Kehraus in Dahlem?

Vor einem Jahr haben das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst in Dahlem geschlossen – die Sammlungen sollen im Humboldt Forum Platz finden. Die Kultur im Bezirk Steglitz-Zehlendorf steht damit aber nicht vor dem Aus. Zwischen Schloßstraße und Wannsee findet sich eine kleinteilige und internationale Museums- und Ausstellungslandschaft, die sich nun neu justiert

Alles muss raus, mit dem Humboldt Forum als neuem Hafen: Abbau der Südseeboote im Ethnologischen Museum Foto: David von Becker/SMB

Von Rolf Lautenschläger

Dahlem muss bleiben!“, hat jemand an die Rostlaube, den Gebäudekomplex der Freien Universität (FU) an der Habelschwerdter Allee, gesprüht. Eine Parole. Ja, eine Klage. Sie bedeutet, dass mit der Schließung der benachbarten Museen Dahlem dem Ort ein Fundament weggebrochen ist, das den gesamten Bezirk in Gefahr bringt, quasi zu kollabieren. Im schicken Dahlem wähnt man sich auf verlorenem Posten.

Dieser bedauernswerte Reflex ist seit genau einem Jahr im Südwesten der Stadt zu spüren. Seit am 8. Januar 2017 die Staatlichen Museen in Dahlem das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst schlossen. Obwohl bereits seit 2009 klar ist, dass die berühmten Südseeboote und Riesenstelen der Cozumalhuapa-Kultur, die chinesischen Wandmalereien und afrikanischen Masken für ihren Umzug 2019 ins Humboldt Forum ab 2017 verpackt werden mussten, verschreckte das noch einmal so richtig.

Cerstin Richter-Kotowski, lange Zeit CDU-Kulturstadträtin und heute Bürgermeisterin in Steglitz-Zehlendorf, Sabine Bangert, kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, oder ihre SPD-Kollegin Ina Czyborra forderten unisono, dass der über 100 Jahre alte Kulturstandort „nicht aufgegeben werden darf“.

Für den leeren Gebäudekomplex an der Lansstraße müsse schnellstens ein Ersatz her, meint auch CDU-Mann Adrian Grasse: „Dahlem muss als Ort der Kultur und Wissenschaft bestehen bleiben.“ Die „Konzentration des Kulturangebots auf die Mitte“ sei schädlich und könne „nicht im Interesse einer wachsenden Metropole liegen“.

In der Tat ist es vorbei mit den großen Weltkulturen im Südwesten. Doch bedeutet das Ende der ethnologischen Sammlungen dort, dem der für 2019 geplante Umzug des Alliierten Museums nach Tempelhof folgen wird, wirklich den „Untergang Dahlems“?

Wohl kaum. Freilich ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) mitschuldig an dem Ärger. Mit einem klaren Nachnutzungskonzept hätte man die Degradierung des Standorts ausbalancieren können. „Einen abgestimmten Plan, wie es langfristig mit den Flächen weitergeht, haben wir noch nicht“, muss SPK-Präsident Hermann Parzinger zugeben. Vorläufig sollen die geräumten Säle zu Depots umfunktioniert werden. Parzinger schätzt, dass die Dahlemer Räumlichkeiten aus den 1970er Jahren für rund 20 Millionen Euro saniert werden müssen. Gewissheit hierzu sollte die eigentlich für Ende 2017 angekündigte Machbarkeitsstudie der Stiftung bringen. Aber die Studie lässt weiter auf sich warten. Hinzu kommt, dass mit dem am Ort verbliebenen Museum für europäische Kulturen (MEK) sich der Eindruck des „Abgehängtseins“ eher verstärkt als vermindert hat.

Tatsächlich ist in dem hysterischen Aus-für-die-Museen-Dahlem-Diskurs aber außen vor geblieben, dass der Kulturstandort Dahlem samt Steglitz-Zehlendorf unter keinem echten Legitimationsdruck steht. Er hat seine Zukunft selbst in der Hand. Die Impulse und Perspektiven sind gar nicht schlecht.

Der Standort Der Berliner Ortsteil Dahlem, der zum Bezirk Steglitz-Zehlendorf gehört, gilt mit der Freien Universität, der Max-Planck-Gesellschaft, dem Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik und anderen international bedeutenden Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen als Wissenschaftsstandort, ja als „deutsches Oxford“. Bislang galt Dahlem darüber hinaus auch als Museumsstandort, der den Museen in Mitte nicht nur vor dem Mauerfall Konkurrenz machen konnte. Doch mit dem Umzug des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst ins Humboldt Forum in Mitte und den Vorbereitungen des Umzugs des Alliierten-Museums in den Flughafen Tempelhof befürchten nicht nur Anwohner einen großen Bedeutungsverlust.

Die Museen Anfang 2017 verließen die Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst Dahlem. Nach der Fertigstellung des Humboldt Forums im Berliner Schloss werden sie Ende 2019 in direkter Nachbarschaft zur Museumsinsel präsentiert. Die Depots, Werkstätten und Bibliotheken der beiden Museen verbleiben in Dahlem – ebenso das Museum Europäischer Kulturen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) plant einen Forschungscampus, in dem WissenschaftlerInnen die Ausstellungen für das Humboldt Forum vorbereiten und den Kontakt zu den Herkunftsgesellschaften pflegen. Eine Machbarkeitsstudie wird klären, wie genau die frei werdenden Flächen genutzt werden können.

Das Zwischendurch Teile der Sammlungen des Museums für Asiatische Kunst und des Ethnologischen Museums sind auch vor Eröffnung des Humboldt Forums zu sehen, bei Ausstellungen und Veranstaltungen am Kulturforum und auf der Museumsinsel: Im Bode-Museum sind unter dem Titel „Unvergleichlich“ Kunstwerke Afrikas aus dem Ethnologischen Museum den europäischen Skulpturen dort gegenübergestellt. Das Museum für Asiatische Kunst hat die noch bis Sonntag zu sehende Schau „Gesichter Chinas“ im Kulturforum organisiert. Wer trotzdem lieber nach Dahlem reist, kann dies heute am Samstag tun: da gibt es im Museum Europäischer Kulturen zwischen 11 und 16 Uhr die Tauschbörse für Weihnachtgeschenke. (sm)

Katja Blomberg leitet seit zwölf Jahren das Haus am Waldsee – ein Ort, „der sich zum Neuen und Innovativen in Berlin bekennt“, wie sie sagt. 30.000 Besucher kommen jährlich zu den Ausstellungen und Veranstaltungen.

Man gibt sich selbstbewusst im Haus am Waldsee, was die Zukunft des Ortes und seine Rolle im Bezirk Steglitz-Zehlendorf angeht. Idylle war gestern. Die Fehlstelle Museen Dahlem? So what. Wir machen was anderes, lautet das Motto. Das Konzept des Hauses, „das seit 1946 zu den ersten Ausstellungsorten in Deutschland für zeitgenössische und internationale Kunst gehört“, so Blomberg, werde „auf hohem Niveau“ weiterentwickelt.

Derzeit logiert Blomberg mit „Schaufensterausstellungen“ – die aktuelle mit Arbeiten von Olav Christopher Jenssen ist heute am Samstag letztmals zu sehen – auf kleiner Fläche im Bikini Berlin gegenüber der Gedächtniskirche. Weil nämlich das Stammhaus in der Argentinischen Allee bis Mitte 2018 gerade renoviert und erweitert wird. „Wir rekonstruieren den im Zweiten Weltkrieg verloren gegangenen Gebäudeflügel“, sagt Blomberg, „und erhalten rund 300 Quadratmeter mehr für einen Veranstaltungsraum, eine Bibliothek und für neue Büroflächen.“ Zudem werde unter dem Dach ein Atelierraum für Workshops entstehen. Projekte mit Künstlern „an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst“ sollen ausgebaut werden, ebenso die mit weiteren Kulturinstitutionen.

Die gibt es: Parallel zum „weltkulturellen Zugpferd“, wie Bezirksbürgermeisterin Richter-Kotowski die nun eben ins Humboldt Forum ziehenden Dahlemer Sammlungen bezeichnet, hat sich zwischen der Schloßstraße und Wannsee eine Museums- und Ausstellungslandschaft ausgebreitet, die vielfältig und international ist und mit den Qualitäten des grünen Vororts und seiner Geschichte spielt.

Mit dem Kulturtag „Jenseits von Mitte“ vor vier Jahren, an dem 15 Einrichtungen aus dem Bezirk teilnahmen, begann man auch mit einem Austausch. Initiatorin war die damalige (heute im Ruhestand befindliche) Leiterin des Kulturamts Steglitz, Doris Fürstenberg. Es habe sie „geärgert“, dass hier so viele Museen von „überregionaler Bedeutung“ existierten, denen aber die entsprechende Aufmerksamkeit fehlte.

Um mehr in den Fokus des Interesses zu gelangen, treten die Institutionen und Galerien seit Sommer 2017 im Verbund auf. Mit der kleinen, etwas biederen Publikation „natürlich Kultur. Berlins Grüner Museumsbezirk“ wird die spezifische Kombination aus Kunst und Kultur, Internationalität und Natur herausgestellt. Dass im Südwesten der Stadt der Bär nicht wie in den Szenebezirken steppt, sei die eine Seite, so Fürstenberg. Die andere ist, dass es hier „so viele Einrichtungen und die unterschiedlichsten Institutionen gibt, die von alter bis moderner Kunst, von Natur- bis Kulturgeschichte alles zeigen“.

Im Netzwerk „Kultur im Grünen“ haben sich das Haus am Waldsee, das Kunsthaus Dahlem im einstigen Atelier des NS-Bildhauers Arno Breker und die Liebermann-Villa, das MEK, Schloss Glienicke, das Kulturhaus Schwartzsche Villa und das Alliierten-Museum, der Botanische Garten mit dem Botanischen Museum, das Museum Domäne Dahlem und das Museumsdorf Düppel zusammengeschlossen. Highlights von großer alter, moderner und zeitgenössischer Kunst über die Gartenkunst Lennés bis hin zum Rosinenbomber im Allierten-Museum.

Kurz vor Weihnachten lag die kleine Publikation auch auf dem Schreibtisch von Lisa Marei Schmidt. Sie hatte gerade ihren Job als neue Direktorin des Brücke-Museums am Dahlemer Bussardsteig mit seinen 5.000 Werken und Archivalien von Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmitt-Rottluff, Max Pechstein, Otto Mueller und Emil Nolde angetreten. Katja Blomberg vom Haus am Waldsee hatte das „Brücke“ und die neue Chefin besucht und ihr von dem Netzwerk erzählt. Es sei keine Frage, dass das Museum an Kooperationen mit anderen Häusern und an Synergien mit der Nachbarschaft interessiert sei. „Nur gemeinsam sind wir stark“, sagt Schmidt teamgeistmäßig.

Das war hier nicht immer die Richtung. Der Blick geht vom schicken, schlichten Direktorenzimmer direkt hinaus in den Grunewald. Die Architektur setzt sich fort in der Natur. Der Standort, der moderne Museumsbau von Werner Düttmann aus den 1960er Jahren, und die Sammlung des Expressionismus – „dieser einzigartige Schatz“, wie Schmidt sagt – sind Kult in der Berliner Museumslandschaft. Aber auch Last seit dem NS-Raubkunst-Skandal aus dem Jahr 2006: Damals wollte das Museum Kirchners weltberühmte „Berliner Straßenszene“ (1913) partout nicht an die Kirchner-Erben restituieren und musste vom Senat dazu gedrängt werden.

Über 50.000 Besucher kommen jährlich ins Brücke-Museum. Aktuell sind in einer „Jubiläumsausstellung“ Bilder und Zeichnungen der Brücke-Gruppe von 1905 bis 1913 zu sehen: wunderbare Werke aus den wilden Jahren der Künstler, die noch vom Impressionismus, Fauvismus und van Gogh inspiriert waren.

Letzte Aufräumarbeiten im Ethnologischen Museum Dahlem nach dem Abbau der Südseeboote dort Foto: David von Becker/ SMB

Mit der Schau wird einmal mehr deutlich, dass das Brücke-Museum ein kultureller Magnet im Südwesten ist. Und das soll so bleiben. Die Direktorin erhofft sich zudem, dass sich das Haus zum „Bildungs- und Forschungsort“ des Expressionismus sowie als „Künstlermuseum“, derzeit ein Trend in der Kuratorenwelt, der Brücke-Maler noch stärker entwickelt. Zudem könnten Fäden zur Freien Universität geknüpft werden.

Womit wir wieder an den Ausgang zurückgelangt sind. Es gibt nicht wenige Wissenschaftler und Kulturpolitiker, die den Neubeginn der Dahlemer Museumsbauten mit der FU als Nutzer in Verbindung bringen. Es existiert zudem ein – noch unveröffentlichtes – Papier der FU, in dem angeregt wird, dass die Abguss-Sammlung antiker Plastiken der FU von Charlottenburg nach Dahlem umzieht. Große Teile der insgesamt 45.000 Quadratmeter Fläche eigneten sich nach Ansicht von FU-Präsident Peter-André Alt ideal, um die mehr als 2.100 Abgüsse zu präsentieren und mit ihnen zu forschen.

Es ist eine Idee, die den Vorstellungen von SPK-Chef Parzinger am nächsten kommt. Noch ohne konkretes Konzept favorisiert die Stiftung das Modell des „Forschungscampus Dahlem“. Ein Verbund aus Kultureinrichtungen und Instituten, so Parzinger, böte die besten Voraussetzungen für einen „lebendigen Ort der Forschung und des Erkenntnistransfers“.

Hinter dem „Schaufenster der Wissenschaft“, so die Parzinger-Losung, steckt natürlich wieder die Sehnsucht, am großen Rad drehen zu können. Das beinhaltet sicher Chancen für Dahlem. Aber auch Risiken. Denn ob ein solch tradiertes Leuchtturm-Denken der kleinteiligen Museumslandschaft, die dabei ist, sich mit ihren Qualitäten zu emanzipieren, gut tut, ist offen. „Wir wollen hier keine museale Resterampe, aber auch ein alleiniger Forschungsstandort ist uns zu wenig“, hat Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) zur Lage im Südwesten gesagt. Was also? Sicher ist: Dahlem bleibt.