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So locker und so cool Wie Herr Wagner für die seltsamen Freunde einen Lenin schuf – und was aus ihm wurde

Aus Bischofswerda Thomas Gerlach

Kann es sein, dass sein Lenin so ganz anders aussieht als die anderen Standbilder des Revolutionärs, entspannt, locker, ja cool? Wolfgang Wagner lächelt still in sich hinein. Und sogleich nehmen Augen und Mund des Schöpfers, um das Kinn wie bei Lenin ein Bart, die Züge seiner Schöpfung an. Wagners Lenin hockt lässig auf einem Würfel, in der Hand einen Schmöker, und blickt versonnen in die Ferne. Kein Revolu­tions­führer, kein Despot, ein Flaneur, darauf erpicht, Passanten in Gespräche zu verwickeln.

So ist der Eindruck, der sich über Fotos vermittelt. Die Besichtigung des Kunstwerks wird später erfolgen. Lenin, so hat es der Pressesprecher von Bischofswerda versichert, stehe auf dem Bauhof der kleinen Stadt in der Oberlausitz bereit.

Seine Tage sind gezählt. Der Revolu­tio­när zieht um ins Zeitgeschichtliche Forum nach Leipzig. Dass seine Skulptur diese zweite Chance erhält, ist für Wagner, der im Februar 80 Jahre alt wird, eine späte Würdigung. Sein Lenin, der seit einem Vierteljahrhundert ­hinter Lkw-Garagen wie ein Verbannter gehalten wird, kommt frei. „Positiv überrascht“ ist er über das Interesse. Wer aber jetzt große Worte erwartet, Worte des Stolzes, der Verletzung, Worte des Zorns, ist bei Wagner falsch. Kein Satz über Kunst in der DDR, über ihre Ins­trumentalisierung, ihre ­Selbstbehauptung und ihren Absturz.

Manfred Wagner steht den erzgebirgischen Holzschnitzern näher als den akademisch geschulten Bildhauern mit ihren abstrakten Werken, bei denen man nicht weiß, „wo oben und unten ist“, wie Wagner es ausdrückt. Nicht dass die Geschichte seines Lenins ein Schwank wäre, aber ein Volksstück, das ist es schon – mit SED-Genossen, Sowjetsoldaten und einem Steinbildhauermeister, der im VEB Elbenaturstein den Putten, Ornamenten und Allegorien im zerbombten Dresden zu alter Schönheit verhalf.

Die Genossen der SED-Kreisleitung aus Bischofswerda waren auf Wagner zugegangen. Ein Lenin sollte es sein, für die sowjetischen Genossen in der Garnison. Warum? Wagner zuckt mit den Schultern. „Das waren unsere ‚Freunde‘, unsere Befreier . . .“

Vorgaben? Nichts. Und warum in sitzender Pose? „Bloß nichts nachmachen und eine große Plastik sollte es sein“, fasst Wagner seine Idee zusammen. Damit waren alle zufrieden. Nicht mal Termindruck gab’s. Lenins hundertster Geburtstag am 22. April 1970 verstrich und Wagner arbeitete nach Feierabend an seinem Werk. „Das lief so nebenher.“ Einmal habe er auch Urlaub genommen.

Die Bezahlung hielt sich offenbar in Grenzen. Ein neuer Trabant, Gegenwert 8.000 DDR-Mark, muss aber doch herausgesprungen sein? Manfred Wagner winkt ab. Es war etwas anderes, was ihn antrieb. Wo sonst in der DDR bekam man einem Sandsteinquader höchster Güte geliefert? Wo sonst konnte sich ein Steinmetz, der tagein, tagaus barocke Meister kopierte, künstlerisch derart verwirklichen? Manfred Wagner war kein Mitglied im so wichtigen Verband Bildender Künstler der DDR, sondern „Meister der volkseigenen Baustoffindustrie“. So steht es in seinem Zeugnis.

Wie die sozialistischen Monumentalbildhauer die Welt sahen, ließ sich ab 1970 in Berlin besichtigen. Der 19 Meter hohe Lenin, eine Gebirge aus Granit, ist ein kein halber, sondern ein ganzer Gott. Vermutlich wurde er deshalb so schnell geschleift. 1992 wurden seine Einzelteile im märkischen Sand versteckt. Dass sein 3,5-Tonnen-Kopf seit letztem Jahr in Berlin-Spandau ausgestellt ist, erinnert mehr an Enthauptung als an Auferstehung.

