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Literarische Hilfestellung

Joey Juschka schreibt am ersten Roman. Und die Autorin lässt sich dabei gerne helfen – mit einem Arbeitsstipendium Literatur vom Berliner Senat

Von Jens Uthoff

Der Roman, der gerade erst Roman wird, liegt in Form von 39 kleinen weißen Zettelchen auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Auf jedem Stück Papier steht eine kurze Notiz, eine kleine Skizze. Alle zusammen ergeben ein Storyboard. Ein Zettel = ein Kapitel. Daneben steht ein Laptop. Und an der Wand hängen große Medizinschachteln, die mit den Namen verschiedener Wortarten beschriftet sind: „Prepositions“, „Articles“ und „Verbs“ in der gewünschten Dosierung.

In dieser Wohnung, in Pankow gelegen, lebt und arbeitet die Berliner Schriftstellerin* Joey Juschka. Die Autorin, aufgewachsen in Halle an der Saale, schreibt seit 15 Jahren Kurzgeschichten und Prosa, sie veröffentlicht in der taz regelmäßig in der Rubrik „Berliner Szenen“. 2012 gewann sie beim Literaturwettbewerb Open Mike für die Erzählung „SCHAF e. V.“ den Publikumspreis – es ist eine dieser für Juschka typischen, temporeichen Erzählungen, die im Straßenslang gehalten sind. „Seither werde ich oft gefragt, wann denn endlich ein Roman kommt“, erzählt sie, „denn das Literaturverständnis ist wohl immer noch so, dass man erst ein ‚richtiger‘ Schriftsteller ist, wenn man einen Roman veröffentlicht hat.“

Dieser Roman soll also bald kommen. Möglich gemacht hat das in erster Linie das Arbeitsstipendium Literatur, das Jusch­ka von Mai 2017 bis Januar 2018 erhält. Für die Autorin bedeutet es: 2.000 Euro monatlich, steuerfrei, um arbeiten zu können, ohne sich finanziell sorgen zu müssen. „Für mich ist das eine riesige Erleichterung“, sagt Juschka, „vorher hatte ich oft 12-Stunden-Tage, weil ich neben dem Schreiben noch arbeiten musste.“ Die Auftraggeber von damals – sie arbeitete unter anderem für eine Webagentur, war für Vergleichsportale zuständig – sagen ihr heute, sie könne ja nach Ablauf des Stipendiums wieder für sie arbeiten. „Für mich ist aber klar, dass ich mich voll aufs Schreiben konzentrieren will“, sagt die 40-Jährige.

Das Arbeitsstipendium Literatur wird vom Berliner Senat vergeben, in vergleichbarer Form existiert es seit 1980. Bewerben können sich Autorinnen und Autoren, die in Berlin ihren Wohnsitz haben. Bis zuletzt lief es über neun Monate, von 2018 an wird es auf zwölf Monate ausgeweitet (die Bewerbungsfrist für 2018 ist gerade abgelaufen). Anders als viele Aufenthaltsstipendien ist es nicht an einen Ort gebunden, die Schriftsteller sind inhaltlich frei und müssen nicht zwangsläufig ständig in Berlin sein. Auch aufgrund dieser Rahmenbedingungen ist das Stipendium das wohl begehrteste seiner Art an der Spree.

Hilfe beim Schreiben

Neben den Arbeitsstipendien Literatur des Senats gibt es weitere Stipendienprogramme für Berliner AutorInnen: Die Allianz Kulturstiftung und die Stiftung Brandenburger Tor vergeben seit Kurzem das Stipendium „Torschreiber am Pariser Platz“ speziell für AutorInnen, die nach Deutschland geflohen sind. Anfang 2018 wird die Syrerin Rasha Habbal die erste Torschreiberin sein. Das Stipendium dauert sechs Monate, vergütet wird es mit monatlich 2.000 Euro. Die Stiftung Brandenburger Tor lobt zudem das Austauschstipendium „Literarisches Tandem“ aus, bei dem Berliner Schriftsteller für zwei Monate in europäische Partnerstädte reisen.

Das deutsch-französische Austauschstipendium Berlin-Paris vergibt die Senatsverwaltung für Kultur und Europa für die Bereiche Bildende Kunst, Literatur und Tanz. Die sechsmonatigen Stipendien sind mit monatlich 2.500 Euro dotiert.

Ebenfalls speziell für Berliner AutorInnen ist das Aufenthaltsstipendium im Alfred-Döblin-Haus in Wewelsfleth (Schleswig-Holstein). Dauer: 3 Monate, Höhe des Stipendiums: 2.000 Euro.

