Bremens koloniales Erbe: Blinder Fleck der Wirtschaft

Bei einer Diskussion in der Kunsthalle wollen die Teilnehmer lieber nicht über die koloniale Verantwortung der hiesigen Wirtschaft sprechen.

Holzfigur mit Zylinder und Frack

Von einem unbekannten Kameruner Künstler geschnitzt: Bremer Kaufmann. Foto: Matthias Haase

BREMEN taz | Ein Kilo Kaffee kostet in Deutschland rund 10 Euro. Davon bekommt der Landwirt in Westafrika im Schnitt 50 Cent: dass Europa afrikanische Ressourcen nutzt, dafür jedoch kaum Gewinne für die Menschen vor Ort bleiben, ist allgemein bekannt.

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung afrikanischer Staaten und Bremens Beitrag dazu sollte sich auch die Podiumsdiskussion „Der Marshallplan mit Afrika“ in der Kunsthalle auseinandersetzen. Organisiert hatte sie das Informationszentrum für Menschenrechte und Entwicklung im Rahmen der Ausstellung „Der blinde Fleck“.

Dieser „Marshallplan“ ist ein knapp 40 seitiges Dokument, erstellt vom Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU), auch der Titel stammt wohl von ihm: ein historisch fragwürdiger Vergleich. Denn der ursprüngliche Marshallplan diente dem Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg, Namensgeber war der US-Außenminister George Marshall.

Nun haben afrikanische Länder aber weder einen Krieg verloren noch werden sie auch nur ansatzweise so stark unterstützt wie Nachkriegsdeutschland: Während die USA 1948 für das Programm 12,4 Milliarden Dollar bereitstellten, sind für den ganzen afrikanischen Kontinent gerade einmal 300 Millionen Euro vorgesehen.

Inhaltlich setzt der Plan auf Investitionen europäischer Unternehmen, und zwar in Landwirtschaft, Industrie und Energieerzeugung. „Wir brauchen einen neuen Zukunftsvertrag mit Afrika“, heißt es darin. Vieles, was in dem Programm aufgelistet wird, gehört seit Langem zum Repertoire deutscher Entwicklungszusammenarbeit wie etwa höhere Umwelt- und Sozialstandards, mehr Unterstützung für Kleinbauern sowie bessere Ausbildungschancen. Mit den sogenannten Reformpartnerschaften sollen nun die afrikanischen Länder besonders unterstützt werden, die einen Willen zur Rechtsstaatlichkeit und Bekämpfung von Korruption zeigen.

In der Agenda 2063 hatten sich die Mitglieder der Afrikanischen Union zu genau solchen Reformen bekannt. „Wir nehmen Afrika beim Wort“, heißt es mit Bezug hierauf im Programm. Aber offenbar nur in dieser Frage: „Die afrikanischen Länder wurden bei der Ausarbeitung des Plans nicht befragt“, sagt Virginie Kamche auf dem Kunsthallenpodium. Ursprünglich sollte das Programm sogar „Marshallplan für Afrika“ heißen. Nur sehr kurzfristig wurde es in das weniger paternalistische „mit Afrika“ geändert.

Kamche, die in dem ausschließlich männlich besetzten Podium wenig zu Wort kommt, kritisiert die geringe Differenzierung der Entwicklungsmaßnahmen: „Für den Niger, ein Land in dem Analphabetismus weit verbreitet ist, brauche ich andere Konzepte von Entwicklung als in einem weiter entwickelten Land wie Südafrika“, so die Diplom-Informatikerin, die beim Bremer entwicklungspolitischen Netzwerk als Promotorin für Migration, Diaspora und Entwicklung arbeitet. Die oft schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen seien im „kolonialen Erbe“ der Staaten begründet „mit dem wir uns bis heute auseinandersetzen müssen“, so Kamche.

Das fällt den anderen Diskutanten offenbar schwer, sowohl dem Volkswirt Robert Koppler als auch Handelskammer-Geschäftsführer Volkmar Herr. Sie tauschen sich lieber über die Chancen privater Investitionen aus. So sieht Herr die Lösung für die Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft vor allem in der Investition deutscher Unternehmen. Diese seien im Handel mit ihren afrikanischen Partner*innen indes noch sehr zurückhaltend.

Auch in Bremen: „Das Land handelt mit allen afrikanischen Staaten zusammen so viel wie mit Österreich“, sagt Herr. Trotzdem sieht er ein „steigendes Interesse an Afrika“. Auch Robert Kappler erkennt Potenzial in der privaten Wirtschaft schränkt jedoch ein, dass es nur „wenige lohnende Märkte“ gebe und „die Zölle innerhalb Afrikas sehr hoch“ seien.

Die Veranstaltung war als Rahmenprogramm der Ausstellung „Der blinde Fleck“ gedacht. In der setzt sich Kuratorin Julia Binter mit bürgerlichem Mäzenatentum und Raubkunstproblemen der Kolonialzeit auseinander: Kolonialismus hat Bremen reich gemacht, und viele Werke der Kunsthalle wurden während der Kolonialzeit erworben. Die Sammlung der Kunsthalle hat somit Anteil an kolonialer Ausbeutung.

Bei der Auseinandersetzung damit scheint das Museum den Vertretern der Wirtschaft weit voraus. Zu einer kritischen Auseinandersetzung über Kolonialismus oder gar der Schuld an bestehenden wirtschaftlichen Verhältnissen kommt es während der Podiumsdiskussion nicht. Die Nachfrage aus dem zahlreichen Publikum, ob das Müller-Programm statt afrikanischen Staaten europäischen Unternehmen Vorteile verschafft, bleibt unbeantwortet.

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