Fünf Minuten Ruhm – lebenslänglich

Gert Hinnerk Behlmer hat in seinem Leben viel erreicht. Eine Person der Zeitgeschichte war er aber nur für eine kurze Zeitspanne: Sie dauerte wenige Minuten und liegt fünfzig Jahre zurück

Foto: Museum der Arbeit, Hamburg

Von Marco Carini

Nein, er wolle „keine Homestory“ und keinen Personenkult. 50 Jahre danach blockt der heute 74-jährige Gert Hinnerk Behlmer alle Presseanfragen ab und gibt dann doch einiges preis. Erzählt darüber, wie es ist, wenn ein Leben, das nun fast ein Dreivierteljahrhundert dauert, in der öffentlichen Wahrnehmung auf fünf Minuten schrumpft. Auf diese eine Aktion am 9. November 1967, als er, Behlmer, und sein Kommilitone Detlev Albers bei einer Rektoratsübergabe im Hamburger Audimax dem versammelten Auditorium das Transparent mit dem Slogan „Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren“ präsentierten.

Dieser Slogan wurde, griffig wie er war, zur tausendfach zitierten Parole der 68er-Revolte. Und die Aktion selbst zum Symbol für den studentischen Protest. „Zu Unrecht“, sagt Behlmer, seien er und Albers zu den Repräsentanten der Hamburger Studentenbewegung geworden, nur weil diese Aktion fotografisch dokumentiert ist und die Parole mit den tausend Jahren aus seiner Feder stamme. Die politische Kärrnerarbeit, die in dieser Zeit der Hamburger SDS und der Asta der Uni, dem Behlmer und Albers angehörten, geleistet habe, dagegen sei längst vergessen – Inhalt historischer Abhandlungen, auf denen längst Staub liegt.

„Nein“, sagt Behlmer, er wolle seinen beiden Kindern und inzwischen fünf Enkelkindern es nicht antun, dass im Internet immer mehr Beiträge kursierten, die den Vater und Opa immer und immer wieder auf diese eine spektakuläre Aktion reduzieren. Nach 1967 hat Behlmer eine beachtenswerte Karriere gemacht, war schließlich von 1994 bis 2004 Staatsrat der Hamburger Senatskanzlei und der Kulturbehörde. Er engagiert sich für das Museum der Arbeit und ist Stiftungsrat der Stiftung Historische Museen Hamburg. All das ist Behlmer als Lebensleistung wichtig. All das steht auch in seinem Wikipedia-Eintrag – als Beiwerk zu der Talar-Aktion. Und es vergehe keine öffentliche Veranstaltung, an der ihn nicht irgendein Fremder seines Alters am Ellenbogen packe, ihn halb versonnen, halb verschwörerisch anlächle und ihm zuraune: „Ich war damals auch dabei.“ Damals im Audimax, an diesem 9. November.

Vielleicht hätte Behlmer die Homestory sogar gemacht. Aber nur zusammen mit dem anderen Bannerträger, Detlev Albers. Doch Albers, der zeitweilig zum Chef der Bremer SPD aufstieg, ist schon lange tot. Am 31. Mai 2008 starb er, 64-jährig, an den Folgen eines Schlaganfalls. Behlmer hielt damals eine der Trauerreden in der Bremer Liebfrauenkirche. Und gießt noch heute, so erzählt er, die Blumen auf dem Grab des Freundes.

Einmal hätten er und Albers das Transparent sogar aus dem Fundus geholt und noch einmal aufgespannt, 1997 war das. Auf Bitten des damaligen Hamburger Uni-Präsidenten Jürgen Lütje für eine Spendenaktion zugunsten der finanziell klammen Hochschule. So ändern sich die Zeiten: Was 1967 für die Uniprofessoren und das Rektorat der Hochschule noch eine unerträgliche Majestätsbeleidigung war, transformiert Jahrzehnte später zum Marketing-Gag für den vormals so harsch kritisierten Apparat.

„Keine Distanzierung“ zu der Aktion von damals kommt heute über Behlmers Lippen. Er ist immer ein Linker geblieben, ein Linker in der SPD, in die er zwei Wochen vor dem Fototermin im Audimax eintrat. Genau wie Albers, der, so formulierte es Behlmer in der Trauerrede für den verstorbenen Freund, „der SPD mehr gegeben hat als die SPD ihm“. In endloser Gremienarbeit hätten er in Hamburg und Albers in Bremen dazu beigetragen, dass die studentischen Mitbestimmungsforderungen Eingang ins Hamburger Hochschulgesetz und die Statuten der Anfang der 70er-Jahre gegründeten Bremer Uni fanden. Hierin sieht Behlmer den historischen Verdienst von Albers und sich, einen Verdienst, den er aber gern mit vielen anderen teilt, die mit ihm den Marsch durch die Institutionen antraten.

Nur einmal will Behlmer in diesen Jubiläumstagen raus aus dem Privaten, rein in die Öffentlichkeit. Am kommenden Donnerstag, dem exakten Jubiläum, diskutiert er ab 18 Uhr – ja, natürlich im Hamburger Audimax – mit der damaligen Asta-Vorsitzenden Helga Kutz-Bauer und ihrer aktuellen Nachfolgerin Franziska Hildebrandt über die Hamburger Studentenproteste von 1967, die Talar-Aktion und was davon blieb. Behlmers Leben hat sie geprägt. Viel mehr als jede anderen fünf Minuten in seiner Vita.