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Mit der ganzen Kraft des Körpers

Zum ersten Mal bringt das inklusive Theater Klabauter mit Becketts „Endspiel“ ein Drama im Originaltext auf die Bühne. Das gelingt den Schauspieler*innen mit Behinderung mit Bravour

Von Robert Matthies

Es ist ein bejammernswerter Zustand: Von der Welt ausgeschlossen und auf Tod und Verderben in einem düsteren tür- und möbellosen Raum mit nur zwei kaum erreichbaren Fenstern miteinander eingeschlossen sind die vier Figuren in Samuel Becketts berühmtem absurdem Theaterstück „Das Endspiel“. Aufeinander angewiesen sind sie, denn am Leben zu sein, das bedeutet in Becketts Welt, physisch zu sein. Und physisch zu sein, bedeutet verdammt zu sein: den gebrochenen Sinn der Welt verdeutlichte der irische Schriftsteller und Dramatiker mit gebrochenen Körpern seiner Protagonisten. Im „Endspiel“ haben alle ein Handicap, eine erkennbare körperliche Beeinträchtigung.

Im Zentrum sitzt der blinde und gelähmte Herr dieser trostlosen Welt, Hamm, im mit Rollen versehenen Sessel. Dessen steifbeiniger Diener Clov wiederum kann nicht sitzen, auch das Gehen und Sehen gelingt ihm nur mit größter Mühe. Und schließlich Hamms Eltern Nell und Nagg: Nur noch Rümpfe haben sie und Sinne, auf die sie sich nach einem langen Leben voller Leiden nicht mehr verlassen können. In Mülltonnen am Rand des Raumes müssen sie hausen und den verhassten und sie ebenso hassenden Sohn um jeden Löffel Brei anflehen. Auf gegenseitige Hilfe sind sie angewiesen, keiner kann ohne den anderen überleben.

Ihr Miteinander ist von Abneigung und Asymmetrien der Abhängigkeit geprägt. Vom grundlegenden Dilemma, dass keiner von ihnen die Kraft aufbringen kann, der aussichtslosen Situation zu entfliehen: dem Ringen um Aufmerksamkeit, um Berührung, ums Zuhören, aber auch um Macht, um die eigene Biografie, um die Sprache. Denn eines hat die sich so am Ende aufhaltenden und nicht zum Ende kommende Schicksalsgemeinschaft nicht verloren: die Lust am Ausdruck, am Philosophieren über den Unsinn des Lebens und den Sinn seines Vergehens.

Diese Lust am Ausdruck merkt man Lars Pietzko vom Theater Klabauter in jeder der langen Minuten dieser anderthalbstündigen Theater-Hölle an. Mit Inbrunst und bemerkenswerter stimmlicher Präsenz spielt der selbst gelähmte und blinde Schauspieler den Hamm. Und mit einer Dringlichkeit, die eben auch unmittelbar mit seiner Körperlichkeit und den damit zusammenhängenden Erfahrungen zu tun hat: Ohne Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann Pietzko seinen Arbeitsplatz nicht erreichen.

Auch die anderen drei Schauspieler*innen haben Behinderungen, die ihrer Präsenz auf der Bühne keinen Abbruch tun: Marc-André Steffen gibt den Clov als fast fröhlich wirkenden Stoiker, Amon Nirandorn und Sabrina Fries das uralte Elternpaar als schrill-stotterndes Sandkastendialogduett.

Mit Becketts „Endspiel“ hat das Hamburger Theater Klabauter zum ersten Mal ein Drama im Originaltext auf die Bühne gebracht. Das Stück habe sich geradezu aufgedrängt, sagt Regisseurin Dorothee de Place. Weil es wie kein anderes Stück der Theatergeschichte die Beeinträchtigung des Körpers in Bezug setzt zum Spiel ums Gebrauchtwerden und zum Ringen um Unabhängigkeit: ein Thema, das nicht nur abstrakt den Menschen an sich berührt, sondern ganz konkret die Lebenswelt von Menschen mit Behinderungen. Nicht zuletzt habe es sich auch angeboten, weil es Schauspieler Lars Pietzko quasi auf den Leib geschrieben sei, sagt de Place.

Seit 2015 leitet de Place das Projekt, in dem rund zwölf Schauspieler*innen professionell und hauptberuflich arbeiten. Entstanden ist das Ensemble in Zusammenarbeit mit der Dia­konie-Stiftung Rauhes Haus und der „Individuellen Arbeitsbegleitung“ angegliedert. Das Theater ist Mitglied im Dachverband freier darstellender Künste Hamburg und beteiligt sich am Programm „Theater und Schule“.

Bislang hat das Ensemble vor allem eigene Stücke entwickelt und dabei auch mit Gruppen aus der freien Szene zusammengearbeitet. Zuletzt ist mit dem Duo „Die Azubis“ das viel gelobte Jugendstück „Die Zeitraffer“ entstanden. „Wir möchten endlich als echtes Theater anerkannt werden“, sagt de Place. Dass es das noch nicht ist: An der Leistung des Ensembles liegt es mit Sicherheit nicht.

So, 4. 3., 16 Uhr, Theater Klabauter, Jungestraße 7a

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