Die Stiftung Preußische Seehandlung vergibt projektbezogene Autorenstipendien für Berliner SchriftstellerInnen. Unterschiedliche Dauer, Höhe des Stipendiums: 1.000 Euro. Informationen unter www.stiftung-seehandlung.de (jut)

Unter den Stipendiaten sind meist arrivierte Autoren, in der Vergangenheit etwa Maxim Biller, Abbas Khider, Ulrich Peltzer und Thomas Melle, in diesem Jahr Katja Petrowskaja und Michael Kleeberg. Rund 20 Autorinnen und Autoren erhalten die Förderung jedes Jahr, die sechsköpfige Jury besteht aus Autoren, Journalisten und Veranstaltern und wird immer wieder neu gebildet. Eine Quotenregelung existiert nicht, allerdings war das Geschlechterverhältnis zuletzt ausgewogen: 2017 waren unter den geförderten Autoren 9 Frauen, 7 Männer und eine Transperson, vergangenes Jahr 11 Männer und 9 Frauen. Seit 2008 ist es Tradition, dass alle Stipendiaten bei einer gemeinsamen Lesung zusammenkommen – am Sonntag liest der 2017er-Jahrgang.

Erstmals wird es 2018 auch für nichtdeutsche Schriftsteller ein Arbeitsstipendium geben. „Es haben sich in den vergangenen Jahren immer auch englischsprachige Autoren auf das Stipendium beworben. Die waren bislang benachteiligt, deshalb mussten wir reagieren“, sagt Wolfgang Meyer, der beim Senator für Kultur für die Literaturförderung zuständig ist. Wie nötig dieses Programm ist, habe man schnell gemerkt: Etwa 260 Bewerbungen seien zur Premiere eingegangen. Aus denen werden mindestens sechs Stipendiaten gekürt. Das geht auch dank stetiger Zunahme der Mittel: Der – vorläufige – Haushaltsentwurf 2018/19 sieht vor, dass für „Arbeits- und Aufenthaltsstipendien für Berliner Autoren/Autorinnen“ jährlich 693.100 Euro Steuermittel verwendet werden. Zuletzt waren es nur 244.000 Euro im Jahr.

Kommt der Haushalt so durch, wären das gute Nachrichten für die Berliner Literaturszene. Im Kulturressort des Senats geht man von insgesamt über 2.000 Autorinnen und Autoren aus, die in Berlin leben – und die auch von etwas leben müssen. Selbst die erfolgreicheren Autoren hätten es „finanziell oft nicht so dicke“, sagt Meyer. Der genaue durchschnittliche Verdienst von Schriftstellern ist dabei nur schwer zu beziffern. Nimmt man die Einkommen der über die Künstlersozialkasse versicherten Autoren (werden dort in der Sparte „Wort“ geführt), kommt man für 2016 auf einen Verdienst von 1.690 Euro brutto im Durchschnitt. Wobei nicht nur Schriftsteller darunter sind.

Joey Juschka arbeitet seit nun zwei Jahren an dem Roman, jetzt ist sie – sie zeigt auf das Storyboard – in der letzten Reihe der Klebezettel angelangt. Einen Joker-Zettel gibt es noch – wenn 39 Kapitel nicht reichen, werden es eben 40. Erst kürzlich hat sie ihren Agenten gefragt, ob man jetzt bei den Verlagen vorstellig werden solle. „Das Thema des Romans ist die geschlechtliche Identität“, sagt Juschka, die sich selbst weder als Frau noch als Mann bezeichnet und sich wünschen würde, dass es zwischen „er“ und „sie“ sprachlich mehr gängige Optionen gäbe. „Die Hauptfigur ist trans*“, erzählt sie. „Der Roman schildert das Wechselspiel zwischen dem, was man selbst denkt zu sein und dem, was die Umwelt erwartet – sowohl in Bezug auf die Geschlechtsrolle laut Geburt als auch auf die Rolle, für die man sich als Erwachsener entscheidet.“ Für die Romanfigur fühle es sich einerseits so an, als ob der Körper nicht zum eigenen sexuellen Empfinden passe – andererseits gäbe es die Erwartung von außen, sich seinem neuen Geschlecht entsprechend zu verhalten.

„Für mich ist das eine riesige Erleichterung“

Joey Juschka zum Stipendium

Juschka vergleicht das Arbeitsstipendium mit dem bedingungslosen Grundeinkommen und zieht für sich eine positive Bilanz: „Ich habe viel mehr Zeit, bin großzügiger als vorher und entspannter. Und ich habe das Gefühl, ich kann machen, was ich will. Im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen befürchtet man ja, dass dessen Empfänger egoistisch und gleichgültig werden – das ist bei mir nicht eingetreten.“

Wenn das Stipendium auslaufe, gebe es hoffentlich schon einen Verlag für den Roman, sagt Juschka. Denn ein Plan B existiert nicht. Plan A lautet: Schriftstellerin, hauptberuflich.

*In diesem Text wird aus Gründen der Lesbarkeit die feminine Form verwendet. Joey Juschka versteht sich weder als Frau noch als Mann.

Berliner Manuskripte 2017 mit Joey Juschka, Michael Kleeberg u. a.: Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Sonntag, 11 Uhr. 8/6 Euro

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