: Das ungleiche Paar
Die ehemalige Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) hat eine Autobiografie geschrieben und sie ausgerechnet gemeinsam mit ihrer Amtsnachfolgerin präsentiert
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Von Klaus Wolschner
Claudia Bogedan (SPD) ist ein anderer Typ als ihre Parteikollegin Renate Jürgens-Pieper: Sie versucht, die Probleme wegzulächeln: „Ich habe wahnsinnige Unterstützung im Senat“, sagte Bremens amtierende Schulsenatorin am vergangenen Freitag bei der Vorstellung des autobiografischen Buches ihrer Amtsvorgängerin Jürgens-Pieper, die vor Jahren wegen fehlender finanzieller Unterstützung im Senat zurückgetreten war. Dabei sind die Proteste der Schulen gegen die schlechte Ausstattung genauso vehement wie zu Jürgens-Piepers Zeiten zwischen 2007 und November 2012.
Nachdem die Bremer SPD jahrzehntelang auf eine Struktur von „Stufenschulen“ gesetzt hatte, führte Jürgens-Pieper wieder das pädagogische Prinzip der Durchgängigkeit ein: Wer in Klasse fünf nicht aufs Gymnasium gehen wollte, sollte dennoch auf „seiner“ Schule Abitur machen können. „Oberschule“ war der traditionelle Name für die neue Schulform.
Daneben sollte es in Bremen weiterhin acht Gymnasien geben. Die Vereinbarung unter dem Kennwort „Schulfrieden“ beendete den jahrelangen politischen Streit um die Idee der Gesamtschulen und läuft im kommenden Jahr aus. In dieser Hinsicht sei sie „Nachlassverwalter“ von Jürgens-Pieper, bekannte Bogedan. Obwohl eine Evaluation des „Schulfriedens“ beauftragt ist, haben die Parteien längst entschieden: Es soll so weitergehen . Wie sich Unterricht und Lernkultur in den beiden Systemen unterscheiden, was also die Substanz der beiden „Säulen“ ist, wird nicht evaluiert.
Jürgens-Piepers Buch „Anmerkungen mit grüner Tinte“ erzählt nun breit ausladend ihre politische Arbeit zunächst in Niedersachsen – auf den „Anruf aus Bremen“ im Jahre 2007, der sie zur Senatorin machen sollte, kommt sie erst auf Seite 260. Aus den Bremer Senatskreisen kannte sie damals im Grunde niemand. Aber die SPD wollte offenbar niemanden aus der Bremer Partei zur Bildungssenatorin machen.
Jürgens-Pieper war einmal niedersächsische Kultusministerin, das reichte, um ihren Namen ins Spiel zu bringen. Als sie ihr erstes Gespräch in Bremen hatte, wurde ihr erklärt: Die Koalitionsvereinbarung ist fertig, Einfluss nehmen könne sie nicht mehr. Und da stand in einem Satz etwas über das Ziel „Schule für alle“, aber gleich danach wurden die vorhandenen Schulformen festgeschrieben. Es sollte einen „Schulentwicklungsplan“ geben für irgendetwas dazwischen. Diese Sammlung von Worthülsen füllte Jürgens-Pieper mit einem Konzept, das den „Flickenteppich“ der bremischen Schullandschaft in ein Zwei-Säulen-Modell verwandelte. Dass sie diese Reform erfolgreich umsetzen konnte, erfüllt sie zu nach wie vor mit Stolz.
Jürgens-Pieper hatte 2010 bereits erklärt, dass die Schulreform nur bei einer hinreichenden Personalausstattung gelingen könne. Dann aber drängten vor allem die Grünen auf Tempo bei der Einführung der Inklusion, ohne dass die grüne Finanzsenatorin dafür die erforderlichen Mittel bereitstellte. In ihrem Buch erwähnt Jürgens-Pieper deutlich, dass sie sich vom damaligen Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) mehr Unterstützung gewünscht hätte. „Ich denke, in der Bildungspolitik ist noch Luft nach oben“, verkündete Böhrnsen damals – in der Bildzeitung. Für sie indes bedeutete „Luft nach oben“ mehr Personalmittel – als sie die nicht bekam, trat sie zurück.
Das Bonmot „die Karawane zieht weiter“ könnte einem einfallen dafür, wie es weiter ging. Die Senatorinnen Eva Quante-Brandt und Claudia Bogedan haben einen besseren Draht zu ihrem Bürgermeister und sind als „Nachlassverwalter“ der Schulreform von Jürgens-Pieper sicher unauffälliger. Vielleicht haben sie auch stärkere Nerven, weil sie weniger wollen.
Als vor zwei Monaten eine bundesweite Untersuchung ergab, dass Bremen schon bei den Viertklässlern im Ländervergleich deutlich zurückliegt, erkannte Bogedan: „Unsere bisherigen Maßnahmen haben offensichtlich nicht gegriffen.“ Punkt, Ende der Politik.
Auch dass Bogedan inzwischen die Zuständigkeit für die Kitas übertragen bekam, hat offenbar „nicht gegriffen“. Die Forderung der CDU nach einem verpflichtenden dritten Kindergarten-Jahr für einen besseren Ausgleich der Sprachrückstände bei Kindern wird nicht umsetzbar sein: Es gibt nicht genügend Kita-Plätze und nicht genügend Personal.
Renate Jürgens-Pieper, „Anmerkungen mit grüner Tinte – Erinnerungen“, Edition Temmen, 387 Seiten, 19,90 Euro.
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