piwik no script img

„Der steht dann auch erst mal nicht mehr auf“

Auf der „Enforce Tac“, der Internationalen Messe für behördliche Sicherheit in Nürnberg, gibt es alles, was das Aufstandsbekämpfungsherz begehrt

Aus Nürnberg Laura Meschede

Die ganze Zeit hat der Mann mit erhobenen Händen brav am Bildschirmrand gestanden. Jetzt zieht er plötzlich eine Waffe, hält sie mit der rechten Hand nach unten und rennt. Hektisch. Ein bewaffneter Fluchtversuch. Der Schütze legt an, zielt und – „Halt! Der läuft weg, den darfst du nicht erschießen!“, ruft der Aussteller. Zu spät. Den Falschen erschossen – Game over.

Der Schütze, offenbar ein ausländischer Soldat, legt die Übungswaffe zurück auf den Simulator und tauscht einen Blick mit dem amerikanischen Aussteller. Der grinst entschuldigend. „Wir sind hier in Deutschland, man darf hier niemandem in den Rücken schießen“, sagt er auf Englisch. „O. k.?“, sagt der Schütze und schaut ein wenig ungläubig. Die beiden Männer lachen.

Es ist der erste Tag der „Enforce Tac“, der Internationalen Messe für behördliche Sicherheit in Nürnberg, und für Journalisten ist das gerade vor allem deshalb interessant, weil wir alle noch die Diskussion in den USA über Schusswaffen im Ohr haben. Dort, das ist in Deutschland weit bekannt, sitzt der Abzug locker. Das ist selbstverständlich in der Bundesrepublik ganz anders. Zumindest scheint das so. Hier auf der Messe in Nürnberg sind jedenfalls sogar inmitten der Dutzende Waffenstände alle so eher irgendwie pazifistisch eingestellt. Zumindest an den Ständen mit den nichttödlichen Waffen.

„Wäre das nicht toll, wenn alle bei Problemen immer nur noch Pfefferspray verwenden würden?“, fragt der Mann vom Original TW1000-Stand und deutet auf eine feuerlöscherähnliche Flasche, aus der Pfefferspray mittels eines überdimensionalen Schlauches abgegeben werden kann. „Dann müssten alle nur ein bisschen weinen und dann könnte man sich wieder vertragen.“

Gebraucht würden die neuen Waffen nicht nur auf Demonstrationen, sondern „überall, wo die anderen unbewaffnet sind“

Die Pfefferspray-Feuerlöscher-Variante, die er an seinem Messestand anpreist, kann 10 Liter Pfefferspray innerhalb von 20 Sekunden abgeben. „Durchaus auch im breiten Strahl.“ Die Militärpolizei hat bereits Interesse angemeldet. „Wollen Sie mal testen?“

Testen kann man das Pfefferspray in Gummibärchen-Form, ein Werbegeschenk. „Achtung: Nicht geeignet für Kinder!“, steht auf der Packung. „Die schmecken genau wie unser Spray!“, sagt der Mann und grinst. „Scharf macht glücklich! Deshalb nennen wir unser Spray auch das ‚Happy Spray‘!“

Noch mehr Aufstandsbekämpfung ohne Tote gibt es ein paar Stände weiter: Die „FN303“, optisch eine Mischung aus Sturmgewehr und Paintball-Pistole, ist zwar als Waffe kategorisiert, aber der Aussteller rechnet trotzdem mit einer Zulassung „in den nächsten paar Monaten“. Dann könnte das Gerät, das – Zitat Pro­spekt – „die Lücke zwischen Schlagstock und Schusswaffe“ schließt, auch auf Demonstrationen eingesetzt werden.

„Es gibt mehrere Landespolizeien in Deutschland, die sich dafür interessieren“, verrät der Aussteller, der nur bedauert, dass das Gerät, mit dem Farb- und Reizgaspatronen verschossen werden können, noch nicht zum G20-Gipfel zugelassen war. „Wenn Sie da jemanden mit treffen, dann sackt der zusammen und der steht dann auch erst mal nicht mehr auf.“ Das täte „richtig weh, nicht nur so ein bisschen wie bei einem Taser“. Ins Gesicht schießen solle man nicht damit, sonst könne das mit den ausbleibenden Toten nicht mehr garantiert werden, warnt der Aussteller. Aber er ist sich sicher: „Das sind ja alles gute Schützen.“

Gebraucht würden die neuen Waffen, die im Prospekt „weniger tödliche“ Waffen genannt werden, nicht nur auf Demonstrationen, sondern „überall, wo die anderen unbewaffnet sind“, erläutert der Experte. Zum Beispiel im Gefängnis: „Da schießt du im Knast zweimal mit und danach gilt bei Stress: Wenn du das rausholst, dann ist Ruhe im Stall.“

In Deutschland wird man nicht so einfach erschossen. Am Rheinmetall-Stand gibt es Schock- und Blendgranaten. Keine Panzer. Vielleicht war der Weg nach Nürnberg aus der Türkei zu weit. Deutschland, Hort des Friedens neben den verrückten Amerikanern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen