schlagloch von nora bossong: Willkommen in Jerusalem
Zieht die US-Botschaft hierher? Und sehen meine Augen deutsch aus?
Nora Bossong
Jahrgang 1982, ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Zu ihren wichtigsten Romanen zählen „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ (2012) und „36,9°“ (2015). Am 20. Februar erschien bei Hanser ihr Reportageband „Rotlicht“.
Mein Name, Nora Bossong, mein Herkunftsland, U.S.A., stehen da, sonst ist nichts eingetragen. Dass ich das nicht sei, sage ich dem Rezeptionisten. Amerikanerin.
Er blickt nur kurz auf, sortiert etwas auf seinem Schreibtisch. Seit zwei Stunden hat er Geduld mit mir. Erst bin ich schnurstracks mit meinem Koffer in eine geschlossene Gesellschaft hinein gelaufen, dann habe ich einen Kaffee bestellt. Ob es nicht auch etwas Kaltes sein könnte, bis der Sabbat zu Ende sei? Ach ja, das Kochverbot. Seit halb vier sitze ich in der Lobby, zwischen spielenden Kindern und tanzenden Erwachsenen, ein kleines Mädchen ist auf dem Gepäckwagen einmal durch den Raum gefahren.
Ob ich denn gerne die amerikanische Staatsbürgerschaft hätte, fragt der Rezeptionist.
„Lieber noch ein bisschen warten“, antworte ich irritiert und will hinzufügen: Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl – sage dann doch nichts mehr.
„Seltsame Antwort“, meint er. Ich lächele ihn an, versuche, seiner Miene abzulesen, ob er mich einfach nur amüsant findet oder tatsächlich ein bisschen merkwürdig.
Ich will ja nur in mein Zimmer einchecken, keine politische Diskussion anzetteln, nach meiner Ignoranz gegen die Gebote des Sabbat nicht auch noch in sämtliche politische Fettnäpfchen treten. Nicht, dass die Sympathie zwischen Benjamin Netanjahu und Donald Trump hier von allen gern gesehen würde oder alle Israelis mit ihrem konservativen Ministerpräsidenten und dem wenig versöhnlichen Likud-Kurs einverstanden wären. Man sollte einfach keine Steuern mehr zahlen, um diese Politik nicht weiter mitzutragen, wird mir morgen eine Bekannte sagen.
Aber was weiß ich, auf welcher Seite der Rezeptionist steht. Bei den Demonstranten, die an diesem Samstagabend in Tel Aviv auf die Straße gehen, um gegen Korruption und die Verschleppung zweier Prozesse gegen Benjamin Netanjahu zu protestieren? Oder ist er ein Anhänger Netanjahus? Hält er vielleicht sogar etwas von Trump? Oder ist ihm das alles gar nicht so wichtig, ist das hier nur ein kleiner Plausch, weil das Zimmer eben noch nicht fertig ist?
Glücklich jene Gesellschaften, die sich die Freiheit erlauben können, unpolitisch zu sein – auch das höre ich morgen von der Bekannten.
Am Mittwoch will der US-Präsident jedenfalls eine Erklärung abgeben zu jenem 1995 angekündigten und bisher auf Eis gelegten Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Das käme einer Anerkennung Jerusalems als israelischer Hauptstadt gleich und es wäre die erneute Zuspitzung im Konflikt mit den Palästinensern, das Gegenteil einer Politik, die einen Friedensprozess voranbringen will.
Aber was interessiert das Trump? Er hat den Botschaftsumzug im Wahlkampf versprochen. Israel ist von Washington und New York aus weit weg, eine neue Intifada, wie die Hamas bereits angedroht hat, würde sich nicht zwischen den Hochhäusern Manhattans abspielen. Wähler aber, denen eine Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt gefiele, gibt es auch in den USA.
Frage ich meine israelischen Bekannten, was sie von Trumps Plänen halten, höre ich zweierlei. Erstens: Es wäre eine Katastrophe. Zweitens: Es wird nicht passieren. Diese beiden Antworten habe ich schon im letzten Sommer oft gehört, in New York, wenn es um die mögliche Präsidentschaft Trumps ging. Mit Trump, das habe ich mittlerweile gelernt, kann alles passieren.
Ich trage meine Adresse ein, aber die Nationalität ändere ich nicht, es kommt mir zu seltsam vor, die Buchstaben USA durchzustreichen und mit dem Wort Germany zu überschreiben an diesem Sabbat in Jerusalem – nicht nur seltsam, sondern zynisch, auch wenn mir bewusst ist, dass es wohl eher Feigheit ist als aufgeklärte Scham.
Noch mulmiger wird es mir morgen werden, wenn ich in der Grabeskirche von einem Wärter angesprochen werde. Gerade war ich noch kontemplativ in Gedanken an Auferstehung und Erlösung versunken, da hält er plötzlich meine Hand. Ich bin etwas überrumpelt, ziehe meine Hand aber nicht weg. Geste der Völkerverständigung, die kann ich doch nicht abblocken. In meinen Augen würde sich die ganze Schönheit Deutschlands spiegeln, sagt er, als er erfährt, dass ich aus Deutschland bin. Es ist vermutlich nett gemeint, als Kompliment, – und doch könnte ich mir hier kaum einen unangenehmeren Satz vorstellen. Meine Augen sind braungrün, so deutsch ist das doch gar nicht, nicht so wie der Blick, an den ich denken muss, „der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau/ er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau“.
Ob ich Kinder hätte, will der Wärter wissen. Keine?, ist er überrascht. Er hat mittlerweile seine Hand auf meine Schulter gelegt. Wir sind beide Christen, das ist ihm wohl Grund genug, sich um meine Zukunft zu kümmern. Von Bruder zu Schwester, sagt er, ich solle doch zwei Kinder bekommen. Wir kennen uns seit fünf Minuten, was geht ihn meine Familienplanung an? Ist das tatsächlich ein christlicher Rat oder will er sich vielleicht selbst als möglichen Vater ins Spiel bringen? Ist es gar eine Antwort auf die Siedlungspolitik? Soll ich als Christin gegen Juden und Muslime angebären? Mir wird das alles zu heikel, zumal er noch immer meine Hand hält, ich lehne den angebotenen Kaffee ab und eile an Kreuznägeln und Räucherstäbchen vorbei aus der Grabeskirche hinaus.
Von der Begegnung ahne ich noch nichts, als ich dem Rezeptionisten das Anmeldeformular zurückgebe. Ich blicke hinaus in die Dunkelheit. In der vergangenen Nacht wurde eine Kaserne bei Damaskus von israelischen Streitkräften angegriffen. Sieht man das dem Himmel an? Nein. Was man sehen könnte, würde man ein wenig an den Stadtrand fahren, sind die Sperranlagen.
„Ich würde nicht gerne US-Bürger sein“, sagt der Rezeptionist entschieden. Seine Familie, erzählt er, wolle bald nach Belgien umziehen, weil sie sich in Europa ein besseres Leben erhofften. „Und Sie?“, frage ich. „Ich nicht. Mir gefällt es hier. Willkommen“, sagt er und reicht mir die Zimmerkarte.
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