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Bürgernähe auf dem Bierdeckel

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat in wenigen Wochen einen Rückstand von zehn Prozentpunkten aufgeholt. Die rot-grüne Mehrheit ist dennoch weg. Nun setzt er auf eine Ampelkoalition – auch wenn die FDP sich sträubt

Aus Hannover Andrea Scharpen und Jan Kahlcke

Stephan Weil bleibt sich auch in der Stunde des Sieges treu. Kurz nach 18 Uhr erinnert er daran, dass es bislang nur eine Prognose gibt und man „den Ball noch ein bisschen flach halten“ sollte. Aber dann sagt er es doch: „Die Niedersachsen-SPD steht heute vor einem großen Abend.“

Weil hat es geschafft, den Negativtrend der SPD aufzuhalten. Fast 38 Prozent – das ist heutzutage ein strahlender Sieg für Sozialdemokraten. Die Regierungspartei hat es sogar geschafft, gegenüber 2013 tüchtig zuzulegen. Damit sind fast alle Wahlziele erreicht. Nur für die rot-grüne Wunschkoalition reicht es nicht wieder, weil die Grünen schwächeln. Die haben über ein Drittel ihrer Stimmanteile verloren. Und die Linke scheidet als Retter in der Not aus: Auch sein Wahlziel, die Linkspartei unter fünf Prozent zu halten, hat Weil haarscharf erreicht.

In den vergangenen Wochen war Weil mit einem immer breiteren Grinsen von Interview zu Interview gelaufen. Er scherzte mit Journalisten und verteilte gut gelaunt rote Rosen in Fußgängerzonen. Er hat es geschafft, seit August einen Zehn-Prozentpunkte-Vorsprung aufzuholen. Beliebter als sein CDU-Herausforderer Bernd Althusmann war der Amtsinhaber eh.

Das liegt an seiner Bürgernähe. Statt einer Tour durch die großen Hallen, in denen er große Reden schwingt, fuhr Weil in alle 87 Wahlkreise, um mit den Menschen vor Ort zu reden. Er ließ sie Fragen auf Bierdeckel schreiben, damit sich jeder traut, den Ministerpräsidenten auszufragen. „Ich schwöre darauf“, sagt er.

Im letzten Kaff beim Bauern

Diese Form des Wahlkampfs passt zu ihm und seiner Art, das Land zu regieren. Seit dem ersten Jahr hat er in der Reihe „Arbeit und Dialog“ Menschen in den letzten Käffern Niedersachsens besucht, einen Tag beim Rübenbauern, in der Urologie oder bei der Feuerwehr gearbeitet und sich abends mit den Einwohnern getroffen.

Seiner rot-grünen Landesregierung stellt er ein eher zurückhaltend gutes Zeugnis aus: Es sei „insgesamt eine sehr erfolgreiche Zeit“ gewesen, sagt Weil, der weiß, dass ihm die Fehler und Manipulationen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, die es in seinen Ministerien gegeben hat, noch nachhängen.

Zuletzt wurden diese jedoch vom Wechsel der Grünen Elke Twesten zur CDU überlagert. Danach blieb Weil nichts anderes übrig, als mit ernstem Blick vor die Kameras unter dem Vordach seiner Staatskanzlei zu treten und Neuwahlen anzukündigen. „Ich werde einer Intrige nicht weichen“, hatte er damals gesagt und damit offenbar den Nerv seiner Wähler getroffen.

Die Abstrafung der CDU könnte auch eine Reaktion auf die bis heute ungeklärten Umstände dieses Wechsels sein. Twesten selbst hatte einem Abgeordneten von einem „unmoralischen Angebot der CDU“ erzählt. Und selbst wenn es das nie gegeben haben sollte: Die CDU hätte Twesten nicht in die Fraktion aufnehmen müssen, findet Weil.

Auf Distanz zur CDU

Der Austritt hat die Beziehungen zur CDU weiter belastet. Das Klima ist vergiftet. Eine Große Koalition ist daher schwer vorstellbar. Weil betonte stattdessen im Wahlkampf die angenehmere Arbeit mit der FDP, obwohl diese die inhaltlich schwierigere Oppositionspartei gewesen sei. Eine Ampelkoalition würde er wohl vorziehen, obwohl die Liberalen das bereits ausgeschlossen haben.

Politisch will der Ministerpräsident seine Linie fortsetzen. Eine NDR-Umfrage ergab vor Kurzem, dass 62 Prozent der Menschen mit der Arbeit seiner Regierung zufrieden sind. Neben der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium konnte Rot-Grün insbesondere mit der Finanz- und der Umweltpolitik punkten. Gorleben ist nicht mehr alleinig möglicher Standort für ein Atommüllendlager. Die Bergung von radioaktivem Müll aus dem ehemaligen Bergwerk Asse geht schneller voran als geplant. Die sanfte Agrarwende von Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) hat tausenden Schweinen Ringelschwänze und Hühnern Schnäbel beschert. Und das Land hat zum ersten Mal in seiner Geschichte einen ausgeglichenen Haushalt.

Die anstehenden Überschüsse hat Weil seinen Wählern schon versprochen: Eine Milliarde Euro sollen in den Breitbandausbau und die Sanierung maroder Krankenhäuser fließen. Außerdem sollen Kitas nichts mehr kosten, Schulen Tablets und WLAN bekommen. Die Stromsteuer will Weil senken, um die Verbraucher zu entlasten. Dass Weil in die Zukunft investieren will, haben ihm die Wähler offenbar abgenommen.

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