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Das waren 17 Bier, der Herr!

Der Erfinder der Kritiker der Elche: Der Lyriker und Zeichner F. W. Bernstein wird 80 Jahre alt

Mitarbeiter bei „Pardon“ und „Titanic“ Foto: Zeichnung: aus „Meister der komischen Kunst: F. W. Bern­stein“, © Verlag Antje Kunstmann, 2012

Von Eckhard Henscheid

Innerhalb der aktuellen Wohltäter der Menschheit jedenfalls deutscher Sprache – also z. B. Gerhard Polt oder der allzu zeitig verstorbenenen Trias F. K. Waechter, Robert Gernhardt und Heino Jaeger – nimmt der noch lebende F. W. Bernstein einen, aber mindestens, gleichen Rang ein. Und er ist in dieser Reihe der eigentlich unverdienten Menschheitsgeschenke der sowohl vielseitigste als vornehmste als bescheidenste als wohl deshalb noch immer unbekannteste inter circa pares; ein noch immer nicht adäquat gewürdigtes und behuldigtes Genie.

Nun wird F. W. Bernstein – bürgerlich Fritz Weigle – mitten in Berlin seine satten 80 Jahre alt. Er wird die fälligen Glückwünsche mit gewohnter Gutmütigkeit und stoischer Nachsicht halbwegs durchgehen lassen.

In seinem frühen, beinahe populär gewordenen Gedicht „Identität – ja oder nein?“ macht der Verfasser sich nicht allein über das bereits seit ca. 1970 kurrente, ja randalierende Indentitätsgefasel verhohlen lustig; er inkludiert den Versen nicht nur manche unausgewiesene Zitate aus Bibel, Hegel und Schiller; im Schlussabsatz ist über einen heute fast vergessenen Romantitel von Max Frisch hinaus eine Komprimation beinahe aller Fragen und Problemkreise der damaligen und dieser unserer heutigen Welt und Zeit am Rundumwerken:

… bin Herr ich oder Knecht.

Bin ich ein Fürst? Ein Bettelmann?

Bin Heil ’ge ich oder Hur?

Bin ich ein Gi-Ga-Gantenbein?

Oder ein Wuschel nur?

Sehr wahrscheinlich das. „Blödmann“ oder „Wurstel“ wären ja auch nicht schlecht als kulminationistische Schlusspointe. Aber der rundlichere, herzigere und zugleich präzisere „Wuschel“ ist schon andachtswürdig. Ein Haus von drüben wie Musik, wie eine spätromantische Coda. Wenig fehlte und man möchte F. W. Bernstein allein für diesen „Wuschel“ weit über den Nobelpreis hinaus das Tor zum ewigen Leben, zum Himmel aufstoßen. Wenn, wie z. B. in seinen Faust-Fragmenten „Teufelspakt und Seelendeal“ belegt, er vom Himmel nur nicht so erschreckend wenig hielte.

F. W. Bernstein wurde am 4. März 1938 in Göppingen geboren, lebte längere Zeit in Göttingen, vorher in Frankfurt und nachher, seit 1984, als hauptamtlicher Professor für (eine etwas kuriose Kombination) Karikatur und Bildgeschichte in Westberlin und sodann in Berlin – seit ca. 1962 ist er zumindest nebenberuflich als Zeichner und Dichter am Tun, ab 1964 als Satirezeitungsredakteur und im Fortgang freier Mitarbeiter bei Pardon und Titanic – bar jeden Zweifels zählt er seither zu den tragenden und ragenden Gründergestalten dessen, was ab etwa 1980 häufig Neue Frankfurter Schule (NFS) genannt wurde.

Fast ab ovo seiner Berliner Studentenzeit war er Freund und Kooperateur für den ziemlich gleichaltrigen Robert Gernhardt, zeitweise so sehr sein Alter Ego, dass selbst Fachkräfte sich manchmal schwertun, bei diesen beiden Früh-Ingeniositäten den genauen Urheber zu ermitteln; zumal manches bis etwas 1975 tatsächlich auch im Duo-Team ausgeheckt worden war.

Müßig wohl die Frage, wer der Größere war und ist – als Genies zu buchen sind sie beide. Dass der 2006 verstorbene Gernhardt ungleich bekannter und gefeierter ist, wird (was selbst Kennern nicht immer aufleuchtet) wohl daran liegen, dass Gernhardt ruhmbezüglich viel mehr Ehrgeiz zeitigte; während Weigle-Bernstein sozusagen mit Nachdruck nicht reich und nicht berühmt werden wollte; was ihm teilweise sogar gelungen ist.

Sonstige Unterschiede? Bei den frühen poetisch-lyrischen Sachen könnte vieles vielfach von beiden sein – aber man geht als fortgeschrittener Connaisseur nicht fehl mit der Kenntnis eines fast sicheren Indizes: Zumindest dann, wenn in alten und neueren Texten das (wörtliche oder leicht abgewandelte) Zitat auftaucht: „Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt“, also das Zentrum der bekannten Kurzballade „Heinrich der Vogler“ von Vogl in der noch bekannteren Liedversion von Loewe –: dann ist es von Bernstein. Vor allem dann, wenn, wie in einem durchgehend inspirierten Poem des sehr frühen Bernstein, dies dranhängt:

Der Staub wallt auf, der Hufschlag dröhnt,

Nach alter Weis die Sonne tönt.

Die wahrlich und wahrhaft begnadete Einverleibung des altvertrauten Prologs des 1. „Faust“ eines gewissen J. W. v. Goethe in den aufwallenden Staub Loewes wäre nicht einmal Gernhardt eingefallen. Kein Wunder, dass Bernstein darum u. v. a. auch Herausgeber eines Goethe-Lesebuchs werden durfte.

Er wollte mit Nachdruck nicht reich und nicht berühmt werden; was ihm teilweise sogar gelang

„Obazahlnnischschkannnischmehr!“

„Das waren siebzehn Bier, der Herr!“

F. W. Bernstein war und ist heute noch ein Großmeister der lyrischen Langformen, der Ballade wie des Sonetts nicht weniger jedoch auch ein Größtmeister des Zweizeilers. In dem obigen triumphal präsent ist die Zahl 17, eine Primzahl, die seit ca. 1988 auch zu des Dichters Lieblingszahl reifte und häufig wiederkehrt. Gern genutzt sieht sich auch der Vierzeiler – jeder hat da seine Bernstein-Favoriten, in meinem Herzen, ja in meiner ganzen zweiteiligen Familie war von jeher dieser besonders beliebt:

Zu Mannheim stand ein Automat

um die Jahrhundertwende,

der jeden an das Schienbein trat,

der dafür zahlte. Ende.

Das weithin berühmteste Opus ist wiederum ein Zweizeiler, „Die schärfsten Kritiker der Elche / waren früher selber welche“ – der nur den Nachteil hat, dass er zeitweise, zum Ausklang der 68er-Bewegung hin, so populär ward, dass er sich notorisch den falschen Verfassern zugeschrieben sah: Fritz Teufel, Loriot, Gernhardt, Andreas Baader, Busch, Karl Marx und Goethe; meist nur nicht Weigle-Bernstein.

Klassenkämpfer war Bernstein, obwohl 1968 fast noch Twen, seiner letztlich extrem friedsamen Natur nach, sehr selten. Mindestens halber einmal aber doch:

Erwin aus der Unterschicht

liebt die Oberklasse nicht.

Doch vom Chef die Tochter

Gründungs­gestalt der bundesrepu­blikanischen Hochkomik: F. W. Bernstein Foto: Britta Frenz

sah er gern und mocht er.

Was aber die oben gewürdigten 17 Biere eines fraglosen Repräsentanten der hemmungslosen Oberschicht betrifft: Bei unserem Dichter fusioniert sich da vorbildlich die häufige Vorliebe für die Zahl 17 mit der für Sex und Suff und speziell Bier: welchem freilich zumindest der reife F. W. Bernstein als Person und Professor und Protagonist des vernunftgesegneten Lebens weitgehend sich verweigerte. So dass man hier füglich von einem poetisierten Ich-Ideal wähnen und sprechen darf.

Freilich, selbst in der Hymnisierung des vielfach hektomassenhaft genossenen Biers erweist dieser Dichter sich als Verstandeswesen. Einmal, im Gedicht „Schluss jetzt“, gibt er einem Saufbruder am Tresen vor dem Weltuntergang nur „noch sieben Biere“ zu trinken; sehr plausibel, der war nämlich schon beseligt „breit und voller Bier“, weitere zehn Glas waren, auch im Sinne nachvollziehbarer Dichtung, nicht drin.

Das mahnt nicht nur Bernsteins häufig spürbare professorale Beamtlichkeit an. Nein, „heute, wo die Sinnvorräte zur Neige gehen“ (Bernstein, aber schon 1988), sollte es gerade der Dichtung, auch der sog. Nonsens-Poesie, an polizeistundenorientierter Korrektheit nicht mangeln.

Nur äußerst selten ließ sich FWB zu Polemik, zu Schimpf und scharfer Satire herbei. Und wenn, betraf es aber schon allzeit die Richti­g­en. Den bekannten Dichterdarsteller D. Grünbein traf es einmal, da er sich gar zu penetrant als „Büchnergreis“ vorgestellt. Noch eherner erwischte es den Oberkünstler Baselitz. Bzw. seine PR-Agenten, die in einer sehr bedrückenden Zeitschriftenanzeige zugunsten des Fotoapparates Leica bzw. der „geistigen Qualität“ bzw. des „Denkniveaus der Leica-Philosophie“ sowie Baselitzens ebendiese „Dreckflut des Gedruckten“ (Bernstein) ausgegossen und den „Kotzkübel“ dazu aber immerhin gleich mitgebracht hatten.

Dass F. W. Bernstein auch ein Meister, ja Magier der komischen Prosa, namentlich der Anekdote, war und ist, sei nur derart en passant und freilich artig gezogenen Huts erwähnt, dass wir von hier aus stante pede gleich zu einem letzten Gedicht überleiten können, einem, das diesen Poeten final auch noch als politischen Denker, Analytiker, ja Visionär nachweist: „Fluggrund“. Der nämlich darin gründet, dass vieles wegen des „politischen Systems“ zu fliegen vermag.

Ältere erinnern sich, dass vor allem in den 60er Jahren diesen Unfug die sowjetischen Sputniks wirklich und im Ernst von sich aus suggerierten: fliegen also dank dem Kommunismus. Dichter Bernstein aber hatte damals schon aufgepasst: „Daran mag es wohl liegen / dass viele Dinge fliegen.“

Eckhard Henscheid, 76, schrieb u. a. die längst kanonischen Werke „Die Vollidioten“ und „Maria Schnee“

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