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„Konzertbusiness ist wie Poker spielen“

Kraftwerk, Björk, Rammstein und Robbie Williams, er hatte sie alle: Seit über 30 Jahren ist Scumeck Sabottka einer der erfolgreichsten Konzertveranstalter. Der Film „Der Konzertdealer“ erzählt vom Werdegang des Ex-Punks. Ein Gespräch über Vertrauen, Sicherheitsvorkehrungen – und Atomkraft

Interview Jens Uthoff Fotos André Wunstorf

taz: Herr Sabottka, ist Ihr Vorname – Scumeck – ein Überbleibsel aus Jugendtagen?

Scumeck Sabottka: Ja, genau. Als ich 15 oder 16 war, spielte ich mit Freunden in Dortmund in einer Punkband. Jeder bekam einen Namen, und ich hatte eben den Namen Scumeck. Der ist an mir hängen geblieben. Irgendwann nannten mich nur noch meine Eltern Stefan. Heute steht Scumeck auch in meinem Ausweis.

Wissen Sie noch, welches Ihr allererstes Konzert war?

Das war Alice Cooper in der Westfalenhalle 2 in Dortmund. Ich kann mich aber kaum daran erinnern. Ich hatte eine Platte von ihm, „School’s Out“. Ich wusste gar nicht so genau, wer Alice Cooper ist. Aber er strahlte etwas Gefährliches aus. Der hackte sich den Kopf während seiner Show ab, er hatte Schlangen auf der Bühne. Das war schon einzigartig.

Und die prägendsten Erlebnisse?

Bei den Konzerten von Throbbing Gristle im SO36 im Jahr 1980 und Suicide 1979 im SO36 gab es massive Schlägereien. Und dann erinnere ich mich noch an das Konzert der Einstürzenden Neubauten im Perkins Palace in Pasadena. Das war 1984. Als Andy (N. U. Unruh – Anm. d. Red.) gerade ein Feuer auf der Bühne machte, von dem wir nichts wussten, kam der Veranstalter Gary Tovar, ein damals berüchtigter Drogenbaron, zu mir und hielt mir eine Pistole an die Schläfe. „Wenn hier etwas schiefgeht, knall ich dich ab, du Arsch“, sagte er zu mir. Damit war die Sache für mich erledigt und die Zusammenarbeit mit der Band beendet. Interessant ist: Alle Konzerterinnerungen haben bei mir mit körperlicher Gewalt zu tun, aber das ist sicherlich der damaligen Zeit zuzuschreiben.

War die Gewalt und Energie auch das Interessante für Sie am Punkrock und Hardcore?

Ja. „Äääääääääh“ (macht Schreigeräusche). So was finde ich toll. Früher war uns auf Konzerten alles egal: Da haben Leute auf die Bühne gespuckt, da wurde gepogt, da hat man den Mikroständer herumgeschleudert. Wir wollten es kollektiv krachen lassen. Wenn ich es heute aus professioneller Sicht sehe, möchte ich natürlich nicht, dass den Leuten etwas passiert.

Sie haben ja heute schon qua Position ein anderes Verhältnis zu Konzerten. Bedauern Sie das manchmal?

Nein, das nicht. Aber Konzerte sind Arbeit für mich. Keine schlechte Arbeit, im Gegenteil, es ist tolle Arbeit. Neulich war ich bei Nick Cave, den veranstalte ich seit 28 Jahren. Als um halb neun das Licht ausging, lief es mir kalt den Rücken runter, ganz kurz nur. Das ist der Augenblick, für den wir ein oder zwei Jahre lang arbeiten und planen.

Ist das Verantwortungsgefühl nach den vielen Terroranschlägen größer geworden?

Die Terrorattacken berühren mich als Mensch eher denn als Veranstalter. Der Anschlag in Manchester war natürlich Gespräch in der Branche. Ich habe auch darüber nachgedacht, was man hätte besser machen können. Aber wir tun alles, was in unserer Macht steht. Wenn jemand in der Vorhalle bei einem Ariana-Grande-Konzert steht und tut, als wolle er sein Kind oder seine Schwester abholen: Das kannst du nicht sehen. Wo willst du da anfangen? Dann wäre es eigentlich nicht mehr möglich, Konzerte zu machen. Ich hoffe, es kommt nicht dazu, dass wir unsere Veranstaltungsstätten zu Hochsicherheitstrakten aufrüsten müssen. Das widerspricht in meinen Augen dem, warum die Menschen dorthin gehen.

Ist bei Ihren Veranstaltungen schon mal jemand gestorben?

Ja, in den frühen 1980ern ist bei einem Konzert in Saarbrücken jemand beim Pogen vom Balkon gesprungen. Der ist unten aufgeschlagen und war sofort tot. Beim Southside-Festival, wo ich Partner bin, ist vor fünf Jahren nach einem Sturm ein Sanitäter ums Leben gekommen.

Sie sind heute einer der größten deutschen Konzertveranstalter. Angefangen haben Sie eigentlich als Chauffeur, oder?

Ich war Tourfahrer. „Chauffeur“ klingt so, als wäre ich Autos gefahren, die bequem waren. Es waren aber keine Autos, die bequem waren. Es waren kleine VW-Busse. Da waren Leute und Material drin. Und es waren immer mehr Leute und Material drin, als reinpassten. Ich habe die Bands gefahren, weil ich zum damaligen Zeitpunkt nichts getrunken und nicht gekifft habe.

Wie kam das?

Nach einem Unfall wurde bei mir Hepatitis B festgestellt. Die Ärzte sagten zu mir: „Jeder weitere Tropfen Alkohol verkürzt Ihr Leben um einen Tag.“ Nachdem ich über ein halbes Jahr in Quarantäne gelegen habe, war das Thema durch. Ich habe nie wieder Alkohol angefasst.

Sie haben damals Bands wie Malaria! und die Einstürzenden Neubauten gefahren. Wie kamen Sie dazu, selbst Konzerte zu veranstalten?

Scumeck Sabottka

Der Typ: Scumeck Sabottka wurde als Stefan Sabottka 1962 in Oberhausen geboren und wuchs in Waltrop (bei Dortmund) auf. Als ihn nach der Schule der Musterungsbescheid ereilte, floh er vor der Bundeswehr nach Berlin. Dort wurde er Fahrer von Bands wie Malaria! und den Einstürzenden Neubauten. 1984 gründete er die Konzertagentur MCT (Music Consulting Team) und bucht seither Touren auf aller Welt. Er veranstaltete unter anderem Konzerte von Kraftwerk, Rammstein, Lou Reed, Robbie Williams, Katy Perry, Björk und vielen anderen. Privat sammelt Sabottka Oldtimer – und hasst Fußball.

Der Film: Der Berliner Regisseur Sobo Swobodnik hat Scumeck Sabottka filmisch porträtiert. „Der Konzertdealer“ ist in einer limitierten Sonder-Edition mit 24-seitigem Booklet in zwei Sprachen (Deutsch, Englisch) in einer aufwendigen Kartonbox beim Berliner Partisan Filmverleih zu bestellen. (jut)

Wir, Dietrich Eggert und Jochen Hülder, meine Partner, dachten uns: Wenn wir schon Kontakt zu denen haben, können wir das doch selbst machen, daran können wir doch auch verdienen. Im August 1984 sind wir angefangen. Wir dachten, wir könnten das viel besser als alle anderen. Es war aber so, dass die anderen besser rechnen konnten als wir. Nach drei Jahren waren wir pleite. Meine Partner sind daraufhin ausgestiegen. Ich wollte so schnell nicht aufgeben.

In den 1990ern war Ihre Firma dann noch mal pleite.

Ja. Es waren zwar auch Erfolgstouren dabei, aber das reicht halt manchmal nicht. Was wir im Konzertbusiness machen, ist wie Poker spielen. Ich muss überlegen: Wie viel gehen wohl auf dieses Konzert? Der eine sagt 10.000. Der andere 12.000. Der dritte schon 20.000. Man muss lernen, das einzuschätzen. Dafür braucht man Erfahrung. Und kann sich trotzdem noch irren.

Sie haben den Veranstalterberuf noch „richtig“ gelernt.

1994 habe ich 80 Prozent meiner Firma an Mama Concerts und Rau verkauft. Fritz Rau und Marcel Avram waren mit ihrer Agentur die absoluten Platzhirsche damals in Europa. Die Stones, Springsteen, Prince und Madonna: Die haben sie alle veranstaltet. Ich wollte von diesen Typen lernen. Die haben es natürlich ganz anders gesehen. Die wollten einen, der ein bisschen junges Blut reinbringt in ihre Mega-Agentur. Ich habe dann gesehen, was die da alles so gedreht haben. Michael Jackson in Indonesien, Prince in Japan, Rod Stewart in Weiß-nicht-wo. Und dazwischen hatten sie so ein Thema wie Tabaluga von Peter Maffay, mit dem ich überhaupt nichts anfangen konnte. Es war ein enormes finanzielles Risiko – und wurde ein Riesenerfolg. Bei Marcel und Fritz habe ich viel gelernt.

Im Film „Der Konzertdealer“ sagen Sie an einer Stelle, dass Sie nur Shows veranstalten, hinter denen Sie voll und ganz stehen. Das war gelogen, oder?

Nein. In der Regel versuche ich mit Künstlern zu arbeiten, deren Gedanken ich so nachvollziehen kann, dass ich sie auch präsentieren kann. Bei manchen ist das deckungsgleich; da verstehe ich total, was sie wollen. Und es gibt andere, deren Inhalte ich noch irgendwie mittragen kann. Aber man kann sich darüber streiten: Ist Katy Perry etwas, wo ich hinter stehe? Ich verstehe die Musik, ich verstehe den Ansatz. Wichtig ist auch, dass ich ihr Management und ihre Agenten sehr gut kenne. Ähnlich ist es bei Robbie Williams, bei dem mich zu Beginn die Vision des Managers überzeugt hatte.

Es läuft also viel über Freundschaften?

Es geht um Vertrauen. Obwohl ich Nick Cave schon so lange veranstalte, kenne ich ihn nicht. Vor Ewigkeiten habe ich ihm mal die Hand geschüttelt. Ich muss ihm aber auch nicht die Hand schütteln. Ich muss nur seine Konzerte machen, muss verstehen, was er will.

Haben Sie mit einigen Künstlern denn auch direkt zu tun?

Mit den kleineren ja. Bei den größeren ist es oft so, dass deren Erinnerung an das, was man für sie getan hat, als sie noch nicht so erfolgreich waren, relativ schnell nachlässt.

Aber Lou Reed kannten Sie ganz gut, dazu gibt es eine Anekdote im Film.

Mit Lou Reed hatte ich einen relativ guten Kontakt, weil wir beide Motorradfans waren. Wir haben mal gemeinsam mit ihm eine Motorradtour gemacht. Er schlich die ganze Zeit mit großem Abstand extrem langsam hinter uns her. Wir dachten: „Kann der nicht fahren?“ Bis sich herausstellte: Er hatte seine Brille nicht auf! Er war zu eitel, sie aufzusetzen.

Sie kommen aus einer relativ egalitären Szene. Jetzt sind Sie in einem hoch hierarchisierten Business gelandet.

So ist es. Einst bin ich nach Berlin gegangen, um der Bundeswehr zu entkommen – heute bin ich quasi bei der Bundeswehr gelandet.

Nur müssen Sie nicht durch den Schlamm robben.

Manchmal schon. Aber man bekommt den Dreck abends einfacher wieder ab. Gerade auf der Sicherheitsseite arbeiten im Geschäft viele Leute, die wirklich mal in militärischen Positionen waren. Das ist anstrengend. Man muss denen erklären, dass das Publikum sich auch dann nicht wie Soldaten verhält, wenn sie das wollen. Dass es sich frei bewegt. Gerade amerikanische Sicherheitsleute haben dazu oft eine ganz andere Meinung. Die fragen einen, warum sie im Graben zwischen Bühne und Publikum ihre Waffe nicht tragen dürfen.

Wenn das Publikum mehr über das Geschäft wüsste, könnte es dann die Illusion während eines Konzerts noch aufrechterhalten?

Gegenfrage: Hätte man die Filme von Harvey Weinstein geschaut, wenn man gewusst hätte, was das für ein Arschloch ist? Bei uns ist es heute glücklicherweise nicht mehr so, dass es jemanden in seiner Position, so einen Nonplusultra-Produzenten, gibt. Früher war das bei den Plattenfirmen vielleicht anders, das war vor meiner Zeit. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich kann mich nicht aus meiner Position herausdenken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das für den Kunden ist. Aber ich würde den Leuten nicht alles erzählen wollen. Wir verkaufen eine Illusion, das ist unser Geschäft. Und wenn das Licht ausgeht, man kurz das Kribbeln kriegt, Fotos macht und am Ende alle sagen, dass es ein schöner Abend war – dann hat sich doch alles gelohnt.

Ihre Branche hat sich ja in den vergangenen Jahren stark verändert. Musiker verdienen heute ihr Geld vor allem live. Macht das die Verhandlungen schwieriger?

Es geht einfach um mehr. Wir zocken nicht mehr um Cents, sondern um 100-Euro-Scheine. Das ist der Unterschied. Früher konnte man als Veranstalter noch mehr aus dem Bauch heraus entscheiden. Heute sollte man sich recht sicher sein, dass es klappt.

Gab es mal einen Zeitpunkt in Ihrem Leben, als Sie einen völlig normalen Beruf ergreifen wollten?

Ja. Ich wollte Fluglotse werden. Ohne Abitur ging das aber nicht. Es gab nur eine Möglichkeit: eine Lehre zu machen, zum Beispiel bei der Deutschen Post. Danach hätte ich das Fachabitur machen können. Also ging ich zur Post. Da haben sie uns Azubis aber kilometerlange Gräben ausheben lassen. Deshalb habe ich die Lehre drangegeben. Ich wollte dann zum Design wechseln, so begann ich eine Druckerlehre. Der Betrieb war zufälligerweise die Druckerei der Westfalenhalle in Dortmund. Sie druckten Tickets für Alice Cooper. Ich stand mit einem anderen Auszubildenden vor der Druckmaschine und sah die Tickets dort durchlaufen. Das war wie eine Erleuchtung, ab da wusste ich, was ich machen will.

Bei MCT arbeiten Sie, nicht ganz selbstlos, mit personalisierten Tickets, um horrende Schwarzmarktpreise zu verhindern. Das ist umstritten. Gibt es da keinen anderen Weg?

Nein. Derzeit ist es die einzige legale Möglichkeit in Deutschland, um die Kunden davor zu schützen, dass ihnen jemand etwas Falsches verkauft. Wir machen das zum Beispiel bei Lorde, bei Pearl Jam, bei Rammstein – bei allem, was „heiß“ ist. Wenn man nicht kommen kann oder will, kann man es umschreiben lassen. Wir verkaufen Produkte, die immer nur limitiert sind. Wenn ein Auto sich gut verkauft, gibt es in der Regel irgendwann mehr von den Autos. Eintrittskarten gibt’s immer nur so viele, bis die Halle voll ist. Nach Gesetzen des freien Marktes würde man sagen: Solange es ein frei verfügbares Gut ist, darf es nicht preislich gekappt werden. Wir sagen: Es ist ein Kulturgut, das es nur in einer bestimmten Anzahl gibt. Eigentlich würde ich mir wünschen, dass der Gesetzgeber privaten Tickethandel verbietet, wie es in einigen anderen europäischen Ländern ist. Dann wäre das Problem gelöst.

Im Film ist zu sehen, dass Sie Ihre Konzertagentur, wenn auch in kleinem Rahmen, für politische Anliegen nutzen. Sie setzen sich gegen Atomkraft ein.

Ja. Wir verschenken Merchandising an die Künstler und ihre Crews, Aufnäher mit dem Aufdruck „Remember Tschernobyl“. Und sie bekommen das Buch „Tschernobyl“ von Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch dazu. Das machen wir jetzt seit 18 Jahren. Als Gedankenanstoß. Vielleicht lesen manche ein Kapitel und legen es wieder weg, weil sie denken: Das ist ja widerlich, das kann ich nicht lesen. Die meisten legen es nicht weg.

Wie kam es zu diesem Engagement?

Es gab einmal die Einladung des Goethe-Instituts in Minsk. Sie wollten in Gomel, einer nahe Tschernobyl gelegenen Kreisstadt auf weißrussischer Seite, ein Festival veranstalten, um an die Katastrophe zu erinnern. Dort hatte ich Einblick in eine onkologische Station in einem Kinderkrankenhaus. Da hat es mich emotional kalt erwischt. Ich sah auf der Station all die Kinder, die todgeweiht vor sich hin vegetierten. Ich habe einen der Ärzte damals gefragt, wie hoch die Überlebensrate ist. „25 Prozent“, sagte er. „Aber lieber retten wir 25 Prozent der Kinder als keine Kinder.“

Wann waren Sie dort?

Es war 20 Jahre nach Tschernobyl. Ich hatte keine Ahnung davon, wie viele Leute dort noch immer Krebs haben. Da spürst du den Unterschied: Wir leben hier, gut tausend Kilometer entfernt, in Sicherheit. In Gomel aber blickst du denen in die Augen, die damit klarkommen müssen. Nachdem ich das gesehen habe, dachte ich: Wir können uns Gedanken machen um Grenzen und Währungen und um alles Mögliche, aber solange wir das nicht in den Griff bekommen, geht das nicht gut aus.

Fand das Festival statt?

Nein. Ich konnte das Konzert nicht stemmen. Ich habe viele große Bands angefragt – U2, R.E.M., Bruce Spring­steen und Robbie Williams. Keiner wollte in einem verseuchten Landstrich spielen. Aber Jahre später managte ich die französische Pianistin Hélène Grimaud. Ich erzählte ihr davon und sie sagte: „Dort will ich spielen.“ Kurze Zeit später hat sie in der Stadthalle in Gomel umsonst ein Konzert gegeben. Am Tag darauf hat sie für einige weißrussische Klavierschüler noch eine Masterclass geleitet.

Wird die Kunst aktuell in den unruhigen politischen Zeiten wieder verstärkt zur politischen Bühne?

Das empfinde ich nicht so. Wir haben oft Künstler veranstaltet, die ihre Meinung hatten. Die haben sie jetzt nicht mehr und nicht weniger. Sie äußern sie vielleicht jetzt eher, weil man sich über die sozialen Medien schneller und besser mitteilen kann.

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