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Weiter in der Komfortzone

Die Wanderausstellung „Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen“ soll einen Perspektivwechsel zum Thema Wohnqualität eröffnen. Aber so ganz schafft sie das nicht

Von Bettina Maria Brosowsky

Diese Litanei ist quälend, dauert schon viel zu lang und hat keine rechte Perspektive: In Deutschland fehlen bezahlbare Wohnungen. Zumindest in den Städten und urbanen Großräumen, in denen die Menschen gern leben möchten. Weil sie dort Arbeit finden, kulturelle wie soziale Angebote, ihr persönliches Umfeld und manches mehr, was das Herz so begehrt.

Das weiß mittlerweile jeder, von der einzelnen Kommune bis zu Bundesbauministerin Barbara Hendricks, die im Sommer 2014 ein Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen ins Leben rief. Im März 2016 folgte ein Beschluss des Bundeskabinetts für eine Wohnungsbau-Offensive des Bündnisses, er gipfelte in einem Zehn-Punkte-Programm: Darin geht es um die Bereitstellung von Bauland, etwa durch die verbilligte Abgabe von Grundstücken des Bundes, die Stärkung der sozialen Wohnraumförderung, aber auch um das Ziel eines nahezu klimaneutralen Gebäudebestands bis 2050.

Nun scheint seit biblischen Zeiten eine derartige Zahl von Selbstverpflichtungen die Suggestivformel für glaubwürdige Handlungsbereitschaft. Sodass auch der ehrwürdige, 1903 gegründete Bund Deutscher Architekten (BDA) sich wohl gefordert sah, jetzt beziehungsweise Ende 2016 nachzulegen: und zwar mit einer Ausstellung unter dem Titel „Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen“. Luthergleich soll mit überkommenen Vorstellungen aufgeräumt werden. Das klingt erst mal ambitioniert. Aber was halten die Verlautbarungen, die von zehn im Wohnungsbau erfahrenen ArchitektInnenteams zu einer Publikation und einer hochästhetischen, jedoch trotz ihrer Mitmachaufforderung hohe Assoziationskräfte fordernden Wanderausstellung verdichtet wurden?

Jetzt macht diese Schau in Wolfsburg Station, sie wird vom 13. Mai bis 24. Juni nochmals in den Norden kommen, nach Bremen. In Wolfsburg werden derzeit an allen Ecken und Enden Wohnungen gebaut, 6.000 sollen es bis 2020 werden. Das Prestigeprojekt sind wohl die sogenannten Hellwinkel-Terrassen mit knapp 14 Hektar Fläche und 750 Eigentums- und Mietwohneinheiten. Auch hier geht man ambitioniert zur Sache, hat als Basis drei Gestaltungshandbücher entwickeln lassen, zu „Atmosphären“, Bau­typologien und Freiraum. Ökologisches kommt selbstredend nicht zu kurz, ganz so, als könne man vor Ort niemandem Umweltfrevel zumuten, während hier ersonnene Betrugsprodukte es weltweit dürfen.

Wohnen als elementar humane, kulturelle Aufgabe einer sich konstant ändernden (Stadt-)Gesellschaft: Das will der BDA. Dem stünden derzeit Normen, technische Vorschriften, der ungebremste Flächenzuwachs von mittlerweile 46,5 Quadratmetern Wohnfläche pro statistischem Durchschnittsbürger entgegen.

Es gilt, diese „Komfortzone des Gewohnten“, so die Berliner Kuratoren der Ausstellung, zu verlassen, mit dem Ziel kompakten Wohnens in anpassungsfähigen Raumstrukturen, das sich auf Essenzielles besinnt und reich an Atmosphären ist – und preiswerter obendrein.

Was Laien nun wohl nicht erkennen mögen: Viele der präsentierten zehn Thesen sind professionelle Rückgriffe, also „alte“ Standards. Baukosten durch Eigenleistung, etwa im Innenausbau, zu reduzieren und nebenbei so eine passgenaue Wohnsituation zu schaffen: Derartige Theorien flirrten in den 1970er-Jahren durch die Zeichensäle vieler Architekturfakultäten. Experimentierfreudige ArchitektInnen in Kassel, München oder dem österreichischen Dornbirn versuchten damals Vorbildhaftes.

Es gilt, die „Komfortzone des Gewohnten“, so die Berliner Kuratoren der Ausstellung, zu verlassen, mit dem Ziel kompakten Wohnens in anpassungsfähigen Raumstrukturen

Der Chilene Alejandro Aravena, der unter dem kämpferischen Titel „reporting form the front“ 2016 die 15. Architekturbiennale in Venedig verantwortete, hätte dazu aktuelle Beispiele in Lateinamerika zu bieten. Seine bunten Bastelbuden hielten aber wohl kaum den ästhetischen Standards des BDA stand. Während das propere Experiment „Grundbau und Siedler“ der Kölner Architekten BeL in Hamburg-Wilhelmsburg ein Vorzeigeprojekt unter den Ausnahmebedingungen der Internationalen Bauausstellung geblieben ist.

Ähnliches gilt für weitere Thesen: die hohe Dichte historischer Quartiere, flächenoptimierte Wohnformen mit gemeinschaftlichen Ausgleichs­angeboten, typologische Klassiker – der nutzungsneutrale gründerzeitliche Wohnungsgrundriss mit gleich großen Zimmern. Und auch die robuste Struktur industrieller Serienfertigung, die ausgetüftelte „Wohnung für das Existenzminimum“ der Zwischenkriegsjahre – also bewährte Vorbilder unter demografischen und Kostengesichtspunkten zu untersuchen, das ist ja nichts Neues, sondern tagtägliche Evolutionsarbeit der Architektur.

Neu allerdings ist die aufgeblähte Wertschöpfungskette im derzeitigen Bauen – (kommunale) Grundstückseigner, Projektentwickler, Investoren, Bauträger, Gutachter, Finanz- und weitere Sonderdienstleister: Sie alle wollen maximalen Profit erwirtschaften – zusätzlich zu den eigentlichen, nicht gerade geringen Erstellungskosten einer Immobilie, Honorare für Architekten und Ingenieure inklusive. Um den Wohnungsbau diesen Marktmechanismen zu entziehen, ihn auf seine Elementarkosten zu reduzieren, wäre radikales Denken vonnöten. Es gälte vorrangig, die ökonomische und politische „Komfortzone“ zu verlassen, die diese Auswüchse ermöglicht. Das aber scheint niemand zu wollen.

„Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen“, bis zum 24. Februar im Rathaus Wolfsburg

„Dichte als Perspektive. Wege in eine städtische Urbanität“, Gesprächsabend, 15. Februar, 19.30 Uhr, Rathaus Wolfsburg

„Erweiterung von Möglichkeiten“, Vortrag von Alfred Berger, Wien, 22. Februar, 18 Uhr, Alvar-Aalto-Kulturhaus

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