In Wagners Lenin, kurz nach dem „Prager Frühling“ 1968 erschaffen, meint man Güte zu erkennen, Sozia­lismus mit menschlichem Antlitz. Und wie sieht es mit seinem Sozialismus aus? Er habe im Februar 1945 als Siebenjähriger von hier aus den Feuerhimmel über Dresden erblickt: Nie wieder Krieg, keine Not, Ausbeutung und Unterdrückung und ein Leben in Frieden und Freundschaft – so lautet seine Maxime. Dass er später die Stadt mit aufgebaut hat, kommt ihm wie ein Gleichnis vor. Ja, er war auch SED-Genosse, sagt er beim Hinausgehen.

Am 30. März 1971 wird das Denkmal vor dem Kulturhaus der Garnison enthüllt, Anlass: die Eröffnung des 24. Parteitags der KPdSU in Moskau. Wagners Standbild wird als „Geschenk der Werktätigen unseres Kreises an die Sowjetarmee“ überreicht. „Nu ja, die ‚Freunde‘ waren zufrieden“, sagt Wagner und lächelt. Fortan stehen vor dem Lenin an Feiertagen Sowjetsoldaten stramm, Kalaschnikow vor der Brust, als wäre der Mann hinter ihnen ein Schwerverbrecher. Als die Soldaten 1992 abziehen, bleibt das Denkmal zurück.

Die einen waren zufrieden. Die anderen kannten ihn nicht

Und was hielten die Werktätigen von ihrem Lenin? „Das Volk von Bischofswerda hat den Lenin nicht gekannt.“ Die Antwort von Ortschronisten Eckehard Paulick ist harsch. Man sei gar nicht hineingekommen in die Garnison.

Im Stadtarchiv Bischofswerda hat die Archivleiterin Marina Wuttke eine Runde älterer Herren versammelt: zwei einstige Ingenieure aus dem Mähdrescherwerk, einer davon Paulick, ein früherer FDJ-Funktionär. Zeitungsausschnitte liegen auf dem Tisch, Akten, alte Fotos. „Eigentlich ist diese Steinfigur im Volk gar nicht so verwurzelt“, bestätigt ein anderer. Ein Dritter erinnert daran, dass die sowjetischen Genossen nicht nur den Lenin, sondern das gesamte Kulturhaus „geschenkt“ bekamen.

Wen ließen sie in die Garnison? Schulklassen manchmal, Delegationen. Seltsame „Freunde“. Ihre Verschlossenheit, so vermutet die Runde, hatte einen handfesten Grund: Auf dem Gelände waren Atomraketen stationiert. Und so wurden die Werktätigen am „Tag der Befreiung“ auf den kleinen sowjetischen Soldatenfriedhof in der Stadt beordert. Oder zum Revolutionsgedenken vor die SED-Kreisleitung. Dort wachte ein energischer Lenin, eine bronzene Büste. Der „Bronzene“ fand schon in einer Chemnitzer Galerie seine Nische. Der Steinerne soll ab 2018 in der neuen Dauerausstellung die „propagierte und verordnete Erinnerungslandschaft“ verkörpern, die nach 1990 entsorgt wurde, heißt es aus dem Zeitgeschichtlichen Forum.

Ein schwerer Wassertropfen hängt an Lenins Mützenschirm, als Manfred Wagner sein Werk inspiziert. Es wirkt, als hätte sich Lenin weggedreht, dabei haben ihn die Mitarbeiter vom Bauhof neulich nur umgesetzt. Leider ist dabei die linke Fußspitze abgeplatzt. Wagner ist verärgert. Die Reinigung und Restaurierung würde er gern selbst übernehmen. Dass sein Lenin fortan im Trockenen hocken wird, muntert Wagner wieder auf. „Es ist ein schönes Gefühl, wenn man weiß, es wird Jahre überdauern.“

Manfred Wagners letztes großes Werk ist übrigens von ganz anderer Natur. In Soltau in Niedersachsen steht auf einer Säule ein Mann, der Blick gravitätisch, die Büchse geschultert, kurzum – ein Titan. Es ist der „Heidedichter“ Hermann Löns.

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