Opfer des Algerienkriegs in Frankreich: Auch Algerier werden entschädigt
Es ist nicht rechtens, dass nur französische zivile Opfer des Algerienkriegs entschädigt werden. Das hat das oberste Gericht entschieden.
Schätzungsweise 15.000 Personen, die heute die algerische Staatsbürgerschaft besitzen, könnten dank dieser späten Korrektur finanzielle Forderungen stellen. Algerische Medien möchten in diesem Entscheid vor allem die späte moralische Anerkennung einer alten Schuld der Exkolonialmacht sehen.
Der Kläger Abdelkader K. war gerade acht Jahre alt, als er 1958 im algerischen Dorf Mascara bei Oran bei einem Attentat durch einen Bauchschuss verletzt wurde. Algerien war damals ein französisches Departement, der blutige Unabhängigkeitskrieg hatte gerade erst begonnen. Bis heute leidet K. unter den Folgen der Verletzung.
Ein Gesetz von 1963 sah zwar eine Wiedergutmachung für zivile Opfer vor, die Ansprüche aber blieben französischen Staatsbürgerinnen und -bürgern vorbehalten. Damit konnte sich K. nicht abfinden. Mit seiner Anwältin Jennifer Cambla reichte er eine individuelle Verfassungsklage ein. Mit Erfolg: Die Klausel, die Entschädigungen nur für Französinnen und Franzosen reserviert, wurde nun gestrichen.
Anwältin Cambla sagte, sie sei keineswegs überrascht, denn der Entscheid sei nur „logisch“. Die ursprüngliche Unterscheidung der Entschädigungsgesetze von 1963 für zivile Opfer in der Zeit von Oktober 1954 bis September 1962 habe nämlich übersehen, dass vor der Unabhängigkeit alle Einwohner Algeriens französische Staatsangehörige waren. Das Urteil habe das „bloß korrigiert“, sagt Jennifer Cambla. Sie erhält nun täglich Anrufe von neuen Klienten „sowohl aus Frankreich wie aus Algerien“, die sich für Rentenansprüche auf die neue Rechtsprechung berufen wollen. Den meisten geht es nicht allein ums Geld (in vergleichbaren Fällen war von 150 Euro pro Monat die Rede), als vielmehr um die Anerkennung als unschuldige Opfer des Kolonialkonflikts, ist Cambla überzeugt.
Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit
Als solche Opfer sind Zivilpersonen definiert, die bei Attentaten oder Kriegshandlungen beider Seiten in Mitleidenschaft gezogen wurden. Ausgeschlossen sind dabei alle, die in irgendeiner Form an der Organisation oder Ausführung dieser Aktionen beteiligt waren oder dazu aufgerufen hatten. Aus der Sicht der Historiker ist dieses Urteil des Verfassungsgerichts ein wichtiger Schritt in Frankreichs Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit.
Über die finanzielle Tragweite des Gerichtsentscheids kann nur spekuliert werden. Der Algerienspezialist Benjamin Stora erklärte dazu in der Tageszeitung Le Monde: „Der Begriff des Opfers bleibt hier zu abstrakt. Nehmen Sie als Beispiel die zwei Millionen einheimischen Bauern, die von der französischen Armee (zwischen 1956 und 1961) zwangsumgesiedelt wurden. Sind sie als Opfer einzustufen?“
In der Regel zieht die französische Staatsführung symbolische Gesten der Reue vor: Der frühere Präsident François Hollande hatte in Algier den Kolonialismus als „zutiefst ungerechtes und brutales System“ verurteilt. Sein Nachfolger Emmanuel Macron hatte die 130 Jahre dauernde Besetzung Algeriens als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ bezeichnet.
Bezeichnenderweise betrifft die verfassungsrechtliche Korrektur nur die Periode des Unabhängigkeitskriegs. Das kritisiert etwa der algerische Journalist Kamel Beniaiche: „Die Kolonialisierung kann nicht auf ein paar Jahre verkürzt werden. Damit schafft die französische Justiz verschiedenen Kategorien von Opfern.“
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