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Kommentar von Uwe Rada über die Kritik an der Spekulation mit WohnraumDanke für die klaren Worte, Herr Woelki!

Uwe Rada

ist Redakteur für Mieten­politik und Stadtent­wicklung.

Dass in den Kirchen zu Weihnachten an Obdachlose erinnert wird, ist nichts Überraschendes. Schließlich waren der Legende nach auch Maria und Josef ohne Obdach, da tut etwas Nächstenliebe von der Kanzel nicht nur not, sie ist kirchlich nachgerade zwingend.

Der ehemalige Berliner Erzbischof Rainer Woelki ist in seiner Predigt am ersten Weihnachtsfeiertag allerdings einen Schritt weitergegangen. Zwar beklagte der Katholik das Los von fast einer halben Million Obdachlosen in Deutschland. Aber er suchte auch nach Gründen und fand sie in der Spekulation mit Wohnraum. Seine Schlussfolgerung – Wohnen ist ein Menschenrecht – kennt man sonst eher aus dem Mund von linken Aktivistinnen und Aktivisten. Entsprechend positiv fiel auch das Echo aus. „Klare Worte, die in Berlin ankommen sollten“, schrieb der grüne Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, Florian Schmidt, auf Facebook.

Natürlich könnte man nun nach der Wirkung dieser Sätze fragen, die bald wieder verpufft sein dürfte. Oder auch danach, wie der Tweet von Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt ausgefallen wäre, wäre er nicht Heiligabend abgesetzt worden, sondern erst einen Tag später. „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen“, fragte Poschardt, „wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?“

Vielleicht ist es aber auch so, dass ein Kirchenmann wie Woelki spürt, dass in den nächsten Jahren in großen Städten der gesellschaftliche Zusammenhalt stärker erodieren könnte als bisher. So wie die Finanzkrise und die Bankenrettungen das Vertrauen in die Bundespolitik unterminierten, kann die „Globalisierung im Lokalen“ zu Verwerfungen in Städten führen. So gesehen ist Woelkis Hinweis auch ein Warnschuss an die Politik.

Noch sind es Linke und Grüne, die in den Großstädten die Stimmen der Verdrängten sammeln. Doch wenn wie in Berlin Rot-Rot-Grün regiert und sich dennoch kaum was ändert, könnte die Stimmung bald kippen. Es sei denn, die Bundesregierung macht sich den Satz vom Wohnen als Menschenrecht zu eigen.

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