: Goldköpfchen
Ein Helm kann vor gefährlichen Verletzungen schützen. Und ist längst kein neonfarbenes Plastikmonster mehr. Aber muss es gleich eine Helmpflicht sein?
Von Nicola Schwarzmaier
Die Teenagertochter unserer Nachbarn flitzte mit ihrem Fahrrad den steilen badischen Hausberg hinunter, auf dem wir wohnten. Auf ihrem Kopf: ein Ungetüm in neongrellen Farben. Es war Anfang der 90er Jahre, ich war neun – und das war der erste Fahrradhelm, den ich sah.
Ich lachte verhalten und fragte sie, die allein ob ihres Namens – Adriane! – eine Respektsperson für mich war, was das solle. Sie sagte von oben herab: „Wart’s nur ab. In spätestens einem Jahr ist das in ganz Deutschland Pflicht!“ Es stand für mich außer Frage, dass sie recht hatte.
Wenig später besorgte mein Vater drei nicht minder unästhetische Helme für meine Geschwister und mich. Für sich selbst hatte er keinen gekauft. Warum nicht? „Meine Frisur ist sonst ruiniert.“ Da war etwas dran. Es sorgte aber nicht für mehr Verständnis der Aktion bei uns, die wir fortan mit plattgedrückten und schwitzigen Haaren in der Schule ankamen.
Eine generelle Helmpflicht gibt es nur in wenigen Ländern auf der Welt, darunter Australien, Finnland, Malta, Neuseeland, Südafrika und einige Bundesstaaten der USA. In anderen Ländern sind Helme nur für Kinder und Jugendliche Pflicht. Selbst im Profiradsport wurde eine Helmpflicht erst 2003 nach dem tödlichen Unfall des kasachischen Fahrers Andrei Kiwiljow beim Rennen Paris–Nizza eingeführt.
Ich selbst verabschiedete mich im Teenageralter von meinem Helm, weil ich meine Haare schonen wollte.
Für und gegen eine Helmpflicht gibt es jeweils Studien und Argumente. Natürlich wird der Kopf bei einem Unfall durch einen Helm geschützt. Dafür sorgt in der EU die Prüfung gemäß der EN 1078: Dabei müssen Prüfköpfe mit einem Gewicht zwischen 3,1 und 6,1 Kilogramm aus verschiedenen Höhen auf harte Oberflächen fallen. (Das durchschnittliche Frischgewicht des Kopfes eines erwachsenen Menschen beträgt zwischen 3,2 und 4,1 Kilogramm, das passt also.)
Ein Sturz beim Fahrradfahren kann leicht permanente Gehirnschäden zur Folge haben. Es gibt Studien, die belegen, dass Helme diese Art von Verletzungen verhindern oder reduzieren. Allerdings kommt es nur in 5 bis 10 Prozent aller Fahrradunfälle überhaupt zu Kopfverletzungen.
2008 zog ich von Köln nach Berlin. In Köln war Fahrradfahren entspannter, in Berlin hatte ich Angst. Es gibt hier laut Verkehrsstatistik mehrere tödliche Unfälle mit Fahrradfahrern pro Jahr. Ich kaufte mir also einen Helm, denn mittlerweile gibt es zahlreiche Alternativen zu den grässlichen Neongebilden der 90er Jahre. Mein zweiter Helm war ein goldener.
Was spricht gegen eine Helmpflicht? Sie hat Studien zufolge einen Einfluss auf die Fahrradkultur eines Landes. Die Menschen fahren insgesamt weniger Rad, wenn sie sich einen Helm aufsetzen müssen. Bewegen sie sich aber weniger, werden sie leichter übergewichtig und entwickeln in der Folge eher Krankheiten. Auch steigt die Unfallquote pro Fahrradfahrer*in bei abnehmender Gesamtzahl im Straßenverkehr. Denn je mehr da sind, desto mehr fallen sie auf, man nennt dieses Prinzip „Safety in Numbers“. Und Fahrradfahrer*innen mit Helm fahren angeblich risikofreudiger, genau wie Autofahrer*innen wohl weniger Rücksicht auf helmtragende Radler*innen nehmen.
Seit 2008 ist das Helmdesign noch vielfältiger geworden, und das ist vielleicht ein Grund, warum heute auch immer mehr erwachsene Menschen Helme tragen. Trotz ihrer Haare. Helme werden heute etwa handbemalt. Manche sind aus Holz oder tun so, als seien sie ein Hut. Andere sind zusammenfaltbar oder kommen komplett unsichtbar daher, weil sie sich erst wie ein Airbag aufblasen, wenn es zu einem Unfall kommt.
Mein goldener Helm wurde im vergangenen Jahr geklaut, ich hatte ihn immer unangeschlossen am Fahrrad hängen (wer klaut schon einen Helm?). Danach habe ich mir mit meinen Paybackpunkten einen schwarzen bestellt. Wenn ich ihn nicht aufhabe, fühlt sich mein Kopf nackt an. Mir fehlt etwas. Und ich verstehe nicht, warum es nicht allen Leuten so geht.
So hat Adriane zwar nicht recht behalten mit ihrer Prophezeiung einer generellen Helmpflicht. Aber immerhin hat sie den Grundstein für meine prohelmische Haltung gelegt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen