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Entscheidungsfreude und Empathie

Vieles bei Gericht und den Staatsanwaltschaften erledigen heute studierte Rechtspfleger – ein Beruf nicht nur für Menschen, denen das Jurastudium zu lange dauert

VON JOACHIM GÖRES

„140.000 zum Ersten, 140.000 zum Zweiten, 140.000 zum Dritten“: Ulrike Viebrock ist Rechtspflegerin an einem niedersächsischen Amtsgericht und bei so einer Zwangsversteigerung legt sie den Termin der Sitzung fest und leitet diese, nimmt Gebote entgegen, erteilt am Ende den Zuschlag. Dabei unterstützt sie ein Gutachter, der den Preis der Immobilie ermittelt. „Ich dachte früher, als Rechtspflegerin muss man nur Akten bearbeiten und ist Einzelkämpfer“, sagt Vie­brock. „Das stimmt nicht, man arbeitet viel im Team, hat Kontakt mit vielen Menschen und kann Kollegen bei schwierigen Fällen fragen. Die Praxis hat mich positiv überrascht.“

Rund 12.000 Rechtspfleger gibt es in Deutschland. Sie arbeiten an Gerichten und für Staatsanwaltschaften, haben keinen direkten Vorgesetzten, handeln auf der Grundlage von Gesetzen – nicht mal ein Richter darf ihre Entscheidung beeinflussen. Rechtspfleger eröffnen Testamente, nehmen Erbscheinanträge auf, verkünden den Erben den letzten Willen des Verstorbenen und erteilen Erbscheine. Sie richten Vormundschaften ein, informieren über die damit verbundenen Rechte und Pflichten, überwachen die Vermögensverwaltung und erteilen gerichtliche Genehmigungen. Sie nehmen Eintragungen in Grundbüchern sowie in Handels-, Vereins- und Genossenschaftsregistern vor. Sie führen Insolvenzverfahren selbstständig durch oder erlassen Beschlüsse auf Pfändungen von Geldforderungen.

Bei den Staatsanwaltschaften sind Rechtspfleger unter anderem zuständig für die Strafzeitberechnung, die Ladung eines Verurteilten zum Strafantritt und den Erlass von Haftbefehlen. Ihre Entscheidungen sind dabei durchaus weitreichend, denn sie entscheiden zum Beispiel über einen Vollstreckungsschutzantrag eines Mieters, der wegen nicht gezahlter Miete vor der Räumung steht.

Drei Jahre lang dauert die Ausbildung. Erfolgreiche Bewerber aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen absolvieren ein duales Studium an der Norddeutschen Hochschule für Rechtspflege in Hildesheim: zehn Monate Grundstudium und 14 Monate Hauptstudium, unterbrochen von zwei Praxisphasen bei Gerichten und Staatsanwaltschaften, die insgesamt ein Jahr umfassen. Die Abschlussprüfung besteht dann aus einer Di­plom-Arbeit und einer mündlichen Prüfung, dazu kommen fünfstündige Klausuren in Strafvollstreckungsrecht, Zivilprozessrecht, Vollstreckungsrecht sowie – nach Wahl – in drei der folgenden Schwerpunkte: Erbrecht, Immobiliensachrecht, Familienrecht, Handelsrecht und Gesellschaftsrecht.

Beamte auf Probe

Immer zum 1. Oktober startet mit rund 100 Studienanfängern das Studium in Hildesheim. Interessierte aus den norddeutschen Bundesländern müssen sich bis zum Herbst des Vorjahres bei den Gerichten in ihrer Region bewerben.

Voraussetzungen sind die deutsche Staatsbürgerschaft, die (Fach-)Hochschulreife, keine Vorstrafen und – in der Regel – ein Höchstalter von 40 Jahren.

Im 1. Semester verdienen die Studierenden monatlich 1.146 Euro brutto. Berufsanfänger kommen auf 2.450 Euro, ggf. plus Stellenzulage und Familienzuschlag. Sie arbeiten drei Jahre lang als Beamte auf Probe, ehe sie in ein festes Beamtenverhältnis übernommen werden können.

Nähere Infos unter www.hr-nord.niedersachsen.de und www.rechtspfleger.net

„Man weiß im Studium, wofür man lernt, denn man kann die Theorie gleich in der Praxis anwenden“, sagt Melanie Marhenke, Rechtspflegerin am Oberlandesgericht Celle. Mit einem Abiturschnitt von 1,2 hätte sie auch Jura studieren können – aber das erschien ihr zu lang, die Perspektive für die Zeit danach zu ungewiss. „Die Hildesheimer Absolventen haben als Diplom-Rechtspfleger sehr gute Übernahmechancen“, sagt Marhenke: „Rechtspfleger werden bedarfsgerecht ausgebildet.“

Wer sich für den Beruf interessiere, müsse nach ihrer Überzeugung entscheidungsfreudig sein, kommunikativ, empathisch und unparteiisch, über ein gutes Textverständnis verfügen und sich schriftlich gut ausdrücken können: Ihre Entscheidungen müssen Rechtshelfer begründen. Zudem müsse man sich seiner Verantwortung bewusst sein – und lernen, mit menschlichen Schicksalen umzugehen.

Nach einer zusätzlichen Ausbildung im Strafrecht können Rechtspfleger als Amtsanwalt tätig werden. Dann vertreten sie die Staatsanwaltschaft in Strafrichtersitzungen bei den Amtsgerichten. Der Verband der Rechtspfleger, der zurzeit 1.200 vor allem niedersächsische Mitglieder vertritt, setzt sich für mehr Kompetenzen für Rechtspfleger ein – und für die berufsbegleitende Weiterqualifikation zum Richter.

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