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Triumph der Alten

Das erfahrene spanische Team hält Schweden im Finale der Handball-EM auf Distanz. Das liegt auch an einem Problembären

Aus Zagreb Michael Wilkening

Arpad Sterbik überragte sie alle. Der Mann, den sie den serbischen Bär nennen, wurde von unzähligen Kameralampen angeleuchtet, sein Kopf lugte aus diesem Pulk von Menschen hervor, seine imposante Gestalt war auch jetzt noch gut zu erkennen. Bis Donnerstag, einen Tag vor dem Halbfinale der Handball-Europameisterschaft, hatte Sterbik die Ruhe genossen. Der gebürtige Serbe, der seit acht Jahren einen spanischen Pass besitzt, war nur als Ersatzmann für die EM nominiert worden und stieß nur zum Kader, weil sich Stammkeeper Gonzalo Perez des Vargas verletzt hatte. In der entscheidenden Phase beim 29:23-Sieg der Spanier im EM-Endspiel über Schweden aber war er der entscheidende Mann im Team.

Mit seinem massigen Körper, dessen reflexartige Bewegungen immer aufs Neue erstaunen, gehört Sterbik schon seit 15 Jahren zu den schillerndsten Gestalten der Handball-Welt. Es war keine Überraschung, dass die Schweden sich an dem inzwischen 38-Jährigen die Zähne ausbissen. „Arpad ist ein großer Sportler und ein großer Mensch“, sagte Raul Entrerrios. Der Kapitän der Spanier hob die Bereitschaft Sterbiks hervor, noch einmal eingesprungen zu sein. Eigentlich hatte der Torwart seine Karriere in der Nationalmannschaft bereits beendet, doch jetzt wurde er noch einmal zum Helden – und zum Problembären der Schweden.

Bis zur Pause hatten die Schweden den besseren Eindruck gemacht und lagen mit 14:12 vorne. Die jungen Skandinavier waren bereit, die Nachfolge des deutschen Teams anzutreten, das zwei Jahre zuvor überraschend Europameister geworden war. Doch eine Wiederholung der Ereignisse gab es nicht, weil Sterbik über sich hinauswuchs und mithilfe der Abwehr ein Bollwerk bildete. Fast 20 Minuten lang fanden die Schweden keine Mittel, und aus dem 14:12 für die Schweden wurde ein 16:23 – die Entscheidung war gefallen. Nach der Schlusssirene hüpften sie alle wie kleine Kinder in der Arena in Zagreb umher: Die Handball-Senioren hatten ihren Weg nach den Erfolgen über Deutschland und Weltmeister Frankreich erfolgreich beendet.

Der Triumph der alten Männer dieser EM über die jüngeren Himmelsstürmer aus Schweden war kein Beleg für eine Stagnation, denn die Spanier spielten keinen altmodischen Handball. Sie überzeugten mit einer modernen Art der Verteidigung, mit der schon die Deutschen in der Hauptrunde nicht zurechtgekommen waren. Auch die Franzosen fanden im Halbfinale kein Mittel gegen die variabel agierende Abwehr der Iberer.

Die Deutschen

Fehleranalyse

DHB-Vizepräsident Bob Hanning hat nach dem EM-Aus der deutschen Handballer Fehler des Verbandes eingeräumt und die Zukunft von Bundestrainer Christian Prokop offengelassen. "Nach der WM haben wir auf eine Analyse verzichtet. Das war ein Fehler", so Hanning im ZDF. Er kündigte eine Analyse an. "Der Wunsch ist es, mit Prokop weiterzumachen. Es ist mir zu einfach, ihn zum Fraß vorzuwerfen."

Basis für den Erfolg der Spanier ist eine 6:0-Verteidigung, deren Stärke die Überzahl in Ballnähe ist. Funktioniert dieses System nicht, weil der Gegner gute Lösungen findet, können die Spanier auf eine 5+1-Defensivformation umstellen, die durch einen vorgezogenen Spieler für viel Unruhe sorgt. Die Schweden konnten den offensiveren Verbund der Spanier kaum überwinden, der neue Europameister nahm ihnen die Geschwindigkeit im Angriffsspiel.

„Jeder weiß genau, was er zu tun hat“, sagte Abwehrchef Gedeon Guardiola. Der Mann vom deutschen Meister Rhein-Neckar Löwen verwies auf die detailreiche Trainingsarbeit unter Jordi Ribera, durch die ein System perfektioniert wurde, das zuvor bereits sehr gut war. Ribera hatte bis zu den Olympischen Spielen in Rio die brasilianische Mannschaft trainiert und mit der Viertelfinalteilnahme für den größten Erfolg der Südamerikaner in ihrer Geschichte gesorgt und war anschließend in seine Heimat zurückgekehrt. „Es ist für mich ein Traum, die Selección zu betreuen“, sagte er bei seinem Amtsantritt vor 18 Monaten. „Wir haben ein Jahr gebraucht, um uns aneinander zu gewöhnen, aber jetzt weiß jeder, was er vom anderen erwarten kann“, lobte Guardiola den Coach.

Den Beginn einer Ära leitete der Titel für die Spanier nicht ein. Mit Ausnahme von Alex Duishebaev sind alle Leistungsträger deutlich älter als 30 Jahre, sie verkörpern nicht mehr die Zukunft, dafür aber die Größe der Gegenwart.

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