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Nach Deniz Yücels FreilassungDeniz zu Besuch in der taz

Ausnahmezustand im Konferenzraum: Der alte Sack ist wieder da! Deniz Yücel kommt vorbei – und sorgt für eine Party am Vormittag.

Guess who's back: Deniz Yücel Foto: Karsten Thielker

Donnerstag früh in der taz, der Konferenzsaal – vollgestopft mit taz-Mitarbeiter*innen, jungen Gästen des taz Panter-Workshops und ehemaligen, neugierigen taz-Kolleg*innen wie Thilo Knott und Kai Schlieter von der Berliner Zeitung und Enrico Ippolito, Kulturchef von Spiegel Online – verlegt sich in den Wartemodus. Er, der sehnlich Erwartete, hatte und hat ja stets seine eigenen Vorstellung von Zeit. Und dann, sieben Minuten nach zehn Uhr, brandet Beifall auf. Zunächst durch jene, die am besten sehen können, wer durch die Tür kommt: Deniz Yücel, unser früherer Kollege.

Gut sieht er aus, dafür, dass er kaum mehr als einen Monat aus türkischem Knast entlassen zurück in Deutschland ist. Die Haare schick meliert, das dunkle Sakko cool im Semiknitter, das dunkeltaubenblaue T-Shirt fein dekolletiert, der Teint nicht von alpiner Frische, aber doch gesund und schön.

Und dann die Schuhe: Der Mann, der doch nie etwas trug als schwarze ausgetretene Halbschuhwerk, trägt den vorletzten Schrei, später sagt er: „Modelinie Alessandro del Piero“, nicht ohne zu erwähnen, dass mit diesen Sneakers Italien nie Weltmeister geworden wäre. Ein stylisches Statement, so beiläufig, aber: So geht Schuh gewordene Lebenszugewandtheit, Deniz, influencer in the taz.

Deniz Yücel hat, das ist in der taz kein Geheimnis, die taz-Kolleg*innen, gern in jüngerer, nicht jüngster Zeit halbverzankt, sozusagen geeint. Der Kollege, um den so viele bangten, als er im türkischen Hochsicherheitsgefängnis Insasse der Justiz Erdoğans war, wird an diesem Morgen mit einer Liebe bestaunt und beguckt, dass es nur so zu flimmern scheint. Und Yücel, keineswegs ja uneitel an und für sich, was ja seinen Charme erst wärmend macht, dieser Deniz Yücel ist sogar ob des Applaus' ergriffen. Nein, rinnende Tränen sind es nicht, die man sieht, sondern ein freundschaftlich-bewegter Blick mit ein bisschen Wehmut. Weil es vorbei ist, weil Furcht und Anteilnahme keinen Platz mehr haben müssen.

Was für ein Influencer Foto: Karsten Thielker

Eine halbe Stunde berichtet Deniz, aus der Türkei, vom Dank an all jene, die das ganze Jahr über seit seiner Inhaftierung solidarisch für ihn geschuftet haben, mit Autocorsi, Texten, in Interviews, Reportagen – das sind die Kolleg*innen von taz gazete natürlich auch, ebenso die Redakteur*innen der taz, die begriffen hatten, dass nichts im Mediengewerbe so schwierig ist, wie Solidarität zu entzünden über mehr als sechs Wochen hinweg. Doris Akrap, taz-Kolleg*in, hat diese Arbeit seitens der taz in engster Kooperation mit der Welt mit unerbittlicher Hartnäckigkeit angeführt, und sie verdient es, auch hier gesondert erwähnt zu werden: Jemanden, der in einem Knast in einem halbtotalitären Staat einsitzt, gegen das Vergessen zu schützen – das ist gar nicht so leicht.

Ein Strauß Petersilie

Deniz Yücel, vor sich ein Solidaritäts-Willkommen-Biodeutsch-Petersilie-weiße-Rose-Sträußlein, sagt: „Ich wollte, als ich aus dem Gefängnis kam, nichts als meine Normalität wieder haben.“ Er hat, seit er wieder frei ist, seinen Heimatort Flörsheim besucht, war unter Freund*innen und hat ein Leben des Befragtwerdens zu leben. „Ist normal“, sagt er, „aber ich will nicht zu jemanden werden, der mit dem Label herumläuft ‚Der Mann, der ein Jahr im türkischen Knast saß.‘“ Und auch nicht, völlig logisch, ein Interviewobjekt werden, „ich möchte nicht Mikrofonwälder vor mir stehen haben“, denn das „macht es ja nicht einfacher, wieder als Journalist zu arbeiten und selbst Interviews zu führen.“

Veranstaltung

Auf die Freiheit“, 24. März, 20 Uhr, Festsaal Kreuzberg, Livestream unter www.cosmoradio.de

Bloß nicht Futter der Medienaktualitätsmaschine werden, nur das Nötigste, nicht ‚verbrannt‘ werden. Nach der Konferenz – wird geraucht. Und Prosecco und Kaffee und Säfte gereicht. Freundliches Geschnatter, Deniz mittendrin, er wird immer wieder geherzt und geknuddelt, es ist, als sei einer heimgekommen, von dem man weiß, dass er jetzt eine neue berufliche Heimat hat. No bad feelings, alles gut, kein falscher Ton. taz-Chefredakteur Georg Löwisch bringt ihn nach dem taz-Besuch zum gegenüberliegenden Gebäude des Axel-Springer-Verlags zurück, sicherheitshalber. Deniz Yücels letztes Wort: „Danke.“

Samstag wird gefeiert, das steht fest. Deniz Yücels erster öffentlicher Auftritt. Im Festsaal Kreuzberg liest Deniz aus seinem Buch „Wir sind ja nicht zum Spaß hier“ vor, im Anschluss Party, was insofern keine Banalität ist, weil dies genau die Linie zieht zwischen Freiheit und Knast – die Möglichkeit, gemeinsam zu feiern.

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10 Kommentare

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  • Ich freu mich für jeden der aus einem Gefängnis eines Unrechtstaates rauskommt, aber warum soviel Liebe für einen Journalisten der mir nix dir nix von der "täglich eine Linke radikale Zeitung" zu Springer wechseln konnte?

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Rider:

      Täglich eine linke radikale Zeitung, das waren die 80er-Jahre. Jetzt ist die taz ja eher grün-mittig mit linken Einsprenkseln. Deniz Yücsel war eines davon.

       

      Und wenn Sie wüssten, wie die taz-Gehälter so sind, würden Sie den Wechsel vielleicht verstehen.

       

      Der Mann will auch mal von seiner Rente leben können, nehme ich mal an.

  • Das habe ich mir für Deniz Yücel über ein Jahr lang gewünscht und nun ist es wahr: Er ist wieder da, wenn auch nur zu Besuch. Ich habe mir immer wieder vorgestellt, was ich jetzt auf Fotos sehen kann: Einen glücklichen Menschen, der mit Freunden und einer Menge Rührung im Gesicht gemeinsam am Tisch sitzt, der umarmt und sich strahlend umarmen lässt und Küsschen kassiert, mit denen er vielleicht gar nicht gerechnet hat - vor einem Jahr oder davor. Schön, dass er wieder da ist.

     

    Am Schönsten wäre es natürlich, wenn er bei der TAZ wieder dabei wäre! Aber, so isch das Läben äben... kannsch nix machen... Aber: Wünschen wird man doch wohl noch dürfen! Hauptsach, er isch wieder da..

  • 9G
    97796 (Profil gelöscht)

    Die Linke hat einen neuen Messias und findet ihren Weg zurück zum Glauben. Dann lieber in die Kirche.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @97796 (Profil gelöscht):

      Hat sie gerade eben nicht. Deniz Yücsel scheut ja das Rampenlicht. die taz-Redaktionskonferenz und der Festsaal Kreuzberg sind nicht gerade die größten Bühnen der Republik,

      wenn er wollte, könnte er sicher durch all die öden Talkshows tanzen.

       

      Er will gerade eben nicht herausragen, sondern als wieder als ganz normaler Journalist arbeiten.

       

      Steht eigentlich alles im Artikel.

      • 9G
        97796 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Mein Angriff ging auch nicht gegen Yücsel.

  • DENIZFREITAZ -;))

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Wahr gesprochen!

  • Was er gewiss nicht wissen kann, ob man seine Freilassung dazu missbrauchte, seitens der türkischen AKP-Regierung und der bundesdeutschen GroKo-Regierung, eine medial geschönt frisierte und beiderseitige Abmachung zu erzielen, um letztlich doch, durch die deutsche Lobby und GroKo-Bundesregierung, die deutsch-türkischen, die wirtschaftlichen, militärischen und geopolitischen Interessen der geo-faschistischen AKP-Regierung der Türkei zu bedienen.

    • @Reinhold Schramm:

      Hier ein Artikel, der sie interessieren könnte.

       

      //http://www.achgut.com/artikel/achgut_briefing_fuer_illner_erdogans_mordfeldzug