: Beluga: Das Ende ist nah
Reeder Stolberg könnte Bewährung bekommen
Von Benno Schirrmeister
Von einem „Mammut-Verfahren“ schreiben die Agenturen in Bezug auf die seit mehr als zwei Jahren andauernde Gerichtsverhandlung gegen den früheren Bremer Vorzeigereeder Niels Stolberg und drei seiner Helferchen. Am Donnerstag beginnt vorm Landgericht die Staatsanwaltschaft mit ihrem Plädoyer. Sie wird alles daransetzen, dass man das Ganze nach dem Urteil, das am 15. März verkündet werden soll, nicht als Mammut-Soufflé verspottet – substanziell genug, um satt zu werden. Aber insgesamt dann doch ziemlich aufgeblasen.
Bis zum Prozessauftakt am 20. Januar 2016 hatten zwei Bremer Staatsanwälte drei Jahre lang ermittelt und aus mehr als zehn Terabyte Daten eine Anklageschrift von über 900 Seiten in Standard-Typo destilliert. Im Raum stand ein Strafmaß von bis zu zehn Jahren. Betrug, Kreditbetrug und Bilanzfälschung hießen die Delikte. Während Stolberg die Fälschung schon am ersten Tag freimütig gestanden hatte, ist vom Rest viel weggebröselt.
Zwar hatte die vorsitzende Richterin Monika Schaefer im vergangenen Sommer davon gesprochen, dass es für Stolberg auf mindestens drei Jahre Freiheitsstrafe hinauslaufe – sprich: Der Entrepreneur des Jahres 2006 müsste wirklich in Haft gehen, wenn auch von Anfang an, so der Deal-Vorschlag, als Freigänger. Denn Bewährung gibt es nur bei bis zu 24 Monaten.
Statt aber den Vergleich anzunehmen, gingen Stolberg und seine Verteidiger voll ins Risiko. Jetzt könnte sich auszahlen, dass der Selfmade-Mann seinen Unternehmergeist nicht verloren hat. Denn im Januar erschütterte die Aussage eines Bankers den schwerwiegenden Vorwurf des Kreditbetrugs so erheblich, dass Stolberg das Gericht am Ende als vorbestrafter, schwer krebskranker, aber immerhin auf Bewährung freier Mann verlassen könnte: Offenbar hatten interne Absprachen, eine Art Aussageskript, dazu geführt, dass die Mitarbeiter*innen der inzwischen auch nur noch historischen Bremer Landesbank im Zeugenstand die Legende aufrecht erhielten, im Geldinstitut hätte keiner von Stolbergs Kredittricks etwas geahnt, geschweige denn gewusst.
Das Kick-back-Modell, bei dem der einstige Weltmarktführer der Schwergutreederei überhöhte Rechnungen einer niederländischen Werft beglich, um von der wiederum Rückzahlungen bei sich einzubuchen, hatte aber lange vor der Pleite schon zu auffälligen Kontobewegungen geführt, ohne dass die Finanzfachleute nachgehakt hätten. Bei manchen Kunden schaut der Bankberater eben lieber zweimal weg.
Am Ende ist die vielleicht beste Nachricht, dass dieses Verfahren zu einem regulären Abschluss kommt. Denn im Herbst drohte es komplett zu platzen, nachdem eine Ergänzungsrichterin gestorben und ein Schöffe aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war. Noch ein Ausfall hätte die komplette Neuauflage des Prozesses erforderlich gemacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen