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„Bauen in der Gruppe bedeutet, auch mit Enttäuschungen zu leben“

Kollektive Bau- und Wohnprojekte laufen nicht immer harmonisch ab. Schon bei der Ideenfindung, aber auch bei der Finanzierung – oder gar durch ruhestörende Nachbarn nach dem Einzug – lauern Konflikte. Mediatoren können bei Problemen vermitteln

Mediation gefragt: Werden bei Bauprojekten Arbeiten nicht korrekt ausgeführt, ist das für Gruppen, die als Bauträger auftreten, eine besondere Herausforderung Foto: Klaus- Dietmar Gabbert/dpa

Interview André Zuschlag

taz: Herr Lange, wann benötigen Baugemeinschaften und Wohnprojekte Mediatoren?

Ralf Lange: Wenn Menschen gemeinsam ein Haus bauen und bewirtschaften möchten, geht das häufig nicht reibungslos vonstatten. In der Regel ist eine Mediation äußerst selten nötig. Die Lawaetz-Stiftung hatte als Projektentwicklerin von bislang fast 100 Baugemeinschaftsprojekten noch keinen Mediationsfall. Ich selbst konnte als Mediator außerhalb meiner Arbeit als Baubetreuer der ­Lawaetz-Stiftung bislang fünf Baugemeinschaften im Rahmen einer Mediation unterstützen. Meistens geht es dabei darum, dass die Gruppe einen schwierigen Klärungsprozess entweder in Eigenregie oder mit externer Unterstützung organisiert.

Kriegt man das nicht alleine hin?

Ob die Gruppe diesen Ausgleich der Interessen ohne weitere Unterstützung von außen schafft, hängt stark von den handelnden Akteuren und deren Kompetenzen ab. Eine Mediation kann dabei helfen, in festgefahrenen Situationen wieder Bewegung in den Klärungsprozess zu bringen.

Was sind typische Anlässe für Konflikte?

Da stellt sich zunächst die Frage: In welcher Phase des Bauprojekts befinden wir uns gerade? Am Anfang steht die Gruppen- und Ideenfindung. Hier kann es bereits unterschiedliche Interessen, Wünsche und Ziele der Initiatoren geben. Diese möglichen Differenzen müssen transparent gemacht und ausgehandelt werden. Dann muss die Gruppe ein geeignetes Grundstück finden, auf das sich alle Beteiligten einigen können. Danach folgt die Planungsphase, die in enger Zusammenarbeit mit Architekten, Baubetreuern und Fachplanern organisiert wird. Häufig lassen sich nicht alle Wünsche erfüllen, schließlich müssen Finanzierungen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen geklärt werden. Bei dieser Entwicklungsarbeit können Spannungen, Irritationen und Frus­trationen auftreten, die bei Bedarf im Rahmen einer Mediation bearbeitet werden können.

Und wenn das geklärt ist?

Auch in der Bauphase können Probleme auftreten. Wenn etwa die Aufträge nicht so ausgeführt werden, wie erwartet. Dort können häufig hohe Kostenrisiken entstehen. Und zuletzt können nach dem Einzug ganz klassische Konflikte auftreten wie etwa ruhestörender Lärm oder unterschiedliche Sauberkeitsstandards. Da stellt sich dann vielleicht heraus, dass die Lebensgewohnheiten doch nicht so kompatibel sind, wie anfangs gedacht. Wenn es hier in einer Baugemeinschaft zu Spannungen kommt, können mit dem Instrument der Mediation kreative Lösungen im Dialog gefunden werden. Nach meiner Überzeugung ist es durchaus ein Zeichen von Stärke, wenn die Gruppe anlassbezogen MediatorInnen zur Unterstützung beauftragt.

Welches sind die Momente, in denen die Gefahr eines Scheiterns solcher Bauprojekte am größten sind?

Am Anfang ist die Stimmung üblicherweise gut, alle sind optimistisch und freuen sich über das anstehende Projekt, das gemeinsam gestaltet werden soll. Das erste Nadelöhr erlebe ich bei der Wahl des Grundstücks und im Bewerbungsprozess. Das zweite bei der Wahl eines geeigneten Architekturbüros und bei der nachfolgenden Planung der Wohnungen. Viele Menschen versprechen sich von dem Projekt sehr viel. Wenn sich diese hohen Erwartungen aber nicht erfüllen lassen, weil das Grundstück oder der Bebauungsplan dies nicht zulassen, kann es schwierig werden. Dann können vitale Partikularinteressen, die einen Kompromiss erschweren, im Wege stehen. Eine Kompromissfähigkeit ist aber erforderlich, wenn das Projekt funktionieren soll.

Was machen Sie als Mediator dann? Die Leute darauf hinweisen, dass sie sich vielleicht gerade etwas egoistisch verhalten?

Nein, denn das wäre eine bewertende und strafende Intervention, die nicht zur Haltung und Aufgabe der Mediation passt. Als Mediator muss ich für alle Beteiligten Empathie entwickeln und deren Perspektiven einnehmen können. Bei Bauprojekten gibt es vitale Eigeninteressen, die nachvollziehbar kommuniziert werden müssen. Zugleich geht es darum, die Beteiligten in der Mediation zu einem Perspektivwechsel zu ermutigen und sich in die Situation der anderen Beteiligten hinein zu versetzen. Dann können die Probleme auch wirklich besprochen und bestenfalls geklärt werden.

Wie geht das konkret?

Zum Beispiel, indem die sachlichen Kernpunkte eines Konfliktes in einer Themenliste zusammengefasst und dann in einem empathischen Dialog bearbeitet werden. Das Ziel einer Mediation ist dabei stets, dass die Parteien gemeinsam Kompromisse und Interessenausgleiche erarbeiten. Sind die Konflikte nicht im Zuge eines Interessenausgleiches zu klären, kann am Ende einer Mediation auch die Trennung ein Thema sein.

Sie sprachen die Euphorie an, mit der die Gruppen in die Bauprojekte starten. Sind da zu viele Menschen zu blauäugig?

Wer Bauprojekte in einer Gruppe umsetzen will, sollte den Umgang mit Enttäuschung gelernt haben. Auch viel Geduld und Frustrationstoleranz gehören dazu, denn Bauen hat immer mit Unwägbarkeiten zu tun. Dies wird gerne in der Euphorie der Konzept- und Planungsphase übersehen.

Foto: privat
Ralf Lange

54, ist Mediator sowie als Projektentwickler bei der Lawaetz-Stiftung in Hamburg tätig. Diese setzt sich unter anderem für die Entwicklung alternativer Wohn- und Bauprojekte ein und vermittelt zwischen Behörden und AktivistInnen. So ist die Stiftung auch offizielle Eigentümerin der Roten Flora.

Haben Sie als Mediator das Gefühl, gerufen zu werden, wenn’ s eigentlich schon viel zu spät ist?

Mediatoren sind keine Wunderheiler. Oft werden wir tatsächlich erst sehr spät gerufen. Es wäre wünschenswert, dass die Alarmglocken früher klingeln und der Weg der Mediation im eigenen Interesse beherzt gegangen wird.

Landet der Fall sonst schnell vor Gericht?

Wir kennen in Deutschland die Tradition, dass Konflikte beim Planen und Bauen juristisch geklärt werden. Uns fehlt im Bereich des Planens und Bauens noch eine Mediationstradition, die Schwierigkeiten frühzeitig erkennbar und jenseits einer gerichtlichen Klärung professionell bearbeitbar macht. Ich bin davon überzeugt, dass die Mediation als Verfahren sehr nützlich werden kann, insbesondere für Baugemeinschaftsprojekte. Nicht zuletzt sind Mediationsverfahren häufig kostengünstiger und zugleich schneller im Vergleich zu juristischen Klärungen.

Gibt es dafür genügend Hilfsangebote?

Über die Mediationsverbände gibt es in Deutschland inzwischen einige Mediatoren, die sich auf das Thema Planen und Bauen konzentrieren. Zugleich sollten aus meiner Sicht präventive Maßnahmen und Instrumente stärker popularisiert werden, um die Bauwilligen möglichst früh im Laufe des Prozesses mit dem Mediationsverfahren vertraut zu machen. Gut geklärte Konflikte sind zugleich eine Chance für alle Beteiligten, langfristig zu einem vertrauensvollen Miteinander zu kommen. Diese Lernchance bietet das Verfahren der Mediation im Unterschied zur gerichtlichen Klärung, die häufig Gewinner und Verlierer zurücklässt.

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