die sowohl die Werke Luthers als auch vier Bücher des dezidiert judenfeindlichen Theologen Johannes Müller enthielt, der energisch gegen die Toleranzbestrebungen der Aufklärung anschrieb. Gleichzeitig kannte Bach höchstwahrscheinlich keinen einzigen Juden persönlich, da es in den Orten, wo er lebte, kaum welche gab.

Auf einer Texttafel heißt es: „Luthers Geschichtstheologie, die im 1.500jährigen ‚Exilio und Elende‘ einen Beweis für den eigenen Glauben sah – Gottes ewige Strafe für die verstockten Juden ist die Kehrseite seiner Gnade für die Gäubigen –, wurde offenbar von Bach privat geteilt.“ Als Beleg gilt eine handschriftliche Zahlenkorrektur in einem einschlägigen Text. Problematisch in diesem Zusammenhang ist insbesondere der große Chor „Sein Blut komme über uns und unsre Kinder“ aus der Johannes-Passion. In diesem von besonderem Furor getragenen Ensemblestück übernehmen, die Deutung ist nur allzu klar, die Juden auf Generationen hinaus die Schuld am Tod Christi.

Im frühen 19. Jahrhundert aber müssen aufgeklärte Geister bereits in der Lage gewesen sein, die antijüdischen Implikationen in Bachs Werk als zeitgeisttypische Residuen einer früheren Epoche zu betrachten und großzügig darüber hinwegzusehen. Der Familie Mendelssohn, die sich in besonderer Weise um die Bach-Rezeption verdient gemacht hat, wird in diesem Sinne ein beträchtlicher Teil der Ausstellung gewidmet. Und zwar nicht nur Felix Mendelssohn Bartholdy, der bekanntermaßen im Jahr 1829 als 20 Jahre altes Junggenie die Matthäus-Passion erstmals nach einem Jahrhundert wieder aufführte und damit offiziell für die musikalische Öffentlichkeit wiederentdeckte.

Auf väterlicher Seite war Felix ein Enkel des berühmten jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn, der selbst intensive musikalische Studien betrieben hatte und ein großer Verehrer von Bachs Musik war. Aber auch Felix’ musikalisch hochgebildeter Großmutter mütterlicherseits, Bella Salomon, wird prominent mit einer eigenen Texttafel gedacht: Denn sie war es, die ihrem Enkel die Partitur der Matthäus-Passion schenkte, mit der Felix erstmals direkten Zugang zu dem Werk erhielt, aus dem alle einzelnen Stimmen für die legendäre Aufführung der Sing-Akademie herausgeschrieben werden sollten.

Dass man mit mehr Fragen aus dieser Ausstellung herauskommt, als man mit hineingenommen hatte, spricht unbedingt für sie. Sie könnte aber – gerade deswegen – durchaus größer sein; und es ist schon ein bisschen bitter, dass man sie nur sehen kann, wenn man den ganz normalen Eintritt für den hässlichen großen Dom bezahlt. Der ist aber andererseits schön hoch; und man kann die Gelegenheit prima zum Anlass nehmen, mal bis ganz nach oben zu klettern und den sensationellen Rundumblick auf Berlins historische Mitte zu genießen.

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