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Die die Unterschiede nicht sehen will

„Gesinnungsdiktatur“: eine Stippvisite bei der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen

Von Michael Bartsch

Mit Genugtuung zeigt Susanne Dagen auf einen Rosenstrauß. Solche Sympathiebekundungen sind für die Buchhändlerin wichtiger geworden im idyllischen Buchhaus Loschwitz in Dresden. Ihre eher beiläufige Erwähnung als Pegida-Versteherin im Spiegel brachte Besucher dazu, der mit Preisen ausgezeichneten Buchhandlung fernzubleiben.

Wenn die engagierte und belesene Buchhändlerin nun im Internet gegen eine „Gesinnungsdiktatur“ protestiert (taz vom 19. 10.), stecken also auch eigene wirtschaftliche Schwierigkeiten dahinter. „Wenn ich meine Meinung sage, muss ich Angst haben, dass ich damit finanzielle Einbußen riskiere, weil die Meinung gerade nicht in den gegenwärtigen Sprachduktus hineinpasst“, klagt sie im Gespräch. Es klingt so, als würde ein Großer Bruder, eine Reichskulturkammer oder die Mainstream-Verschwörung bisherige Kunden mit Waffengewalt am Betreten der Buchhandlung hindern.

Die Proteste gegen ultrarechte Verlage wie Antaios auf der Frankfurter Buchmesse haben bei der AfD-Wählerin das Fass überlaufen lassen. Ihre Petition „Charta 2017“ beschuldigt den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, die Verwüstung der Stände stimuliert zu haben.

Keine Freiheit ohne Verantwortung. Auf welcher ethischen Basis arbeitet das Buchhaus Loschwitz? Wo im Dresdner Literaturhaus zu dieser Frage zuerst Begriffe wie Menschenwürde und Menschenrechte fallen, hört man von Susanne Dagen immer wieder nur Meinungsfreiheit, Toleranz, Fairness. Ihr Mann Michael Bormann erwähnt die Verurteilung von Akif Pirinçci wegen einer Pegida-Hetzrede. Nicht ohne den Rückzug dessen Verlags und die Sperrung eines Kontos als „Hinrichtung“ zu bezeichnen.

In der Selbststilisierung als Opfer knüpft Susanne Dagen nicht nur an die „Charta 77“ von 1977 an. Die Absetzung des Sieferle-Nachlasses „Finis Germania“ von der Spiegel-Bestenliste setzt sie mit Stalins Säuberungen von 1937 gleich: „Das ist Stalinismus, das ist DDR, das ist Meinungsdiktatur!“ Pikanterweise haben zwei Erstunterzeichner der Charta 77 in der Ferienwohnung des Kulturhauses Loschwitz Quartier bezogen, bei den Deutsch-Tschechischen Kulturtagen traten sie in Dresden auf. Über die Ausschreitungen in Frankfurt sagt Jan Sokol der taz: „Obwohl auch diese Gewaltausbrüche strikt abgelehnt werden müssen, man darf den Unterschied zwischen Übergriffen heißer Köpfe und denen einer kaltblütigen und zugleich fast allmächtigen Staatspolizei nicht übersehen.“

Am kommenden Dienstag werden im Dresdner Literaturhaus Literaten und Kulturleute über eine Erwiderung auf die „Charta 2017“ oder ein öffentliches Podium zunächst intern beraten. Einer öffentlichen Diskussion würde sich Susanne Dagen nicht verweigern. Mitte November trifft sie Börsenvereins-Geschäftsführer Alexander Skipis.

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