: Schlechte Filmkopie
Die deutsche Niederlage im WM-Test gegen Brasilien zeigt, dass die Möglichkeiten von Bundestrainer Joachim Löw begrenzter sind als gedacht
Aus Berlin Johannes Kopp
Es war kein Zufall, dass gerade Mario Gomez dieses verbotene Wort rausrutschte. Glücklos zwar hatte der 32-jährige Stürmer im brasilianischen Strafraum auf seine Chance gewartet, aber den Wackelkandidat für einen der begehrten WM-Kaderplätze für das Turnier in Russland macht das Wissen tiefenentspannt, dass er etwas hat, was die anderen nicht haben: Er ist ein Vollstrecker alter Schule und teamintern dennoch kein Ego-Shooter. Das gibt ihm auch eine gewisse Narrenfreiheit. Kein Wunder also, dass er fast schon beiläufig bei seiner Analyse der 0:1-Niederlage in den Katakomben des Berliner Olympiastadions den Tabubruch beging: „Wenn wir mit unserer ersten Elf spielen, können wir Brasilien absolut Paroli bieten, wenn nicht sogar mehr.“
Erste Elf? Dieser Begriff wurde aus dem DFB-Wörterbuch eigentlich schon vor Jahren gestrichen. Und nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 erließ der Verband auch aus marketingstrategischen Gründen die Sprachverordnung, von nun an nur noch den feststehenden Begriff „Die Mannschaft“ zu benutzen. Aber die beiden großen WM-Bewährungstests gegen Spanien und Brasilien haben vor allem eines gezeigt: Es gibt eine erste und zweite Mannschaft.
Mit seiner Personalauswahl für die beiden Spiele hat Bundestrainer Joachim Löw dafür gesorgt, dass die Hierarchie deutlicher zum Vorschein kam als gewünscht. Spanien zollte er mit dem Aufgebot der Allerbesten reichlich Respekt, gegen Brasilien wiederum sollte sich eine auf sieben Positionen veränderte Improvisationself vor der WM-Kader-Nominierung Mitte Mai beweisen. Zur Verwunderung vor allem der brasilianischen Journalisten hatte der Bundestrainer die Weltmeister Mesut Özil und Thomas Müller vor der Partie zur Erholung nach Hause geschickt.
Dass sich Löw dennoch vom runderneuerten Team mehr versprochen hat, erklärte er in der DFB-Sprachdiktion: „Jede Mannschaft hat mal so einen Tag, an dem es nicht läuft.“ Er hob nicht auf die Personal- und Qualitätsunterschiede ab, sondern auf die Tagesform. Um mögliche aufgeregte Debatten erst gar nicht aufkommen zu lassen, betonte er: „Mir bereitet kaum etwas große Sorgen. Weil ich weiß, dass die Mannschaft zu etwas ganz anderem fähig ist.“
Mit dem berauschenden Auftritt gegen Spanien hatten die beteiligten Nationalspieler einen hohen Maßstab gesetzt. Die Partie gegen die Südamerikaner wirkte dagegen wie eine schlechte Filmkopie, bei der das Bild gerade immer dann unansehnlich wird, wenn es spannend werden könnte. Julian Draxler und Leroy Sané deuteten auf der linken Seite zwar anfangs an, dass sie mit ihrer Schnelligkeits- und Kombinationsgabe eine Abwehr auseinandernehmen können. Im entscheidenden Moment traf insbesondere Sané doch immer die falschen Entscheidungen. Für die erste Elf konnte er sich am Dienstagabend ebenso wenig empfehlen wie Gomez, Marvin Plattenhardt, Leon Goretzka oder Kevin Trapp. Lediglich der eingewechselte Julian Brandt sorgte in den Schlussminuten für Schwung.
Ein traumwandlerisches Zusammenspiel der an Löws Experiment beteiligten Spieler kann man natürlich auch nicht von dieser neuen Formation erwarten. Das muss zur Verteidigung ebenso angeführt werden wie der Umstand, dass der Gegner auf die traumatische Verletzung aus dem WM-Halbfinale von vor vier Jahren (1:7) sehr giftig reagierte. Mit großer körperlicher Wucht und Dynamik zerstörte der fünfmalige Weltmeister das Aufbauspiel der Deutschen schon im Ansatz.
Wobei Julian Draxler den Gegner nicht zu stark reden wollte. Auf der Suche nach Erklärungen, warum sich die DFB-Elf so schwertat, erklärte er: „Es lag vor allem an uns selbst. Ich habe Brasilien gar nicht so stark gesehen, dass wir keine Chance gehabt hätten, die auszuspielen.“ Es hätte vor allem die Aggressivität und Zweikampfstärke gefehlt. Ungewohnt viele Ballverluste waren die Folge. Ihren Anfang nahmen sie bereits häufig bei den Abschlägen von Kevin Trapp. Die fatalsten leistete sich mit Ilkay Gündogan allerdings einer der Routinierteren. Nicht nur das Gegentor durch Gabriel Jesus leitete er mit einem Fehlpass ein. Zuvor war er bereits Initiator einer anderen brasilianischen Großchance durch Coutinho gewesen.
Vergangenen Sommer wurde ja nach den Erfolgen der deutschen U21 bei der EM und der deutschen Verlegenheitsauswahl beim Confed Cup gern der Eindruck verbreitet, dass Löw jederzeit per Zufallsgenerator aus einem Kreis von 60 Spielern eine A-, B-, C- und D-Mannschaft zusammenstellen kann, die nahezu jeden Gegner schlagen kann.
Ein weiteres Sommermärchen, das nun entzaubert wurde. Erstmals seit dem verlorenen EM-Halbfinale 2016 in Marseille gegen Frankreich musste sich das Team von Löw wieder einmal geschlagen geben. Der vermutlich wichtigste deutsche Nationalspieler, Toni Kroos, teilte am Dienstagabend mit, dass er an die große Favoritenrolle der Deutschen bei der WM in Russland sowieso nie geglaubt habe. Er sagte: „Das war vorher Quatsch und das ist jetzt Quatsch , Jetzt sehen es vielleicht ein paar mehr so.“ Das könnte für Löw und sein Team durchaus ein Gewinn sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen