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Der Frust sitzt tief in der SPD

Ihren Vorsitzenden schonen die Parteitagsdelegierten. Die Stimmung in Sachen Groko bleibt trotzdem mies

Martin Schulz: Kritik an seinem Zickzackkurs kommt nicht Foto: Hannibal Hanschke/reuters

Aus Berlin Ulrich Schulte und Stefan Reinecke

Martin Schulz umarmt als Erstes Andrea Nahles, er herzt Elke Ferner, schüttelt Hände und reckt den Daumen kurz in die Höhe. Dann eilt er beschwingt über die blau ausgeleuchtete Bühne Richtung Rednerpult. Locker, befreit soll das wirken. „Ich danke euch für das Vertrauen“, ruft Schulz den Genossen zu. Was wiedergewählte Parteivorsitzende eben so sagen. Alles wirkt am Donnerstagabend selbstverständlich, ganz normal.

So ist es nicht. Knapp 82 Prozent der SPD-Parteitagsdelegierten haben Martin Schulz wiedergewählt. Kein gutes Ergebnis, aber auch nicht das Desaster, das ihm hätte blühen können. Denn er hatte die SPD in einem schwindelerregenden Zickzackkurs erst auf Anti-Groko-Kurs gebracht und dort noch fixiert, als absehbar war, dass diese Linie unhaltbar wird – aber dann in Windeseile Gespräche mit Merkel und Seehofer durchgesetzt. All das nach einer schlimmen Wahlniederlage.

Doch das Strafgericht fällt aus. Auch weil Schulz sich geschickt als einer präsentiert, der fast genauso ratlos ist wie die Delegierten. Damit hält er sich vieles offen.

Rückblende: Mittags verteidigt Martin Schulz gut eine Stunde lang den neuen Kurs. Man will mit der Union reden, auch über eine Groko, aber „ergebnisoffen“. Schulz streichelt in der ästhetisch kühlen City-Cube-Halle in Berlin immer wieder die wundgeriebene Seele der Sozialdemokratie. Jünger, weiblicher und vielfältiger müsse die Partei werden, verspricht er erneut. Er beschwört die Rettung von Natur und Klima und gibt sich als Feminist und Anhänger der #metoo-Kampagne.

Die EU soll bis 2025 zu einer Föderation werden, eng verwoben, und wer da nicht mitmache, solle austreten. Das ist, schon wieder, eine ziemlich unglückliche Formulierung – Munition für Antieuropäer jenseits der Oder. Auch CSU-Mann Alexander Dobrindt poltert aus München prompt gegen den „Europaradikalen“ Schulz – ein kleiner Vorgeschmack auf den Stil der Regierungsverhandlungen. Schulz versucht den Schaden am Freitag mit einigen differenzierten Anmerkungen zu Europa wieder zu reparieren.

Die SPD, fordert Schulz, müsse sich auf die alte Tugend besinnen, leidenschaftlich zu streiten. Weg von gespielter Geschlossenheit, weg vom Spin, weg von Taktiererei. Manchmal klingt Schulz fast wie ein deutscher Bernie Sanders. Doch obwohl seine Rede so ziemlich alle Themen umfasst, ist das Echo bescheiden, der Applaus nett, nicht euphorisch.

Die Vokabel „ergebnisoffen“ hat in der Debatte etwas von einem Fetisch. Auch wer unbedingt eine Koalition will, muss hier erst mal „ergebnisoffen“ sagen. Fünf Stunden reden die GenossInnen über das, was ihnen auf der Seele liegt. Es ist scheinbar eine offene Schlacht. Die Jusos, angeführt von ihrem neuen, eloquenten Chef Kevin Kühnert, wollen die SPD auf ein Nein zur Groko festlegen.

Ein Charismatiker wie Lafontaine könnte die wabernde Enttäuschung kanalisieren

Das Gros der Redner ist ebenfalls unglücklich über die Aussicht, dass die SPD schon bald wieder über ein Bündnis mit Merkel verhandeln wird. Aber die Tonlage bleibt am Donnerstag und Freitag gedämpft, der Frust hat etwas Zerstreutes. Bemerkenswert ist, dass niemand Kritik an Schulz’ Politzickzackkurs äußert. Gäbe es einen charismatischen Machtpolitiker, einen wie Oskar Lafontaine oder Sigmar Gabriel, könnte der die wabernde Enttäuschung kanalisieren und bündeln.

Den Juso-Antrag, eine Groko auszuschließen, lehnen ungefähr vier Fünftel der Delegieren ab. Die Revolte ist abgesagt. Die SPD sendet ein zaghaftes Ja zur Groko. Jusochef Kevin Kühnert zeigt sich vor der Halle dennoch zufrieden. Man habe mit dem zusätzlichen Parteitag vor den Koalitionsverhandlungen „die formale Hürde für eine Groko höher gelegt“. Außerdem habe der Tag gezeigt, wie mies die Stimmung der Delegierten in Sachen Groko ist.

Den Ärger der Delegierten über Wahlniederlage und Chaos bekommen die Vizevorsitzenden Ralf Stegner und Olaf Scholz ab. Beide erhalten nur um die 60 Prozent Ja-Stimmen. Scholz, weil er Schulz’ Wahlkampagne kritisierte hatte, Stegner, weil er Stegner ist.

Männer haben es überhaupt schwer bei den Wahlen. Lars Klingbeil, der junge, neue Generalsekretär, plädiert für eine offenere, digitalere, weniger breitbeinige Partei. Also ein bisschen moderner. Doch auch er bekommt nur 70 Prozent – fast ein Misstrauensvotum. Es ist wohl über Bande ein Schlag gegen Schulz, den der Parteitag ansonsten so sorgsam schont. Irgendwo muss die Wut hin.

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